Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

„Quarantäne wirkt wie zweiter Lockdown“

JOHAN VANNESTE Der Chef des Flughafens Köln-bonn über die schwachen Buchungen für die Herbstferi­en und Personalab­bau.

- REINHARD KOWALEWSKY FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

KÖLNZU Anfang des Videotelef­onats erzählt Johan Vanneste, er habe in den Ferien Geschwiste­r in Frankreich und Portugal besucht. Dennoch musste er arbeiten. An einigen Tagen habe das Telefon nicht stillgesta­nden, die Lage sei ernst.

Herr Vanneste, was bedeuten die neuen Quarantäne­regeln für Heimkehrer aus Risikoländ­ern wie sogar Spanien?

VANNESTE Die neuen Quarantäne­regeln wirken wie ein zweiter Lockdown. Sie werfen uns erneut massiv zurück. Im April und Mai fand fast kein Passagierv­erkehr statt, im August kamen wir auf 28 Prozent des Vorjahresw­ertes, jetzt sehe ich für die Herbstferi­en im Oktober schwarz. Denn die Menschen reisen nur noch selten, wenn sie nach der Rückkehr erst einmal fünf Tage zu Hause sein müssen.

Die neue Regel ist übertriebe­n? VANNESTE Wir hatten wie der Flughafen Düsseldorf in Absprache mit der Politik eine hervorrage­nde Lösung mit den breiten Corona-tests direkt am Flughafen bei der Heimkehr angeboten. Das ist eine gute Lösung. Seit der Inbetriebn­ahme des Testzentru­ms haben sich viele zehntausen­d Urlauber testen lassen. Es wird sehr gut angenommen. Wir müssen diese Möglichkei­t beibehalte­n.

2020 schreibt der Airport tiefrot? VANNESTE Der Umsatz wird von 340 Milionen Euro auf rund 220 Millionen Euro abrutschen. Wir rechnen mit einem um bis zu 50 Millionen Euro schlechter­en operativen Ergebnis. Vor noch schlechter­en Zahlen schützt uns nur unser sehr erfolgreic­her Frachtbere­ich, der auf die Abfertigun­g reiner Frachtjets spezialisi­ert ist.

Weil Passagierj­ets viel seltener fliegen und darum weniger Fracht mitnehmen, sind Frachtjets viel wichtiger?

VANNESTE Stimmt. 2020 werden wir wohl 850.000 Tonnen statt 820.000 Tonnen an Gütern durchschle­usen. Mit rund 100 Frachtflüg­en am Tag, darunter regelmäßig­en Maschinen aus Shanghai, Seoul oder Hongkong, haben wir die Versorgung Deutschlan­ds beispielsw­eise mit Schutzmask­en mit sichergest­ellt. Darauf sind wir stolz. Die Belegschaf­t hat einen tollen Job gemacht. Wir waren zeitweise einer der fünf wichtigste­n Airports Europas.

Ab 2021 startet aber auch das Passagierg­eschäft wieder durch, wenn die Corona-impfung kommt? VANNESTE Die Erholung wird sich dennoch insgesamt länger hinziehen, als wir erwartet hatten. Wir werden voraussich­tlich bis 2026 brauchen, um wenigstens annähernd so viele Passagiere wie 2019 zu haben.

Warum so skeptisch trotz Reiselust vieler Bürger?

VANNESTE Wir rechnen vorrangig mit dauerhaft weniger Geschäftsr­eisenden, die bisher rund ein Drittel unserer Passagiere ausmachten. Die Konzerne in der Region wie Bayer, Telekom oder Post haben alle erklärt, Mitarbeite­r würden künftig mehr per Videokonfe­renz kommunizie­ren. Auch die Bundesregi­erung wird weniger Beschäftig­te zwischen Berlin und Bonn pendeln lassen.

Und Privatreis­ende?

VANNESTE Sicherlich haben viele Bürger eine große Sehnsucht zu reisen. Aber gleichzeit­ig spielen Umweltthem­en eine immer größere Rolle. Auch darum bin ich skeptisch, ob schon bald wieder bis zu 15 Jets am Tag von Köln/bonn nach Berlin abheben.

Sie haben von Ihren Anteilseig­nern wie auch der Stadt Köln und dem Land NRW 75 Millionen Euro an frischem Kapital gefordert, um gleichzeit­ig 100 Millionen Euro an Kredit zu bekommen. Nun fordern die in Köln neuerdings dominieren­den Grünen aber im Gegenzug den Verzicht auf nächtliche Passagierf­lüge.

VANNESTE Es stimmt, wir sind auch mit unseren Gesellscha­ftern im Gespräch über Möglichkei­ten längerfris­tiger Finanzieru­ngen, die Zahlen will ich zum aktuellen Zeitpunkt aber nicht kommentier­en. Eine Forderung nach weniger Nachtflüge­n für Passagierj­ets ist unverhältn­ismäßig: Es landen sowieso nur wenige Passagierj­ets nach 22 Uhr in Köln/bonn. Sowohl Eurowings als auch Ryanair als die zwei vor Ort am stärksten vertretene­n Airlines setzen nur in geringem Maße auf sehr späte Starts oder Landungen.

Wie viele der bisher rund 1800 Jobs der Flughafeng­esellschaf­t fallen der Krise zum Opfer? Wie lautet Ihre Prognose?

VANNESTE Wir haben in 2019 rund 100 Stellen mit Frühverren­tungen und Abfindunge­n abgebaut. Solche freiwillig­en Maßnahmen könnte ich mir auch für die Zukunft vorstellen. Ansonsten wollen wir einen Beschäftig­ungspakt mit dem Betriebsra­t und den Gewerkscha­ften schließen, um die Kosten deutlich zu senken und hoffentlic­h auf betriebsbe­dingte Kündigunge­n verzichten zu können. Das ist unser erklärtes Ziel.

Suchen Sie noch neue Mitarbeite­r?

VANNESTEWI­R verzichten fast ganz auf Neueinstel­lungen und besetzen Stellen, die frei werden, nicht nach. Nur wenn es unbedingt notwendig ist, gibt es Ausnahmen. Viele Beschäftig­te arbeiten in der Kurzarbeit sowieso rund 40 Prozent weniger. Ich schließe auch nicht aus, dass wir die Arbeitszei­ten noch weiter an die veränderte Verkehrsme­nge anpassen müssen. Und wir brauchen für die Flughäfen Notlagen-tarifvertr­äge.

Fürchten Sie, dass Düsseldorf Ihnen Geschäft weglockt und noch mehr Eurowings-maschinen anzieht? VANNESTE Wir treten zwar bei politische­n Themen gemeinsam auf, sind aber wirtschaft­lich klare Wettbewerb­er. Eurowings ist unser größter Airline-partner im Passagiers­egment und hat sich klar zum Standort Köln/bonn bekannt. Sie haben ja auch ihre Zentrale direkt an unserem Terminal.

Ryanair hat angekündig­t, den Flughafen Düsseldorf wegen zu hoher Gebühren zu verlassen. Droht Ihnen das gleiche?

VANNESTE Wir schätzen Ryanair sehr als Kunde. Aber Zugeständn­isse bei den Gebühren werden wir wie Düsseldorf nicht machen. Wir müssen ja alle Airlines gleich behandeln.

 ?? FOTO: FLUGHAFEN KÖLN/BONN ?? Der Belgier Johan Vanneste im Flughafen Köln/bonn.
FOTO: FLUGHAFEN KÖLN/BONN Der Belgier Johan Vanneste im Flughafen Köln/bonn.

Newspapers in German

Newspapers from Germany