Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Corona-app enttäuscht Gesundheitsämter
100 Tage nach Einführung des Handy-warnprogramms zieht die Bundesregierung eine positive Bilanz. Für die tägliche Arbeit der Behörden in der Region ist die App allerdings kaum relevant, wie eine Umfrage zeigt.
DÜSSELDORF Die Corona-warn-app spielt bei Gesundheitsämtern in der Region kaum eine Rolle. In einigen Fällen behindert sie sogar die Arbeit der Behörden im Kampf gegen das Virus, wie eine Umfrage unserer Redaktion ergab. Nach Einschätzung des stellvertretenden Amtsarztes des Kreises Heinsberg wäre die aktuelle Lage nicht anders, wenn es die App nicht gäbe. „Dem Gesundheitsamt hilft die Corona-warn-app momentan nicht. Sie stellt für uns in der Bewältigung des derzeitigen Infektionsgeschehens keinen Vorteil dar“, sagte der Vizechef des Gesundheitsamtes Heinsberg, Ralf Ortmanns.
Trotz technischer Pannen und einer eher bescheidenen Zahl konkreter Warnungen zog die Bundesregierung 100 Tage nach Einführung der App eine positive Bilanz. Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) bezeichnete die Zahl von 18 Millionen App-downloads als außerordentlich hoch. Gesundheitsminister Jens Spahn verwies darauf, dass damit in Deutschland so viele Menschen die Warn-app auf ihre Smartphones geladen hätten „wie in allen anderen Eu-ländern zusammen“. Bislang wurden über die App Warnungen von 5000 Erkrankten weitergegeben, wie Spahn mitteilte.
Bürger, die die App noch nicht haben, rief die Bundesregierung erneut dazu auf, sie sich herunterzuladen. Wenn ein Inhaber der App positiv auf Covid-19 getestet wird, soll er dieses Ergebnis in die App einspeisen. Dann werden alle Menschen gewarnt, die mit ihm in Kontakt standen. Je nach Dauer und Nähe der Begegnung zeigt die App Kontakte mit niedrigem oder hohem Risiko an.
Auch Achim Berg, der Präsident des It-branchenverbandes Bitkom, appellierte an die Bevölkerung, die Software zu nutzen – insbesondere mit Blick auf die kalte Jahreszeit und steigende Infektionszahlen. „Jeder sollte sich in der Pflicht fühlen, die Corona-warn-app zu installieren, um sich und andere zu schützen und unser wirtschaftliches und gesellschaftliches Leben wieder in normale Bahnen zu lenken“, sagte er.
Beim Gesundheitsamt der Städteregion Aachen führte die App eher zu Missverständnissen und einem erhöhten Rechercheaufwand – insbesondere in den ersten Tagen. „Insofern war sie für unser Gesundheitsamt keine Erleichterung“, sagte ein Sprecher der Städteregion. Beim Gesundheitsamt der Stadt Dortmund heißt es, die klassische Eindämmungs-arbeit der Behörde werde durch die App nicht erleichtert. Auch in Bonn hat man sich von der App mehr versprochen. „Die Erfahrungen des Gesundheitsamtes sind nicht so wie erhofft“, sagte ein Stadtsprecher. So würden sich unter anderem Bürger melden, deren Status in der App auf Rot gesprungen sei. „Leider können die Personen meist keine Angaben zu einem möglichen Kontakt machen. Sicherheitshalber wird dann ein Abstrich angeboten“, sagte er. Die Idee der App ist nach Auffassung der Stadt Bonn zwar gut, aber „die praktische Anwendung sollte nochmals überdacht werden“.
Auch der stellvertretende Leiter des Heinsberger Gesundheitsamtes sieht in der Anwendung Probleme. „Die App zeigt unterschiedliche Meldungen an. Weil die Benutzer oft nicht wissen, wie sie sich aufgrund des Angezeigten nun verhalten sollen, rufen sie das Gesundheitsamt oder ihren Hausarzt an“, sagte er. Auf diese Weise bekomme das Gesundheitsamt sehr viele Anrufe, die Kapazitäten bänden, „obwohl kein Handlungsbedarf besteht“, sagte Ortmanns.
In manchen Städten haben die Gesundheitsämter kaum Berührungspunkte mit der App. So meldete sich im gesamten Kreis Mettmann erst ein Benutzer, dessen App auf Rot gesprungen war; in Kleve noch überhaupt niemand. Auch der Kreis Viersen meldete nur vereinzelte Anrufer. In Dortmund riefen nur zu Beginn Bürger mit Fragen zum Umgang mit der App im Gesundheitsamt an, seitdem kaum noch.
Durchaus zufrieden zeigten sich die Gesundheitsämter in Düsseldorf und Köln. „Die Corona-warn-app unterstützt die Eindämmung des Coronavirus“, sagte eine Sprecherin der Stadt Köln. Rund 100 Benutzer hätten sich in Köln aufgrund einer Smartphone-warnung im Gesundheitsamt gemeldet. Davon sei aber nur eine Person positiv auf das Coronavirus getestet worden. Leitartikel