Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Wie laut darf der Glaube sein?
Am Ende war es eine Frage der Lautstärke: Auf 28 Dezibel brachte es der Ruf des Muezzin in Oer-erkenschwick, bis zum 900 Meter entfernten Garten der christlichen Kläger – und unterschritt damit deutlich den Grenzwert. Kurzum: Von einer akustischen Belästigung könne keine Rede sein, somit auch nicht von einer religiösen. So darf der Muezzin nach fünfjähriger Pause also wieder zum Gebet rufen.
Dieser Gerichtsentscheid ist weniger ein Urteil über die in Deutschland verfassungsrechtlich geschützte Religionsfreiheit. Denn dass der Ruf des Muezzin die Ausübung eines anderen Glaubens einschränkt und somit von einer negativen Religionsfreiheit gesprochen werden kann, ist ja bloß der Nebenschauplatz wichtigerer Fragen: Wie öffentlich darf Glaube sein? Und wo sind die Grenzen der religiösen Freiheit, zumal in einer zunehmend säkularisierten Gesellschaft? Zum Gebet ruft nicht nur der Muezzin. Auch das Glockengeläut lädt die Gläubigen zum Gottesdienst ein und ertönt – in katholischen Kirchen – auch zur Wandlung. Glaube wird auf diese Weise in den profanen Raum hineingetragen und verkündet. Natürlich sorgt das auch für Reibungen. Und die sind wichtig und unerlässlich für eine Gesellschaft, die sich darüber klar zu werden versucht, auf welchen Werten sie fußt. Und welche Gemeinsamkeiten Christentum, Judentum und Islam haben, die sich allesamt auf Abraham berufen.
Wie klein dagegen ist der jetzt verhandelte Dezibel-streit in Oer-erkenschwick und wie lapidar die richterliche Aussage, dass eine Gesellschaft halt akzeptieren müsse, mitzubekommen, dass andere ihren Glauben ausleben. Wenn erst einmal alles Glockengeläut verboten wurde, dem Muezzin das Rufen untersagt und jedes öffentliche Glaubenszeugnis unterbunden wird, tritt Ruhe ein. Eine furchterregende Ruhe. BERICHT KLAGE GEGEN MUEZZINRUF ERFOLGLOS, NRW