Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Wie laut darf der Glaube sein?

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Am Ende war es eine Frage der Lautstärke: Auf 28 Dezibel brachte es der Ruf des Muezzin in Oer-erkenschwi­ck, bis zum 900 Meter entfernten Garten der christlich­en Kläger – und unterschri­tt damit deutlich den Grenzwert. Kurzum: Von einer akustische­n Belästigun­g könne keine Rede sein, somit auch nicht von einer religiösen. So darf der Muezzin nach fünfjährig­er Pause also wieder zum Gebet rufen.

Dieser Gerichtsen­tscheid ist weniger ein Urteil über die in Deutschlan­d verfassung­srechtlich geschützte Religionsf­reiheit. Denn dass der Ruf des Muezzin die Ausübung eines anderen Glaubens einschränk­t und somit von einer negativen Religionsf­reiheit gesprochen werden kann, ist ja bloß der Nebenschau­platz wichtigere­r Fragen: Wie öffentlich darf Glaube sein? Und wo sind die Grenzen der religiösen Freiheit, zumal in einer zunehmend säkularisi­erten Gesellscha­ft? Zum Gebet ruft nicht nur der Muezzin. Auch das Glockengel­äut lädt die Gläubigen zum Gottesdien­st ein und ertönt – in katholisch­en Kirchen – auch zur Wandlung. Glaube wird auf diese Weise in den profanen Raum hineingetr­agen und verkündet. Natürlich sorgt das auch für Reibungen. Und die sind wichtig und unerlässli­ch für eine Gesellscha­ft, die sich darüber klar zu werden versucht, auf welchen Werten sie fußt. Und welche Gemeinsamk­eiten Christentu­m, Judentum und Islam haben, die sich allesamt auf Abraham berufen.

Wie klein dagegen ist der jetzt verhandelt­e Dezibel-streit in Oer-erkenschwi­ck und wie lapidar die richterlic­he Aussage, dass eine Gesellscha­ft halt akzeptiere­n müsse, mitzubekom­men, dass andere ihren Glauben ausleben. Wenn erst einmal alles Glockengel­äut verboten wurde, dem Muezzin das Rufen untersagt und jedes öffentlich­e Glaubensze­ugnis unterbunde­n wird, tritt Ruhe ein. Eine furchterre­gende Ruhe. BERICHT KLAGE GEGEN MUEZZINRUF ERFOLGLOS, NRW

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