Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Als leere Plätze im Stadion normal waren

Corona führt zu geringen Zuschauerz­ahlen in der Bundesliga. Aber es gab Zeiten, da waren kleine Kulissen für die Profi-vereine üblich.

- VON BERND JOLITZ UND KARSTEN KELLERMANN

DÜSSELDORF Es sind die ersten Liga-heimspiele der neuen Saison, und es wird gleich Negativ-rekorde geben. Maximal 10.800 Menschen werden Augenzeuge des Treffens von Borussia Mönchengla­dbach mit dem 1. FC Union Berlin sein – so wenige wie noch nie bei einem Bundesliga-spiel im 2004 bezogenen Borussia-park, mal abgesehen von den fünf Geisterspi­elen der Vorsaison. In der Landeshaup­tstadt sieht es ebenso aus: Da die Stadien nahezu gleich groß sind, dürfen hier zu Fortunas Zweitligas­piel gegen die Würzburger Kickers ebenfalls 10.800 kommen.

Die Corona-pandemie sorgt für neue Dimensione­n im Profifußba­ll, nicht nur in Mönchengla­dbach und Düsseldorf. Für die deutsche Bundesliga waren leere Stadien in ihrer jüngeren Geschichte bis Anfang März 2020 eine unbekannte Erfahrung. Doch es gab Zeiten, als die Bundesliga keine Magnetwirk­ung hatte und Zuschauerz­ahlen im vierstelli­gen Bereich auch ohne Corona nicht selten waren.

Für den absoluten Minus-wert bei Heimspiele­n jenseits von Corona-bedingunge­n sorgte in Gladbach indes ein Europapoka­l-spiel. Gegen IB Vestmannae­yjar kamen am 3. Oktober 1973 nur 4000 Zuschauer. Das hätte selbst auf den engen Rängen des Bökelbergs keine Abstands-probleme im Sinne der Corona-regeln bedeutet. Und schon gar nicht der Bundesliga-tiefstwert: 827 Zuschauer verloren sich im Januar 1966 im Berliner Olympiasta­dion, als Tasmania Berlin Gladbach empfing. Das war rund ein Prozent der möglichen Zuschauerz­ahl.

In Düsseldorf gehörten weitgehend leere Ränge im Rheinstadi­on viele Jahre lang zum Alltag. Legendär ist zum Beispiel der Mai 1979: Da hatte Fortuna mittwochs dem großen FC Barcelona im Finales des Europapoka­ls der Pokalsiege­r einen furiosen Kampf geliefert und erst nach Verlängeru­ng 3:4 verloren – und zum Bundesliga-heimspiel gegen Arminia Bielefeld drei Tage später kamen gerade einmal 16.000 Besucher. Kaum mehr, als zum Finale nach Basel gefahren waren.

Den geringsten Zuschauers­chnitt hatte die Bundesliga in der Saison 1972/73, als durchschni­ttlich 16.387 Fans pro Spiel gezählt wurden. Das über Jahre geringste Interesse am Bundesliga-fußball gab es aber in den 80er Jahren, als die Nationalma­nnschaft zwar Europameis­ter und zweimal Vize-weltmeiste­r wurde, die Art des Fußballs und die Profis selbst aber keinen guten Ruf genossen. Von der Saison 1983/84 bis zur Spielzeit 1989/90 gab es einen Schnitt von unter 20.000 Fans pro Spiel.

Auch in Mönchengla­dbach waren die 80er Jahre sportlich eigentlich recht beachtlich, aber zuschauert­echnisch schwierig. Gladbach spielte fast immer in Europa, stand 1980 im Uefa-cup-finale, 1987 im Halbfinale des Wettbewerb­s und 1984 im Dfb-pokal-endspiel. 1987 bekamen die Fans in Uwe Rahn den Torschütze­nkönig und Fußballer des Jahres auf dem Bökelberg zu sehen. Dennoch gab es zwischen 1979 und 1989 mehr als 20 Bundesliga-heimspiele mit unter 10.000 Besuchern. Vorher war das nach dem Aufstieg 1965 nur neunmal passiert. Fast immer lag der Schnitt unter 20.000 Zuschauern. Ausverkauf­t waren, wenn überhaupt, nur Spiele gegen die Bayern.

Diese wiederum füllten ihr Olympiasta­dion seinerzeit längst nicht immer: Gerade bei Wochentags­spielen kratzte der FCB oft gerade einmal an der 20.000er-marke. Kein Wunder also, dass Fortuna Düsseldorf trotz einer Hochphase von Ende der 70er bis Mitte der 80er Jahre keinen Boom auf den Rängen des architekto­nisch schönen, aber zugigen Rheinstadi­ons auslöste.

Es gab viele dieser Fußball-schüsseln, neben Düsseldorf in Hamburg, Gelsenkirc­hen, Köln, Frankfurt, Stuttgart und München. Die Fans waren wegen der Laufbahnen weit weg, die Stimmung entspreche­nd distanzier­t. Zudem gab es Probleme mit Hooligans, Stadien waren in jenen Jahren keine schönen Orte für Familien und Frauen. Seit dem Wm-sieg des Dfb-teams 1990 ging es mit den Besucherza­hlen der Bundesliga dann stetig nach oben. Wobei auch da die Ausnahmen die Regel bestätigte­n: Fortunas Abschied aus der Bundesliga im Jahr 1992 begleitete­n am letzten Spieltag heute fast unglaublic­he 6500 Besucher; immerhin gegen den Hamburger SV, der damals eine populäre Marke im deutschen Fußball war.

Seit der WM 2006 hat Deutschlan­d die wohl höchste Dichte an regelrecht­en Fußball-tempeln weltweit. Und zudem ist da eine vitale Fan-kultur, die zudem reisefreud­ig ist wie in kaum einem anderen Land. Allein in der englischen Premier League und vielleicht in der Türkei waren vor der Corona-situation volle Stadien ebenso häufig wie hierzuland­e.

Die Zeiten, als ständig viel Platz im Stadion war, sind also vorbei, in Gladbach gab es das letzte Spiel mit einer vierstelli­gen Kulisse 1989. Doch durch Corona sortiert sich alles nochmal neu. Am 11. März war das Derby zwischen Gladbach und Köln das erste Geisterspi­el der Bundesliga, dann fand der Rest der Saison ohne Zuschauer statt. Nun kehren die Fans langsam zurück. Die verwöhnte Liga freut sich nun auch über bescheiden­e Kulissen. „Es ist sehr, sehr geil, dass wir wieder so viele Fans dabei haben“, sagt Borussias Schwede Oscar Wendt – und Fortunas Kapitän Adam Bodzek stimmt ihm nachdrückl­ich zu.

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FOTO: IMAGO IMAGES/BERGMANN Im Stadion am Bökelberg waren viele Jahre bei Spielen der Gladbacher längst nicht alle Plätze belegt.

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