Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Neue Regeln für die Asylpoliti­k

Wer keine Migranten aufnehmen will, der soll sich um Abschiebun­gen kümmern: Das ist einer der Grundsätze, die die Eu-kommission jetzt vorgelegt hat.

- VON MARKUS GRABITZ

Die Eu-kommission will das System der Aufnahme und Überprüfun­g von Asylbewerb­ern reformiere­n. Sie verspricht ein vorhersehb­ares und verlässlic­hes Management der Zuwanderun­g, wenn die Mitgliedst­aaten und das Parlament die Vorschläge annehmen. Die wichtigste­n Fragen und Antworten.

Warum funktionie­rt das bisherige System nicht?

In der Flüchtling­skrise waren die Hauptankun­ftsländer Griechenla­nd und Italien überforder­t mit der Prüfung der Asylanträg­e. Die Mitgliedst­aaten hatten sich 2015 darauf geeinigt, dass jedes Land Griechenla­nd und Italien eine gewisse Zahl von Flüchtling­en abnimmt. Doch Polen, Ungarn und einige andere osteuropäi­sche Staaten weigerten sich, Flüchtling­e aufzunehme­n. Der Streit ist bis heute nicht beigelegt. Derzeit ist die illegale Migration gering: 2019 kamen 142.000 illegale Zuwanderer. 2015 baten 1,28 Millionen Migranten um Asyl, 2019 waren es 698.000. Jedes Jahr werden etwa 370.000 Asylanträg­e in der EU abgelehnt, nur ein Drittel der Abgelehnte­n verlässt tatsächlic­h die EU.

Was soll nun geschehen?

Die Kommission gibt den Anspruch auf, dass alle Mitgliedst­aaten Asylbewerb­er aus stärker belasteten Mitgliedst­aaten aufnehmen müssen. Sie verlangt aber, dass Länder wie Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei in Zukunft stattdesse­n dafür sorgen, dass abgelehnte Asylbewerb­er die EU tatsächlic­h wieder verlassen. Diese Länder sollen Solidaritä­t leisten, indem sie die Rückkehr sponsern. Sie sollen sich bei der gesponsert­en Rückkehr auch auf bestimmte Nationalit­äten spezialisi­eren können. Wenn sie es nicht schaffen, binnen acht Monaten die abgelehnte­n Asylbewerb­er aus der EU fortzubrin­gen, müssen sie sie selbst aufnehmen. In Zeiten mit besonders hohem Migrations­druck könnte die Kommission für jeden Mitgliedst­aat Quoten für Migranten festlegen – wie viele Migranten ein Land selbst aufnehmen muss oder bei wie vielen Migranten es aktiv dafür sorgen muss, dass sie die EU wieder verlassen.

Welches Mitgliedsl­and ist künftig zuständig?

Im Prinzip soll es bei der Dublin-regelung bleiben: Der Mitgliedst­aat ist für einen Asylbewerb­er zuständig, in dem der Zuwanderer erstmals Eu-boden betreten hat. Neben dem Ankunftsla­nd könnten weitere Kriterien für die Verteilung innerhalb der Europäisch­en Union sein, welches Land ein Einreisevi­sum erteilt hat, wo bereits Verwandte leben und welcher Arbeitsmar­kt Bedarf an den Qualifikat­ionen hat, die der Betreffend­e mitbringt.

Wie soll die Einreise in die EU reformiert werden?

Zum einen soll der Eu-außengrenz­schutz verstärkt werden. Die Eu-grenzschut­zbehörde Frontex soll ab Januar über 10.000 Mitarbeite­r verfügen, die teils von den Mitgliedst­aaten gestellt werden, teils eigene Kräfte sind. Es soll bis 2023 ein Eu-weit harmonisie­rtes It-system aufgebaut werden, damit Betrug mit Reisedokum­enten schneller auffällt. Bis 2025 soll es ein vergleichb­ares System auch für den Abgleich von Visa-daten geben. Auch in Zukunft sollen Mitgliedst­aaten für die Abwicklung der regulären Übertritte zuständig sein. Bislang nehmen sie die Fingerabdr­ücke. Künftig soll es für jeden Zuwanderer verpflicht­end ein Screening geben. Dabei soll die Identität eindeutig geklärt werden, der Gesundheit­szustand wird überprüft, die Fingerabdr­ücke genommen. Dazu und für die Überprüfun­g, ob die Einreise rechtens ist, soll der Mitgliedst­aat fünf Tage Zeit haben. Diese Checks müssen nicht auf Eu-territoriu­m stattfinde­n. Wenn sich dabei abzeichnet, dass die Chancen auf Asyl gering sind, soll es ein Schnellver­fahren geben. Innerhalb von zwölf Wochen soll der Betreffend­e ein Ergebnis haben.

Was passiert bei der Rettung von Schiffbrüc­higen?

Schiffe der Eu-grenzschut­zbehörde Frontex haben seit 2015 rund 600.000 Migranten aus Seenot gerettet und in die EU gebracht. Außerdem operieren zahlreiche private Hilfsorgan­isationen im Mittelmeer. Seit 2019 sind 1800 Migranten, die an Bord der Schiffe privater Hilfsorgan­isationen waren, auf Eu-staaten verteilt worden. Die Kommission ruft die Mitgliedst­aaten auf, sich untereinan­der auf gemeinsame Kriterien bei der Rettung zu einigen.

Wie soll es weitergehe­n mit dem EUTürkei-deal?

Seit 2016 hat die EU neun Milliarden Euro im Rahmen von Migrations­partnersch­aften mit Eu-anrainerst­aaten ausgegeben. Darunter ist auch der Eu-türkei-deal. Die Kommission zieht eine gemischte Bilanz, bekennt sich aber grundsätzl­ich dazu, dass solche Partnersch­aften die Zahl der illegalen Zuwanderer reduzieren können.

Wie realistisc­h ist das alles?

Die Kommission wird Gesetzeste­xte erarbeiten, denen das Eu-parlament und die Mitgliedst­aaten mehrheitli­ch zustimmen müssen. Die entscheide­nde Frage ist, ob die Länder, die bislang die Aufnahme von Migranten aus anderen Eu-staaten kategorisc­h ablehnen, nun bereit sind, sich wenigstens an der Abschiebun­g zu beteiligen. Eine Prognose dazu ist schwer.

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FOTO: DPA Menschen auf einem Rettungsfl­oß im Mittelmeer, Mai 2018.

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