Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Sieg gegen Sexismus
ANALYSE In der Ludwig-erhard-stiftung rumort es seit geraumer Zeit, weil ihr bisheriger Vorsitzender Roland Tichy eine rechtspopulistische Publikation betreibt. Eine niederträchtig sexistische Äußerung kostet ihn nun die Position.
Wer sich aus Protest gegen Machtstrukturen, Fehlverhalten oder einzelne Personen aus einer Position zurückzieht, hat davor in der Regel einen Machtkampf verloren. Es geht auch umgekehrt: Mit dem Rückzug der Csu-vize-chefin und Digitalstaatsministerin Dorothee Bär aus der Ludwig-erhard-stiftung begann in diesem Fall ein kurzer, harter, öffentlichkeitswirksamer und für Bär siegreicher Machtkampf.
Die Csu-politikerin hatte ihre Mitgliedschaft in der Ludwig-erhard-stiftung aus Protest gegen den Vorsitzenden der Stiftung, Roland Tichy, gekündigt. „Grund für diese Entscheidung ist eine Publikation in dem Magazin ‚Tichys Einblick’, die frauenverachtende und in höchstem Ausmaß sexistische Äußerungen gegenüber meiner Kollegin Sawsan Chebli enthält“, sagte Bär dem „Handelsblatt“. Was war dem vorausgegangen?
Roland Tichy hatte über den internen Machtkampf in der Berliner SPD berichtet, wo der noch Regierende Bürgermeister Michael Müller und seine Staatssekretärin Chebli um einen Wahlkreis für die nächste Bundestagswahl konkurrieren. Beide wollen 2021 in den Bundestag einziehen. Zu Cheblis Kandidatur schrieb Tichy: „Was spricht für Sawsan? Befreundete Journalistinnen haben bislang nur den G-punkt als Pluspunkt feststellen können in der Spezialdemokratischen Partei der alten Männer.“Das sind ziemlich viele Herabwürdigungen verschiedener Gruppen in nur einem Satz – der Ausfall gegen Chebli verstößt gegen alle Anstandsregeln.
Nun kommen die streitbare Berliner Staatssekretärin Chebli und die Csu-digitalministerin Bär politisch aus verschiedenen Welten. Das Erfreuliche im Jahr 2020: In beiden Welten hat primitiver Sexismus keinen Platz mehr.
Dem Vernehmen nach hat Bär ihren Schritt intern in der Stiftung nicht abgesprochen. Die Wirkung war umso größer. Schon seit Jahren rumort es in der einst so ehrwürdigen Stiftung. Tichy, der seine Publikationen selbst als „liberal-konservativ“einstuft, wird auch von den vielen CDU- und Fdp-nahen Mitgliedern der Stiftung schon länger als Rechtspopulist wahrgenommen. Der Bewerber um den Cdu-vorsitz, Friedrich Merz, hatte 2018 den renommierten Ludwig-erhard-preis abgelehnt, weil er dem Vernehmen nach mit eben diesem Tichy nicht auf einer Bühne stehen wollte.
Der öffentliche Austritt von Bär hat am Mittwochnachmittag zunächst eine Welle des Zuspruchs für die Csu-politikerin in den sozialen Netzwerken ausgelöst. Aus unterschiedlichen politischen Lagern wurde sie für ihre Solidarität mit der Spd-politikerin gefeiert. „Ich bin Dorothee Bär dankbar, dass sie diesen mutigen Schritt gegangen ist. Damit hat sie die Chance eröffnet, dass sich die Ludwig-erhard-stiftung neu und zukunftsfähig aufstellt und dass das Erbe Erhards in dessen Sinne erhalten wird“, sagte die frühere Vize-vorsitzende der Stiftung, Nrw-umweltministerin Ursula Heinen-esser unserer Redaktion. Sie formulierte auch die Stimmung, die sich in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag unter den Mitgliedern verfestigte: „Der Rückzug Roland Tichys vom Vorsitz der Ludwig-erhard-stiftung war zwingend erforderlich. Sexistisch-frauenfeindliche Artikel sind mit den Grundsätzen und Zielen der Stiftung definitiv nicht vereinbar.“
Bereits am frühen Donnerstagmorgen zeichnete sich ab, dass Roland Tichy als Vorsitzender seinen Hut wird nehmen müssen. Am späten Vormittag wurde die entsprechende Nachricht öffentlich. Zuvor hatten Gesundheitsminister Jens Spahn und der Chef der Mittelstandsvereinigung der Union, Carsten Linnemann, erklärt, ihre Mitgliedschaft ruhen zu lassen. Die Ludwig-erhard-stiftung sei eine Institution mit langer Tradition und dem Erbe des Namensgebers verpflichtet, betonten die beiden Cdu-politiker. Leider sei seit geraumer Zeit eine Debattenkultur von führenden Vertretern der Stiftung festzustellen, die dieser Verantwortung nicht gerecht würden.
Der umstrittene Publizist hatte 2014 den Vorsitz der Ludwig-erhard-stiftung übernommen. Damals hatte es zunächst Bemühungen gegeben, die Europapolitikerin Godelieve Quisthoudt-rowohl zur Vorsitzenden zu machen. Die rechtspopulistischen Umtriebe des Vorsitzenden führten dazu, dass die aktiven Politiker in der Stiftung sich immer mehr vom Vorstand distanzierten.
Nun soll am 30. Oktober ein neuer Vorsitzender oder eine neue Vorsitzende gewählt werden. Auch die bisherigen Stellvertreter, Oswald Metzger und Schatzmeister Alexander Tesche werden nicht mehr antreten. Auch Metzger ist eine streitbare Persönlichkeit; er war Mitglied bei der SPD, bei den Grünen und schließlich in der CDU. Für die Grünen saß er jahrelang im Bundestag. Zuletzt hat er das Büro von „Tichys Einblick“geleitet. Der Weg ist also frei für einen Neuaufbruch und einen Generationenwechsel in der Stiftung, die nach dem Mann benannt ist, der für die Union das noch heute hoch gehaltene Prinzip der sozialen Marktwirtschaft in die reale Politik getragen hat.
Zu dem auf 75 Mitglieder begrenzten Kreis der Stiftung gehört auch die frühere Fdp-generalsekretärin Linda Teuteberg, deren Name für die mögliche Nachfolge an der Spitze der Stiftung bereits gefallen ist. Sollte die Liberale die Aufgabe tatsächlich übernehmen, wäre dies eine interessante Pointe einer Woche, die mit der Debatte über den Herrenwitz von FDP-CHEF Christian Lindner auf Kosten von Teuteberg begonnen hatte und im Rückzug eines Stiftungsvorsitzenden wegen einer niederträchtig sexistischen Äußerung endete. Zumal der Rücktritt erzwungen wurde durch die Solidarität von Frauen über Parteigrenzen hinweg.
„Ich bin Dorothee Bär dankbar, dass sie diesen mutigen Schritt gegangen ist“Ursula Heinen-esser Vize-vorsitzende der Stiftung