Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
„Fall Heße“überschattet Bischofskonferenz
Die Studie einer Münchner Anwaltskanzlei wirft dem heutigen Hamburger Erzbischof mangelnde Aufklärung in seiner Kölner Zeit vor.
FULDA/HAMBURG Auf ihrer Herbstvollversammlung in Fulda haben die deutschen Bischöfe beschlossen, dass es ab dem 1. Januar 2021 im Bereich der katholischen Kirche einheitliche Zahlungen für Opfer sexuellen Missbrauchs geben soll. „Wirklich alle Betroffenen sollen Zugang haben zu einer einheitlichen, unabhängig gesteuerten und transparenten Lösung in diesem Bereich“, so der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Limburgs Bischof Georg Bätzing. Dabei werde man sich an den Gerichtsentscheidungen zu Schmerzensgeldern orientieren und dabei „den Referenzpunkt im oberen Bereich ansetzen“. Konkret seien Zahlungen von bis zu 50.000 Euro möglich. Die genaue Höhe der Zahlungen soll dann von einem unabhängig besetzten Expertengremium für jeden Einzelfall festgesetzt werden.
Auch bei der Aufklärung von Missbrauchsfällen sollen Fortschritte gemachten werden. So beginnt die Internetseite des Hamburger Erzbistums derzeit mit einer Absichtserklärung, laut der die Bistümer Hamburg, Hildesheim und Osnabrück die „Aufklärung und Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch künftig gemeinsam weiter vorantreiben“wollen, wie es heißt. Unterdessen werden dem Hamburger Erzbischof Stefan Heße gerade in diesem Punkt aus seiner Zeit als Personalchef und Generalvikar im Kölner Erzbistum „Unzulänglichkeiten, einschließlich fehlender Opferfürsorge“vorgeworfen. Das jedenfalls geht aus einer Studie hervor, die der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki bei der Münchner Anwaltskanzlei Westpfahl, Spilker, Wastl in Auftrag gegeben hat. Ziel der bis heute unveröffentlichten Untersuchung ist es, früheres Versagen und Schuld in der Bistumsleitung ausfindig zu machen und zu benennen.
In der Studie soll mehrfach der Name des seit fünf Jahren amtierenden Erzbischofs von Hamburg auftauchen, dem fehlendes Problembewusstsein in Fällen des sexuellen Missbrauchs durch Kleriker unterstellt wird. In einem Interview mit der „Zeit“-beilage „Christ und Welt“streitet Heße die Vorwürfe ab. „Für mich kann ich ausschließen, dass ich jemals versucht hätte, Täter zu schützen oder Taten zu vertuschen“, sagte er. Allerdings gibt Heße auch zu bedenken, dass er erst im Laufe der Zeit gemerkt habe, wie tief der Abgrund des sexuellen Missbrauch durch Kleriker sei, in den man geschaut habe. „Ich persönlich nehme für mich in Anspruch, dass ich meine Verantwortung wahrgenommen und nicht vertuscht habe. Ich habe immer hin- und nicht weggeschaut. Ob ich immer alles gesehen und richtig gemacht habe, ist eine andere Frage. Es sind Fehler passiert und sicher auch mir“, so der 54-Jährige.
Auf Anfrage der Rheinischen Post fügte der Erzbischof hinzu: „Ich habe von Anfang an eng mit der Münchner Kanzlei Westphal, Spilker, Wastl, die für das Erzbistum Köln die Untersuchung erarbeitet, kooperiert. Ich bin der Auffassung, dass ich in den Fällen, die dort aufgeführt werden, mit guten Argumenten und Hinweisen auf handwerkliche Unzulänglichkeiten in der Recherche eine vollkommen gegenteilige Sicht der Dinge aufgemacht habe: Wir haben die Fälle, mit denen dieser Befund von den Münchner Anwälten begründet wurde, anhand der Akten überprüft, die uns allerdings erst nach mehrmaligem Drängen zur Verfügung gestellt wurden. Danach hat der Befund der Münchner Kanzlei keinerlei Grundlage.“
Im Gespräch mit „Christ und Welt“gibt Heße einen Einblick, wie damals im Kölner Erzbistum unter Kardinal Joachim Meisner (1933– 2017) mit Personalakten im sogenannten Geheimarchiv verfahren wurde. Dort seien die Fälle gelagert, die man der normalen Personalakte entziehen wollte, damit ein gewisser Persönlichkeitsschutz besteht. Dieses Archiv sei nach den Worten des Erzbischofs auch „Herrschaftswissen“gewesen: „Und es waren die delikaten Fälle: Es war all das, was nicht vorkommen sollte.“Es gab nach seinen Worten „den Ritus, die Akten nach zehn Jahren durchzuschauen und zu vernichten. Ich habe das einmal erlebt und mir zunächst noch wenig dabei gedacht“. Bis ihm eine Betroffene erzählte, was ihr geschehen war und darauf hinwies, dass das ja in den Akten nachzulesen sei. Diese aber gab es nicht mehr. „Ich habe dann sofort klargemacht: Solche Akten müssen erhalten bleiben“, sagt er heute.
Einzelheiten über die Vorgänge im Erzbistum über den Umgang mit Fällen und Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs durch Kleriker wird erst die publizierte Studie zeigen. Eine Veröffentlichung war für den 12. März dieses Jahres angekündigt, wurde aber wegen „datenschutz- und persönlichkeitsrechtlicher Bedenken“kurzfristig wieder abgesagt. Einen Tag vor der betreffenden Pressekonferenz soll der Justiziar des Hamburger Erzbistum erklärt haben, die Studie sei rechtswidrig.
Bischof Georg Bätzing machte unterdessen in Fulda deutlich, dass er es unterstütze, wenn in Aufarbeitungsprozessen in den einzelnen Bistümern konkret auch Namen von Verantwortlichen genannt würden: „Das ist ein reinigender Prozess, er kommt vor allem den Betroffenen zu Gute.“