Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Unerfahrene Klinik, viele Tote
Die Krankenkasse Barmer hat die Komplikationen nach Operationen wie Darm- und Pankreas-krebs untersucht: Wenn Patienten nur in erfahrene Kliniken gehen würden, könnte es Tausende Tote weniger geben.
DÜSSELDORFBEI Notfällen haben Patienten keine Wahl; Rettungskräfte bringen sie in das nächstgelegene geeignete Krankenhaus. Doch ein großer Teil der Operationen ist planbar. Und hier sollten Patienten viel besser hinschauen, welcher Klinik sie sich anvertrauen. Denn bei der Behandlungsqualität gibt es große Unterschiede, wie der aktuelle Krankenhaus-report der Barmer Krankenkasse belegt.
Danach kommt es bei vielen Operationen umso häufiger zu Komplikationen, erneuten Einweisungen oder gar zum Tod, je weniger Erfahrung eine Klinik mit diesen Eingriffen hat. „Gelegenheitschirurgie gefährdet Leben“, warnt die Barmer. Jedes Jahr sterben demnach in Deutschland etwa 100.000 Menschen nach einer Operation im Krankenhaus. Allein bei Eingriffen wie Pankreas- und Darmkrebsoperationen könnten demnach in zehn Jahren knapp 3800 Todesfälle verhindert werden, wenn diese Operationen in Krankenhäusern mit doppelt so hohen Fallzahlen vorgenommen würden.
Was ist das Ergebnis bei Krebs-operationen? Die Experten des Essener Instituts RWI haben die Daten von Barmer-patienten analysiert und kommen bei Krebskranken zu einem eindeutigen Ergebnis: Bei der örtlichen Entfernung von Darmkrebs-tumoren verringert eine Verdopplung der Fallzahl die Sterblichkeit von 4,4 Prozent auf 3,6 Prozent. Das heißt: In unerfahrenen Kliniken ist die Gefahr, binnen 30 Tagen nach der Darmkrebs-operation an den Folgen zu sterben, deutlich höher als in erfahrenen Kliniken. Als erfahren gilt für die Autoren eine
Klinik, die im Schnitt 428 Fälle pro Jahr hat. Auch die Komplikationsrate ist in erfahrenen Kliniken geringer. Ähnlich sieht das Ergebnis bei Operationen von Bauchspeicheldrüsen-krebs (Pankreas) aus. Hier gelten Häuser mit im Schnitt 42 Eingriffen pro Jahr als erfahren.
Was ist mit anderen Operationen? Auch bei Adipositas-operationen (Magenverkleinerung), die der Report ebenfalls untersucht hat, zahlt sich Erfahrung aus. Keine großen Unterschiede zeigen die Daten dagegen bei Wirbelsäulen-operationen. Hier müsste weiter geforscht werden, empfiehlt die Barmer.
Was heißt das für Patienten? Sie sollten bei planbaren Operationen nicht nach räumlicher Nähe, sondern nach Qualität gehen.„vor allem bei komplizierten Eingriffen sollten hohe Fallzahlen und Spezialistenteams bei der Auswahl gewichtiger sein als die unmittelbare Wohnortnähe“, erklärte Barmer-chef Christoph Straub. Dabei geht es nicht um weite Reisen: Die große Mehrheit der Bevölkerung erreiche ein Krankenhaus mit einer hohen Fallzahl innerhalb von einer Stunde, so die Barmer. „Das kann Komplikationen vermeiden und Leben retten“, so Straub. Gerade komplexe Eingriffe, die neben der Operation auch ein Team von Spezialisten erfordern, sollten in Kliniken mit hohen Fallzahlen durchgeführt werden.
Soll man also nur in große Kliniken gehen? Nein, das sagt der Report nicht. Es kommt nicht auf die Größe der Häuser an, sondern die Erfahrung der einzelnen Abteilungen und Operateure. Krankenkassen fordern seit Jahren eine Krankenhaus-reform, die die Kliniken zu mehr Spezialisierungen zwingt. Auch ein kleines Haus kann sehr gut sein, wenn es sich auf bestimmte Krankheiten spezialisiert. „Waldund Wiesen“-häuser, die von allem ein bisschen machen, sind dagegen schlecht für Patienten und Kassen-finanzen.
Wie finde ich ein erfahrenes Krankenhaus? Patienten sollten vor einer Operation recherchieren und nach Fallzahlen und Erfahrung der Klinik fragen. Manchmal finden sich diese Angaben versteckt in den Qualitätsberichten. Ein Anhaltspunkt bei Krebs-operationen sind auch die Zertifikate der Deutschen Krebsgesellschaft, die sich an Mindestmengen orientieren. Zudem veröffentlichen viele Krankenkassen Rankings. Die AOK Rheinland/hamburg etwa führt regelmäßig Rankings zu Knieund Hüft-operationen durch. Die Barmer fordert, dass ärztliche Fachgesellschaften die Qualitätsdaten für Laien verständlich aufbereiten und öffentlich machen.