Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Wie einst Marschall Pilsudski
Der starke Mann Polens, Pis-chef Kaczynski, soll Chef der Sicherheitsressorts werden. Droht ein autoritäres Regime?
WARSCHAU Anfangs ging es „nur“um ein paar Nerze. Doch vergangene Woche geriet Polens Rechtsregierung im Streit um ein neues Tierschutzgesetz plötzlich ins Wanken. Selbst Neuwahlen standen im Raum. Am Donnerstag dann die Sensation: Der Vorsitzende der rechtskonservativen PIS, Jaroslaw Kaczynski, der bislang nur an der Spitze der Partei stand und als Strippenzieher im Hintergrund Macht ausübte, soll als Vizepremier und Superaufseher für alle Sicherheitsministerien in die Regierung eintreten. „Das wäre für uns alle gut“, sagte der einflussreiche Pis-fraktionschef Ryszard Terlecki und bestätigte damit gleichlautende Medienberichte.
Eine offizielle Erklärung gab es zunächst zwar nicht. Kaczynski führte, wie schon an den Vortagen, weitere stundenlange Gespräche mit dem innersten Machtzirkel des rechtskonservativen Regierungslagers. Doch die Einlassungen seines Vertrauten Terlecki wiesen einen klaren Weg. Der einflussreiche Pis-nahe Publizist Andrzej Potocki kommentierte: „Der Eintritt Kaczynskis in die Regierung ist naheliegend. Das stärkt das Fundament der Koalition.“Vor allem aber dürfte sich die Funktionsweise der Politik in Polen grundlegend wandeln. Denn künftig wäre das Kabinett der Ort für die entscheidenden Machtkämpfe, nicht mehr die Parteizentrale der PIS.
Wie folgenreich das sein könnte, fasste die regierungskritische „Gazeta Wyborcza“am Donnerstag in einem selten knappen Kommentar: „Uff!“In der weiteren Analyse kam die Zeitung dann allerdings zu dem Schluss, dass Kaczynski in Polen bald ähnlich autoritär regieren könnte wie einst der ebenso legendäre wie umstrittene Marschall Jozef Pilsudski zwischen den Weltkriegen. „Kaczynski soll die Aufsicht über das Verteidigungs-, das Innenund das Justizministerium übernehmen. Das ist eine klare historische Analogie.“Tatsächlich ist eine Kabinettskonstruktion angedacht, in der Kaczynski als Chef eines Sicherheitskomitees das letzte Wort in allen Fragen hätte, die in den drei zentralen Ressorts gefällt werden.
Eigentlich hätte da noch Ministerpräsident Mateusz Morawiecki mitzureden. Allerdings ist der polnische Premier durch die jüngsten Machtkämpfe in Warschau ähnlich angeschlagen wie sein schärfster Widersacher, der ganz nach oben drängende Justizminister Zbigniew Ziobro. Das Ringen der beiden, die sich zuletzt auf offener Bühne um das Erbe des 71-jährigen Kaczynski stritten, war im Konflikt um das Tierschutzgesetz eskaliert. Die Neuregelung war ein Herzensanliegen des Katzenliebhabers Kaczynski. Doch Ziobro koppelte seine Zustimmung an eine andere politische Frage. Er wollte Morawiecki mit einer Strafandrohung gegen Beamte wegen einer angeblich falschen Corona-politik unter Druck setzen. Der Dreikampf war so heftig, dass ein Bruch der Regierung noch zu Wochenbeginn drohte.
Zu verstehen ist all das nur, wenn man berücksichtigt, dass sich die Regierungsfraktion der Vereinigten Rechten nicht nur auf die PIS stützt, sondern noch auf zwei kleinere Parteien. Sie waren bei der Wahl 2019 auf einer Liste mit der PIS angetreten und konnten nur so die Fünf-prozent-hürde überspringen. Im Sejm aber verfügen sie jeweils über ein gutes Dutzend Abgeordnete und sind damit Zünglein an der Waage. Eine der beiden Gruppierungen ist Ziobros „Solidarisches Polen“. Die andere Kleinpartei mit dem Namen „Verständigung“wird von dem ehemaligen Vizepremier Jaroslaw Gowin geführt.
Der Chef von „Verständigung“hatte bereits im Frühjahr den Aufstand gegen Kaczynski und die PIS geprobt und eine Verschiebung der Präsidentschaftswahl wegen der Corona-pandemie erzwungen. Der Erfolg der Strategie ließ dann offenbar die Begehrlichkeiten bei Ziobro wachsen, der nun ebenfalls das Gewicht seiner Abgeordneten in die Waagschale warf, um Morawiecki herauszufordern. Doch die beiden hatten die Rechnung ohne Kaczynski gemacht. Am Ende zog der starke Mann Polens die Reißleine und drohte mit Neuwahlen. Die hätten das Aus für die beiden Kleinparteien gebracht. Angesichts dieser Gemengelage prophezeite die gemäßigte Zeitung „Rzeczpospolita“am Donnerstag, dass sich der Machtkampf im Regierungslager fortsetzen werde – auch mit Kaczynski als Oberaufseher im Kabinett. „Der Hass zwischen den Beteiligten ist zu groß.“