Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Schau’n wir mal
Zwischen Wirsing und Kohlrabi werben Peter Paic und Ingo Brohl auf den Wochenmärkten auf den letzten Metern um Stimmen. Wer von den beiden der nächste Landrat im Kreis Wesel wird, ist vor der Stichwahl völlig offen.
KREIS WESEL Man kann nicht behaupten, Peter Paic würde es sich leicht machen. Er ist früh aufgestanden an diesem Freitag, sehr früh. Um kurz nach fünf war er beim Landmaschinenhersteller Lemken in Alpen, um sieben am Bahnhof in Dinslaken und jetzt, um halb 10, hat er nicht einmal Hunger. Paic steht auf dem Wochenmarkt in Wesel-flüren, um ihn herum riecht es nach Wurst, Käse und Fisch. Auf dem Markt muss das Konzept des zweiten Frühstücks geboren worden sein. Aber Peter Paic will nur einen Kaffee. Später. Jetzt hat er zu tun.
Paic trägt eine rote Maske, Aufschrift: #paicpower. Er überreicht den Menschen auf dem Markt eine kleine Karte, an dem ein Spd-kugelschreiber hängt und sagt: „Ich bin der Mann auf dem Bild, nur ohne Maske.“Mehr Interesse als Paic’ Porträt wecken indes die Rosen, die er in der Hand hält. Darf ich eine für meine Frau mitnehmen? Eine Rose würde ich nehmen. So eine Rose können Sie mir auch geben. Wahlkampf könnte ganz einfach sein.
Ist er aber nicht. Peter Paic macht das alles ja nicht bloß, weil er ein sympathischer Zeitgenosse wäre, sondern weil er Landrat des Kreises Wesel werden will. Er will Nachfolger von Ansgar Müller werden, der das Amt 16 Jahre bekleidet hat und nun in den Ruhestand geht. Müller hat sich lange aus diesem Wahlkampf herausgehalten, aber nun steht er auf dem Flürener Wochenmarkt und sagt: „Ich wünsche mir, dass Peter Paic mein Nachfolger wird.“
Nun, das wünschen sich nicht alle. Das macht den Wahlkampf ja so kompliziert, dass es meistens einen Widersacher gibt. Der Widersacher von Peter Paic steht in Gestalt von Ingo Brohl am Donnerstagmorgen auf dem Marktplatz in Xanten. Brohl verteilt keine Rosen, was vielleicht auch daran liegt, dass schwarze Rosen ein eigenartiges Flair versprühen würden. Brohl belässt es bei Papier und Stift.
Eine Frau mit vollen Jutebeuteln ignoriert Brohls Ansprache zunächst, um dann zu sagen: „Ich habe Sie gestern im Fernsehen gesehen.“Und, wie bin ich rübergekommen?, fragt Brohl. „Ja, gut. Ganz gut.“Aha.
Es ist schon richtig, dass Politiker auf die Wirklichkeit treffen, wenn sie sich auf einen Wochenmarkt begeben. Aber das heißt nicht, dass die Wirklichkeit sich eindeutig mitteilen würde.
Ingo Brohl, Begrüßung: Ellbogencheck, hat einen Herrn vor sich, aus dem man nicht sehr schlau wird. Brohl, der Cdu-politiker aus Moers, bittet den Herrn, ihn doch in der Stichwahl zu unterstützen. Stichwahl? „Wir haben doch schon gewählt“, sagt der Herr. Aber nicht die Stichwahl beim Landrat, sagt Brohl. „Ach, der Landrat“, sagt der Herr, „der Quatschkopp.“Und Brohl entgegnet: „Der jetzige vielleicht, aber nicht der künftige.“
Es geht in diesem Gespräch dann noch um den Landrat als Chef der Kreispolizeibehörde, um Rechtsextremismus und den Landesinnenminister Herbert Reul. Ob der Herr wählt und falls ja, wen, ist zu keinem Zeitpunkt ersichtlich. Dennoch hat Ingo Brohl ein paar Minuten in ihn investiert. Wahlkampf lohnt sich nicht immer.
Manchmal aber schon. Eine ältere Dame mit Rollator bemerkt, dass sie Brohl bereits blind gewählt habe. „Jetzt können Sie mich sehen“, sagt Brohl. „Ich kann sehen, was ich für einen Mist gemacht habe“, sagt die Dame. Ein Scherz, natürlich. Das Protokoll vermerkt Heiterkeit.
Wer diese Stichwahl gewinnt, ist in etwa so seriös vorherzusagen wie das Ende der Pandemie. Im ersten Wahlgang hat Ingo Brohl 36,4 Prozent geholt, Peter Paic 31 Prozent. Wären Wahlen simple Rechenspiele, wäre klar, dass der Cdu-kandidat gewinnt. Es ist aber alles deutlich unübersichtlicher.
Im ersten Wahlgang hat es sechs Bewerber gegeben. Niemand weiß, wen die Wähler der Grünen jetzt wählen, oder die Wähler von FDP, Linken und AFD. Und dann ist es so, dass Brohl seinen Vorsprung nicht mitnimmt. Es steht gewissermaßen 0:0.
Bei Wahlen in Bund und Land gibt es im Regelfall keine Überraschungen. Demoskopen haben über Monate erforscht, welche Partei wie abschneidet, und meistens kommt es dann so ähnlich. Bei dieser Wahl aber gibt es keine Forschung. Jede Prognose ist reine Spekulation.
Aber ein gutes Gefühl haben sie beide, die Kandidaten. Peter Paic, Begrüßung: Faustcheck, berichtet von einer überwiegend freundlichen Stimmung. Und tatsächlich wird weder in Xanten noch in Wesel jemand wirklich pampig. Über eine Frau, die Paic länger umwirbt, mit Rose und Kugelschreiber, sagt jemand: „Vergiss sie, die gehört zur dunklen Seite.“Ansgar Müller, der jetzige Landrat, lacht hinter seiner Borussia-mönchengladbach-maske: „Muss es auch geben, wie Schalke.“Soll noch einer sagen, Wahlkampf sei nicht unterhaltsam. Man muss nur auf die Märkte gehen.
Der Wirsing kostet 1,50 Euro, der Kohlrabi 75 Cent und Landratswahlkampf gibt es oben drauf. Es sind nicht gar so viele, die abwinken, keine Lust oder Zeit haben. So digital wie jetzt war der Wahlkampf zwar noch nie, aber eines können sie im Internet nicht verhindern: dass man einfach wegklickt. Auf Marktplätzen mit Menschen geht das nicht, selbst wenn die Maske tragen.
Am Fuße des Xantener Doms trifft Ingo Brohl viele Touristen. Die sind zwar ganz nett, bringen aber keine Stimmen. Zwei Schüler, die sich gerade Milchbrötchen in den Mund schieben, fragt er: Schon wahlberechtigt? Klar. Dann bitte Brohl wählen, sagt Brohl. Sie nicken mit dem Kopf, achten aber mehr darauf, dass keine Rosine auf den Boden fällt.
Was das alles bringt? Keine Ahnung. Den wahrsten Satz spricht eine Frau, die Peter Paic um Unterstützung am Sonntag gebeten hat. Sie sagt: „Schau’n wir mal.“