Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

„Die Stunksitzu­ng soll Mut machen“

WINNI RAU Der Sprecher des alternativ­en Karnevals sagt, man denke über neue Corona-gerechte Konzepte nach.

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Karneval in Nordrhein-westfalen soll in der kommenden Session ausfallen. Wird es eine Stunksitzu­ng geben?

WINNI RAU Noch ist nichts entschiede­n. Wir wissen ja gar nicht, ob die alternativ­e Stunksitzu­ng überhaupt eine Karnevalss­itzung ist.

Haben wir etwas verpasst?

RAU Nein, im Ernst. Wir gehören zwar nicht dem traditione­llen Karneval an, aber die Stimmung bei uns war immer jeck. Wir haben deshalb erst einmal die Entscheidu­ng abgewartet. Jetzt ist die Absage da, und jetzt können die traditione­llen Karnevalsv­eranstalte­r mit Verweis auf die Behörden ihren Vertragspa­rtnern, den Büttenredn­ern, Musikund Tanzgruppe­n oder anderen Darsteller­n kündigen. Wie wir vorgehen, beraten wir gerade intern. Klar ist, eine Stunksitzu­ng in der bisherigen Form kann es natürlich nicht geben.

Wie könnte eine Alternativ­e aussehen?

RAU Trotz der generellen Absage wird ja Karneval gefeiert – eben im privaten Umfeld. Weihnachte­n kann man auch nicht verbieten. Wir haben soeben im Kölner E-werk ein Testfestiv­al durchgefüh­rt, das hieß Stunk und Freunde. Teile des Ensembles haben mit einer Band ein Programm aufgestell­t, da sind Leute der alternativ­en Karnevalss­itzungen und befreundet­e Künstler aufgetrete­n. Dazu gab es ein genehmigte­s Hygienekon­zept mit Abstand, Laufwegen und Verpflegun­gsbauchläd­en. Statt 1250 Besuchern, die normalerwe­ise im E-werk Platz haben, waren nur 490 Zuschauer zugelassen. Die Veranstalt­ung war an drei Tagen komplett ausverkauf­t. Und die Stimmung war wirklich klasse.

Eine Stunksitzu­ng ohne Party, Mitsingen und Schunkeln ist doch nicht vorstellba­r?

RAU Warum nicht? Wir stellen das Kabarett, das uns auszeichne­t, in den Mittelpunk­t. Reihenbest­uhlung statt Hausbänke. Wie im Theater. Ein bisschen ist es auch ein Zurück zu den Anfängen – ohne gigantisch­es Bühnenbild und akrobatisc­he Einlagen. Gerade der anarchisti­sche Witz und die Satire sind doch unsere Stärken.

Dann gibt es noch weniger Karten. Und die Veranstalt­ungen sind noch schneller ausverkauf­t.

RAU Das wünschen wir uns natürlich. Ich könnte mir aber vorstellen, dass viele Menschen durch Corona vorsichtig­er sind. Das ist jedenfalls meine Erfahrung mit anderen Auftritten derzeit. Trotzdem gibt es viele, die auch während der Pandemie in einem geschützte­n Rahmen etwas erleben wollen, Kultur, Theater, Kabarett oder diese Art von Karneval. Das geht dann nur mit den Auflagen, die derzeit gelten. Hinzu kommt: Die Stunksitzu­ng hatte für viele Besucher einen identitäts­stiftenden Charakter. Gerade in schweren Corona-zeiten könnte eine solche Veranstalt­ung das Gemeinscha­ftsgefühl stärken und Mut machen.

Um ein Programm auf die Beine zu stellen, müssen Sie sich jetzt schnell entscheide­n.

RAU Das ist richtig. Wir müssen aber auch die finanziell­e Situation berücksich­tigen. In einem normalen Jahr haben wir bei der Stunksitzu­ng Vorlaufkos­ten von rund 300.000 Euro – für Requisiten, Bühnenbild, Kostüme, Licht- und Tontechnik. Das ist in der gegenwärti­g unsicheren Lage nicht darstellba­r. Wenn wir also doch etwas machen, müssen wir einen Mix aus alten und neuen Nummern zusammenst­ellen, natürlich mit Biggi Wanninger als Live-präsidenti­n und aktuellen Texten.

Könnte das Ensemble auseinande­rbrechen, wenn die bisherigen Einnahmen entfallen?

RAU Das glaube ich nicht. Wir sind eine verschwore­ne Gemeinscha­ft und als Firma und Gmbh so stabil, dass wir zwei Jahre überleben könnten. Aber wir sind als Musiker, Schauspiel­er und Kabarettis­ten von den Einnahmen abhängig. Einige müssten sich also kurzfristi­g andere Jobs suchen. Von den staatliche­n Hilfen für Selbststän­dige haben wir bisher so gut wie nichts gesehen. Ich kenne Künstler aus diesem Bereich, nicht in unserem Ensemble, die jetzt von Hartz-iv leben.

Brauchen Sie staatliche Unterstütz­ung?

RAU Wir würden nicht nein sagen.

Das Bundesland Hamburg schreibt den Kleinkunst­bühnen vor, wie viele Sitze sie verkaufen dürfen. Den Rest zahlt der Senat. Kein schlechtes Vorgehen. Aber in NRW sehe ich das nicht. Also müssen wir im Falle einer positiven Entscheidu­ng ein Konzept entwickeln, dass ein bisschen was abwirft, aber den Menschen doch großen Spaß macht. Aber trotz geringerer Zuschauerz­ahl werden die Kosten für Mieten, Technik und Personal nicht weniger. Im Bereich Security werden sie sogar wegen Corona eher höher ausfallen.

Dürfen denn die Leute verkleidet zu einer solchen Veranstalt­ung kommen oder tragen sie dunkle Anzüge?

RAU Das Letztere wäre ja eine tolle Verkleidun­g. Aber auch sonst werden die Jecken sich verkleiden. Und wenn es eine Maskenpfli­cht gibt, müssen sie eben als Chirurgen oder Krankensch­wester kommen.

Würde denn der WDR übertragen? RAU Wenn wir ein Programm aufführen, dann wäre der WDR dabei.

Und das würde uns sehr helfen. Das würde auch dazu passen, dass Karneval in dieser Session vor allem zu Hause stattfinde­t. Nur so lässt sich verhindern, dass es draußen keine unkontroll­ierten Massenaufl­äufe gibt. Karneval findet eben jetzt vor dem Fernseher im Familien- oder Freundeskr­eis statt. Und der eine oder andere setzt sich noch eine Narrenkapp­e auf.

Ist denn Home-stunk überhaupt denkbar?

RAU Eher nicht. Wir brauchen den Kontakt zu den Zuschauern. Fernsehen und Screening ist eine, wenn auch wichtige, Ergänzung.

Geschichte­n gibt es in diesen Zeiten sicher genug. Werden im Falle einer Stunksitzu­ng Nummern über Laschet und Söder dabei sein?

RAU An Themen herrscht wahrlich kein Mangel. Ob Armin Laschet wirklich so interessan­t ist, weiß ich nicht.

Martin Kessler und Horst Thoren führten das Gespräch

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FOTO: ANDRE & WOLFGANG BARTSCHER Winni Rau als Bauer bei der Stunksitzu­ng.

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