Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Eine Rüstung aus der Varusschlacht
Archäologen haben bei Osnabrück einen römischen Schienenpanzer aus der Zeit um Christi Geburt entdeckt.
BRAMSCHE Lange wussten die Archäologen des Varusschlacht-museums Kalkriese bei Osnabrück nicht, was sie da für einen Schatz gehoben haben. Jetzt gab das Haus bekannt, dass es sich bei dem bereits 2018 entdeckten Bodenfund um etwas weltweit einzigartiges handelt: einen fast komplett erhaltenen Schienenpanzer aus der Römerzeit. Das Museum will die Rüstung in den kommenden Jahren restaurieren und 2023 ausstellen. Für Archäologen ist der Fund unschätzbar, denn er liefert viele neue Erkenntnisse über die Entwicklung des römischen Militärwesens, die Rüstungsfertigung und möglicherweise über ein mysteriöses Ereignis, das sich direkt nach der Varusschlacht im Jahr 9 nach Christus abgespielt hat.
„Da ging bei uns das Kopfkino an“, erzählt Stefan Burmeister, Archäologe und Geschäftsführer des Museums und Parks Kalkriese. Mit einer Metallsonde stießen die Forscher 2018 bei einer Untersuchung der Bodenschichten des Varusschlachtfelds auf ein großes Eisenobjekt: „Wir dachten schon daran, dass es ein Schienenpanzer sein könnte, aber sowas findet man eigentlich nicht.“Die Forscher legten es soweit frei, dass sie es zum Flughafen Münster/osnabrück transportieren konnten, um es dort mit der Technik zur Gepäckdurchleuchtung zu röntgen. „Da haben wir dann gesehen, dass wir nichts sehen“, sagt Burmeister. Das Gerät war nicht in der Lage, mehr Informationen über die metallene Masse zu liefern. Erst die laut Burmeister weltgrößte Ct-anlage am Fraunhofer-institut in Fürth zeigte: Das Fundstück ist eine zusammengesunkene, aus rund 30 Eisenplatten bestehende römische Legionärsrüstung.
„Sie zeigt uns technische Details, die man noch nie gesehen hat“, sagt Burmeister. Lange mussten sich Forscher auf grobe historische Darstellungen stützen, die nichts über den Grad der Handwerkskunst und Metallverarbeitung der Römer in den Jahrhunderten um Christi Geburt verrieten. Der neueste Fund überraschte die Wissenschaftler: Der Panzer ist sehr aufwendig gefertigt, zeigt Reste von Lederriemen, versilberte Schnallen, die am Körper anliegenden Platten sind mit Messingstreifen umbördelt, „um den Tragekomfort zu erhöhen, oder als
Zierde“, sagt Burmeister: „Der Panzer hat das Bild, das wir von römischen Rüstungen hatten, nicht bestätigt, sondern völlig neu gezeichnet.“Auch die Art der Rüstung widersprach dem gängigen Bild, das die Wissenschaftler von Schienenpanzern hatten: Anders als bei späteren Modellen fanden sich keine Elemente an der Rüstung, die Oberarme und Achseln schützten: „Sie hat eher die Form eines Hemdes oder einer Weste.“
Und noch etwas ist ungewöhnlich an der Entdeckung bei Kalkriese. Direkt neben der Rüstung fand sich eine sogenannte Halsgeige, ein römisches Fesselinstrument aus Metall, dass die Hände nahe dem Hals fixiert. Burmeister und seine Kollegen hegen die Vermutung, dass sie auf eine Opferszene gestoßen sind: Die Germanen unter Arminius könnten nach der Schlacht einen Legionär des besiegten Varus mit den römischen Fesseln gebunden und zu Ehren ihrer Götter hingerichtet haben: „Es sieht danach aus, dass die Rüstung in Zusammenhang mit der Halsgeige steht“, sagt Burmeister: „Das ist aber noch nicht spruchreif.“