Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Klein, aber Wein
Im fränkischen Spätsommer ist das Städtchen Iphofen einen Ausflug wert. Und dort kommt man vielleicht ganz wie der Autor Kurt Tucholsky 1927 auf den Gedanken: „Schade, dass man Wein nicht streicheln kann.“
Zwischen Steigerwald und Spessart dreht der Main eine große Schleife. Dort, im Weinland bei Würzburg, ist die Traubenlese vollbracht, die Zeit der Genießer hat begonnen. Aber im Corona-jahr finden viele der traditionellen Feste gar nicht oder nur im kleinen Format statt. Die Wanderung entlang der vielen idyllischen Weindörfer aber lohnt allemal, nicht zuletzt mit einem Buch von Kurt Tucholsky im Gepäck.
Es war 1927, als Tucho, wie seine Leser ihn damals nannten, der ebenso scharfzüngige wie melancholisch veranlagte Autor, mit seinem Freund Karlchen durch Mainfranken bummelte, durch Würzburg, Ochsenfurt und besonders intensiv durch Iphofen, südöstlich von Kitzingen gelegen, ein Stück vom Fluss entfernt: „Iphofen ist ein ganz verschlafenes Nest, mit sehr aufgeregten Gänsen auf den Straßen, alten Häusern und einer begrasten Stadtmauer ...“
Der Marktplatz ist kopfsteingepflastert wie zu Tucholskys Zeiten. Der Flair des Südens liegt über der dem Städtchen, ein Duft nach Leichtigkeit. In manchen Innenhöfen wachsen Oliven und Zitronen in dicken Weinfässern. Am barocken Rathaus wollen alle die „Hundslöcher“sehen, in denen im Mittelalter jene Übeltäter büßen mussten, die über die Stränge geschlagen hatten. Die Stadtführerin erzählt von kleinen Anekdoten und großer Kunst, von altem Wein und jungen Ideen.
Eine vielfältige Gastronomie rundet das Bild ab, bodenständig und renommiert wie etwa der Zehntkeller, der heute biologisch angebauten Wein vom eigenen Gut anbietet, zumeist gereift im Barrique-keller aus dem Jahre 1883. Tucho und Karlchen haben hier gern und lange gehockt: „Als wir das erste Glas getrunken hatten, wurden wir ganz still. der Wirt hatte einen 17er auf dem Faß, der war hell und zart ... schade, dass man einen Wein nicht streicheln kann ...“Oder die Iphöfer Kammer, geführt von Heidrun Kaufmann, die Franken mal als Weinkönigin repräsentiert und später Iphofens erste Vinothek eröffnet hat.
Schon glänzt überall in Mainfranken der junge Wein, der Bremser, in den Gläsern. Er passt zu den Spezialitäten der Saison, in der Steinpilze und demnächst wieder Rehbock und Rebhuhn auf den Karten stehen. Danach ein Dessert von fränkischen Zwetschgen oder ein Steigerwälder Bauernkäse, dazu ein Iphöfer Burgweg, fruchtig und vollmundig, Herz, was willst du mehr, oder um es mit Tucholsky zu sagen: „Das ganz große Glück ...“
Durchs Rödelseer Tor führt der Weg aus Iphofen hinaus, Richtung Kitzingen, entlang großer Geschichte und großen Weinen: Schloss Schwanberg liegt am Wegesrand. Viele Legenden ranken sich um den Hügel, mit jedem Glas werden sie fantasievoller. Wahr ist hingegen, dass die steilen Kanten des Steigerwaldes zu den besten Lagen Weinfrankens gehören, Schwanleite, Steige, Zabelstein und mehr, auf 1500 Hektar Rebfläche.
„In Ochsenfurt ... haben wir am äußersten Stadttor einen Ratsdiener gesehen, der stand da und regelte den Verkehr. Die Ochsenkutscher, die Mist karrten, streckten den linken Arm heraus ...“
Viel zu regeln gibt es dort auch heute nicht. Noch immer präsentiert sich das Städtchen wie nach alten Bildern eingerichtet: Gräben, Tore, Türme, dicke Mauern und das Rathaus aus dem 15. Jahrhundert. Eine Spieluhr an seinem Turm erinnert an die Vergänglichkeit im Allgemeinen und an die Stadtgeschichte: „Als die Uhr auf dem Rathaus sechs schlug ... stürmten (wir) hinaus, um uns anzusehen, wie die Apostel ihre Köpfe herausstreckten, die Bullen gegeneinander anliefen und der Tod mit der Hippe nickte.“
Langsam geht es am Main entlang in Richtung Würzburg. Die Weinberge leuchten in goldenen und rotbraunen Tönen:
Es herrscht der fränkische Indianersommer. Eben sind wir noch am westlichen Mainufer durch Winterhausen gebummelt, dann, neuen Horizonten und dem östlichen Mainufer entgegen, fahren wir über die Brücke nach Sommerhausen. Das Städtchen hat 1500 Einwohner, viele Künstler, zwei Theater und ist renommiert weit über Franken hinaus.
Noch ein paar sanft-wellige Rebenhügel, hier und da ein Gasthof, der einfache Sinnenfreude verheißt. Dann endet mit der Auffahrt zur Autobahn die kleine Auszeit in Mainfranken. Wir nehmen uns vor, Tucholsky wieder häufiger zu lesen, sein „Pyrenäenbuch“zum Beispiel, auch „Rheinsberg“, „Schloss Gripsholm“, oder, zum Nachträumen, die Wandererinnerungen aus dem Spessart, aus dem die Zitate in diesem Artikel stammen, Reiseverführer allesamt. Mit einem Augenzwinkern und sanfter Traurigkeit führen sie zu heiteren Wundern.