Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Helden der Vorstadt
Mit den „Peanuts“schuf der Zeichner Charles M. Schulz vor 70 Jahren eine Comic-familie, die bis heute weltweit Menschen begeistert. Weil es ihr gelingt, Witz und Weisheit zu verbinden.
Wir rennen an, wieder und wieder, und wissen doch um die Vergeblichkeit unseres Tuns. Wie Charlie Brown, der immer aufs Neue antritt, einen Football aus Lucys Händen zu kicken, wohlwissend, dass diese ihn kurz vorher wegziehen und er auf die Nase fallen wird. „Oh, no (not again)“, lautet stets sein Kommentar. Was ihn nicht davon abhält, es erneut zu versuchen. Diese kleine Szene ist eine Art Essenz des „Peanuts“-universums, weil sie die wichtigsten Ingredienzien bündelt – es geht um die großen Widersprüche des Lebens, um Vertrauen und Verrat, um Schönheit und Schmerz, um Gewinner und Verlierer. Charlie Brown ist beides, weil er in seiner Welt zwar ein Loser ist, aber die Herzen der Leser schon seit 70 Jahren erobert: Am 2. Oktober 1950 erschien der erste Comic-strip der „Peanuts“aus der Feder von Zeichner Charles Monroe Schulz.
Mit seinen Geschichten aus einer rein kinderzentrierten Welt brachte es Schulz schnell zu beachtlicher Popularität. Denn auch wenn bei den „Peanuts“keine Erwachsenen auftauchen, so spiegeln sie doch deren Lebenshorizont aus einer anderen, ebenso komplexen Perspektive. Nicht ohne Grund wollte
Schulz seine Helden eigentlich als „Li’l Folks“, kleine Leute, titulieren – waren ihre Sorgen, Ängste und Nöte doch dieselben wie die der Großen. Aber er konnte sich nicht durchsetzen, es blieb bei den „Erdnüssen“, oder im übertragenen Sinne, dem „Kleinzeug“. Dem Siegeszug seiner tragikomischen Figuren-familie schadete es nicht. Zu den Bewunderern der „Peanuts“bekannten sich etwa Schriftsteller Umberto Eco, die Ex-us-präsidenten Bill Clinton und Barack Obama sowie der Künstler Christo, der Snoopys Hundehütte verpackte. Bei Literaturkritiker Denis Scheck tauchen die „Peanuts“im Kanon der 100 wichtigsten Werke der Weltliteratur auf.
Sie seien kein „verkleinertes Modell der Menschenwelt, sondern das reale Welttheater kleiner und großer Leute selbst“.
Maßgeblich für den Erfolg war Schulz’ spezielle Art, menschliches Treiben und alltägliche Wirren zu durchdringen und zu verdichten, die Geschichten seiner kleinen Leute auf eine philosophische Fallhöhe zu bringen, die den Leser nicht nur Witz, sondern auch Weisheit entdecken lässt. Alles ist durchzogen von sanfter Melancholie, vom Wissen um die Vergänglichkeit.
Gerade beim intellektuellen Publikum punkteten die „Peanuts“, und Schulz bediente das, indem er etwa seinen kleinen Klavierspieler Schroeder Originalpartituren von Beethoven spielen ließ, auf einem tragbaren Kinderklavier, auf dem die schwarzen Tasten nur aufgemalt sind (wie das denn möglich sei, wird er in einem Strip gefragt. Antwort: „Ich übe viel“). Schulz, der als Soldat an der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau beteiligt war, übertrug eben seine grundsätzliche Skepsis gegenüber dem Dasein an sich und allem irdischen Streben in seine Comics. In seiner Welt wird mehr geseufzt als gelacht, aber das mit Verve. Zumindest meistens.
Denn Charlie Brown schreit auch gerne mal seinen Frust heraus, wenn die von ihm trainierte Baseballmanschaft wieder verliert, sein Drachen sich zum tausendsten Mal im Baum verheddert oder seine Schwester Sally ihn aus dem Zimmer schmeißt. Charlie ist ein hoffnungsloser Tagträumer, den alle ausnutzen, der aber nie aufgibt, an das Gute zu glauben. „Es heißt, wenn man ein besserer Mensch wird, führt man auch ein besseres Leben“, sagt er einmal. Für ihn erfüllt sich das nur bedingt, auch wegen seiner teils gar nicht so freundlichen Freunde.
Allen voran Hund Snoopy, der auf seiner Hundehütte liegend von Luftkämpfen mit dem Roten Baron fantasiert, den kleinen Vogel Woodstock als Sekretär für sich schuften lässt und sich mit Gesten, Tänzen oder Schildern mitteilt. Snoopy ist mittendrin und doch ein Außenseiter, lebt in seiner eigenen verrückten Blase, in der andere Gesetzmäßigkeiten gelten – Charles M. Schulz setzte damit seinem eigenen Hund „Spike“ein Denkmal.
Aber auch das übrige Panoptikum hat es in sich. Da ist Charlie Browns bester Freund Linus, der niemals ohne Schmusedecke herumzieht und gerne philosophische Bonmots von sich gibt. Von ihm stammt der Satz: „Von allen Charlie Browns bist du der Charlie Brownste.“Er glaubt fest daran, dass irgendwann an Halloween „Der große Kürbis“erscheint und alle guten Kinder mit Geschenken belohnt. Oder seine Schwester, die genervte und kratzbürstige Lucy, die andere gerne mal übers Ohr haut, am liebsten aber Charlie Brown. Da ist noch die selbstbewusste, aber schulisch etwas unterbelichtete und an Narkolepsie leidende Peppermint Patty, die lange nicht realisiert, dass Snoopy ein Hund ist. Schulz gestaltete sie angeblich nach dem Vorbild seiner Lieblingscousine. Und Pig Pen, den eine permanente Dreckwolke umhüllt. Oder Marcie, die ihre Freundin Peppermint Patty nur „Sir“nennt. Alle zusammen schleppen so viele Neurosen, Eitelkeiten und verdrehte Vorstellungen vom Leben mit sich herum, dass sich daraus spielend Geschichten formen ließen: Mehr als 17.800 Cartoons waren es am Ende, die in mehr als 2000 Zeitungen weltweit erschienen und rund 90 Millionen Leser erreichten.
Schulz siedelte seine „Peanuts“in einer namenlosen Vorstadt an, zu der ihn wohl seine eigene, mäßig glückliche Kindheit in Minnesota inspirierte. Sein Vater war Friseur, in seinem Salon lagen Comics aus, die der Sohn verschlang. Mit 15 veröffentlichte er seinen ersten Comic-strip, aber erst nach dem Krieg reüssierte er mit seinen existenzialistischen kleinen Leuten, die die Absonderlichkeiten des Lebens auf den Punkt brachten. „Ich weiß nicht, warum wir hier sind“, sagte Schulz einmal. „Ich finde das Leben voller Sorgen und Ängste und Tränen. Es enthält viel Schmerz und kann sehr düster sein. Mir ist es ein totales Rätsel.“
Folgerichtig sperrte Schulz sich auch nicht vor schwierigen Entwicklungen, thematisierte die Us-invasion in der Normandie 1944, den Vietnamkrieg und Schulgebete. Mit dem afroamerikanischen Jungen Franklin hob er 1968 die Rassentrennung im Comic auf. Mehrere Filme mit den „Peanuts“entstanden, „A Charlie Brown Christmas“erzielte Traumquoten und läuft bis heute an Weihnachten im TV. Mit ausschlaggebend für den Erfolg war die Musik des Jazz-pianisten Vince Guaraldi, dessen Kompositionen unter die Zeichentrickfilme gelegt wurden und ihren Charakter maßgeblich prägten. Guaraldis Melodien wurden von Stars wie Dave Brubeck und Diana Krall gecovert, für viele bekannte Jazzmusiker war er eine Inspirationsquelle. Schulz selbst war nicht so davon begeistert, den Erfolg aber sah auch er, und deshalb blieb der Jazz-soundtrack das Markenzeichen der Tv-„peanuts“, auch über Guaraldis Tod im Jahr 1976 hinaus.
Seine Vorstadt-rasselbande machte Schulz schon früh zu einem reichen Mann. Große Us-firmen warben bereits in den 50ern mit den „Peanuts“, allein mit dem Marketing-erlös aus Merchandising-produkten erzielte der Zeichner bis Anfang der 70er rund 150 Millionen Dollar. In seinem früheren Wohnort Santa Rosa in Kalifornien gibt es ein Charles-m.-schulz-museum – die „Peanuts“haben längst ihren Platz im globalen Kulturgedächtnis gefunden.
Um dieses Erbe zu schützen, verfügte der vom Krebs gezeichnete Schulz Ende der 90er, dass die Reihe nach seinem Tod nicht fortgesetzt werden dürfe. Einige Jahre funktionierte das, aber seine Angehörigen hielten sich nicht an das Versprechen. Im Jahr 2015 – 15 Jahre nach dem Tod des Zeichners – kamen die „Peanuts“neu animiert ins Kino. Auch in vielen Zeitungen sind sie zu finden. Den Geist ihres Schöpfers atmen die Neuschöpfungen nur noch bedingt. Aber niemand wusste besser von der Vergeblichkeit unseres Tuns als Charles M. Schulz.