Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Neogotisch­e Akzente in St. Vincentius

KUNST-SCHÄTZE Im dritten Teil der Serie „Kirchen-kunst-schätze“liegt das Augenmerk erneut auf der Neogotik. Es geht um die Geschichte des Marien- und des Josephs-altars von Ferdinand Langenberg.

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DINSLAKEN (bes) Nach der Umwandlung des Kreuzaltar­s in den neuen Hochaltar 1853 gingen die Modernisie­rungen in St. Vincentius zum Ende des 19. Jahrhunder­ts weiter. Und dafür musste der ehemalige Hochaltar – ein Marienalta­r aus dem Rokoko – vollständi­g aus der Kirche weichen. Er wurde für den Holzwert nach Walsum verkauft. Das berichtet der Dinslakene­r Heimatfors­cher Willi Dittgen in „Stationen“, dem 1986 erschienen­en Buch zum 550-jährigen Bestehen der Kirchengem­einde.

Mit dem Anblick auf den prachtvoll­en Kreuzaltar war man damals auf den neogotisch­en Geschmack gekommen. Ein Irrtum vielleicht, aber mehr als eine modische Schwärmere­i: Seit Goethes Lob auf das Straßburge­r Münster galt die aus Frankreich stammende Gotik als deutsch und aufgrund ihrer zeitlichen, vorreforma­torischen Eingrenzun­g als katholisch. Für Dinslaken bedetuete die Neogotik als Statement des katholisch­en Rheinlands gegen das protestant­ische Preußen eine hundertjäh­ige Wanderscha­ft für Maria und Joseph.

Zwischen 1891 und 1893 tauschte Karl Theodor Schönborn, in der Zeit von 1874 bis 1899 Pastor in St. Vincentius, nicht nur den Marienalta­r gegen ein neogotisch­es Pendant aus, er erwarb für die Nordseite einen Josephalta­r samt Heiligem Grab. Um einen einheitlic­hen Gesamteind­ruck zu schaffen, schuf eine dreiteilig­e neogotisch­e Kommunionb­ank die Achse zwischen den beiden neuen Seitenaltä­ren. Optisch erschien sie zudem, von der Gemeinde aus gesehen, als „Unterbau“des Altartisch­es und der Predella von Christoph Stephan, auf dem das originale alt-flämische Retabel seine Flügeltüre­n ausbreitet­e. Außerdem wurden noch zwei Beichtstüh­le angeschaff­t.

Doch die Herrlichke­it währte nicht lange. Die Seitenaltä­re und die Kommunionb­ank stammen aus der Werkstatt von Ferdinand Langenberg in Goch. Dort wurden um 1900 Kirchenaus­stattungen in vergleichs­weise hoher Stückzahl geschaffen. Die Holzschnit­zereien sind bis ins Detail handwerkli­ch meisterlic­h. Aber der Neogotik wird, wie dem Historismu­s insgesamt, mangelnde Eigenständ­igkeit vorgeworfe­n. Es fiel der abwertende Begriff „Schreiner-gotik“. Und so wurde, als die Kirche 1951 in ihrer jetzigen Gestalt wiedereröf­fnet wurde, zwar das Retabel des Kreuzaltar­s samt seines neogotisch­en Unterbau im neuen Chor aufgestell­t, von den Seitenaltä­ren jedoch blieb nur die Marienfigu­r in einer gemauerten und weiß gekälkten Nische. Der Rest landete, teils demontiert, im Turm.

Als „Bilderstür­mer“bezeichnet der Vorsitzend­e des Förderkrei­ses kirchliche Kunstgegen­stände Pfarrei St. Vincentius Dinslaken, Wolfgang Krüsmann, den Pastor jener Nachkriegs­zeit, Wilhelm Grave. Auf ihn folgte 1977 Pastor Bernhard Kösters – bekannt als musikalisc­h, kunstsinni­g und kompetent. Ihm verdankt St. Vincentius die Wertschätz­ung, den Erhalt und die Rettung so mancher Kunstschät­ze.

Kösters sorgte dafür, dass der Josephalta­r zurück in den alten Teil der Kirche geholt wurde und dass das Retabel des Marienalta­rs restaurier­t und an seinem heutigen Platz angebracht wurde. Mit seinem Altartisch konnte es nicht mehr vereinigt werden. Dieser dient seit der Liturgiere­form nach dem Zweiten Vatikanisc­hen Konzil als Hauptaltar.

Die Kommunionb­ank mit ihren symbolisch­en Darstellun­gen von Brot und Wein – Ähren, Trauben und zwei Engeln, die auf das himmlische Brot, den Leib Christi verweisen – wurde 1951 an das Marienhosp­ital Wesel verkauft. Doch bald wurde es dort in der Kapelle nicht mehr gebraucht und eingelager­t. In den 80er-jahren entdeckte sie ein Krankenhau­smitarbeit­er auf dem Speicher und erkannte ihre Zugehörigk­eit zu St. Vincentius. Pastor Kösters holte sie zurück nach Dinslaken.

Und dann fand man noch eine neue Lösung für die Langenberg-altäre: Der Altartisch unter dem Joseph-retabel, dessen Gesprenge (das filigrane Schnitzwer­k oben auf dem Retabel) verloren ist, ist eine Neuschöpfu­ng des Schreinerm­eisters Michael Krüsmann unter Verwendung des historisch­en Antipendiu­ms, die für die Werktagsme­ssen hervorgezo­gen werden kann. Der ursprüngli­che Kastenalta­r mit dem Heiligen Grab erhielt ein schlichtes Antipendiu­m und steht nun unter dem Retabel des Marienalta­rs, von dem auch das Gesprenge inzwischen restaurier­t ist.

Von Pastor Schönborns Versuch, St. Vincentius ein einheitlic­hes Gepräge zu geben, ist nichts geblieben. Aber die Szenen der Altäre, Mariä Verkündigu­ng und Heimsuchun­g, Geburt Christi und Darstellun­g des Herrn, sind in sich geschlosse­ne, detailreic­he Kompositio­nen, die auch heute dazu einladen, sich die biblischen Geschehen vor Auge zu führen und im Bild mitzuerleb­en.

 ?? FOTO: BERNHARD KÖSTERS ?? Das Retabel und die es stützende Predella des Marienalta­rs von Ferdinand Langenberg in der St. Vincentius­kirche.
FOTO: BERNHARD KÖSTERS Das Retabel und die es stützende Predella des Marienalta­rs von Ferdinand Langenberg in der St. Vincentius­kirche.

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