Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Automarkt bricht um fast ein Fünftel ein
In Deutschland wurden 2020 insgesamt 2,92 Millionen Fahrzeuge neu zugelassen – das sind 19,1 Prozent weniger als im Vorjahr.
FLENSBURG/BERLIN Mit dem Jahreswechsel kam das böse Erwachen: Um knapp ein Fünftel ist der deutsche Automarkt im soeben abgelaufenen Jahr eingebrochen: 2,92 Millionen Neuzulassungen zählte das Kraftfahrtbundesamt in Flensburg für 2020. Das waren 19,1 Prozent weniger als im Vorjahr – das ist der tiefste Stand seit zehn Jahren.
An der langfristigen Bewertung dieses Negativtrends scheiden sich jedoch die Geister: Der Absatzeinbruch treffe die Branche wirtschaftlich hart, meint der Verband der Automobilindustrie ( VDA). Nach dem starken Einbruch im Frühjahr hätte es schlimmer kommen können, meint dagegen Jürgen Pieper, Autoanalyst des Bankhauses Metzler. Der Dezember sei mit 311.400 Pkw-neuzulassungen, einem Plus von zehn Prozent, sogar besser verlaufen als erwartet: „Da war die Gesamtwirtschaft ja schon wieder von den Corona-beschränkungen betroffen. In dem Umfeld haben sich die Autokäufer erstaunlich gut gehalten.“
Hinzu kommt: „Viele Privatkunden haben zum Jahresende noch ein Auto gekauft, um von der Mehrwertsteuersenkung zu profitieren“, meint etwa Reinhard Zirpel, Präsident des Verbandes der Internationalen Kraftfahrzeughersteller. Die privaten Neuzulassungen hätten im Dezember um 45 Prozent zugelegt – und damit um Faktor fünf über dem Gesamtmarkt gelegen. Die abgesenkte Mehrwertsteuer könnte durchaus einen Einfluss auf den Kauf gehabt haben, meint auch Autoexperte Pieper. Genauer könne man das nicht beziffern, denn die im Autohandel gewährten Rabatte lägen im Schnitt ohnehin bei rund 15 Prozent.
Einen entscheidenden Anteil am starken Dezember-absatz hatten Elektroautos: Fast jeder vierte im letzten Monat des Jahres verkaufte Neuwagen verfügte über einen Elektroantrieb. „Die Erhöhung der Förderung von Elektroautos durch den Bund von 3000 auf 6000 Euro macht Elektroautos preislich derzeit sehr attraktiv und führt zu einem enorm gestiegenen Interesse an diesem Segment“, sagte Peter Fuß, Autoexperte der Unternehmensberatung EY. Immerhin: Jeder siebte neu zugelassene Pkw fuhr im Dezember rein elektrisch, der Marktanteil versiebenfachte sich auf 14 Prozent; hinzu kamen 39.107 Neuzulassungen von vor allem im gewerblichen Bereich beliebten Plug-in-hybriden. Auf das Gesamtjahr gesehen wurden knapp 395.000 elektrifizierte Fahrzeuge neu zugelassen, das entspricht einem Marktanteil von 13,5 Prozent. Benziner bleiben zwar mit knapp 47 Prozent die klar vorherrschende Antriebsart, doch verloren sie im Ein-jahres-vergleich um gut 36 Prozent. Dahinter liegen Diesel-pkw mit einem Anteil von gut 28 Prozent, was ein Minus von knapp 29 Prozent bedeutet.
Ein Blick auf die Segmente zeigt: Beliebtester Fahzeugtyp waren weiterhin SUV, auf die gut ein Fünftel aller Neuzulassungen entfielen. Eine Besonderheit brachte das Corona-jahr: Gut 40 Prozent mehr Wohnmobile wurden 2020 zugelassen – eine Folge der Beschränkungen bei den Beherbergungen.
Für das laufende Jahr rechnet Vda-präsidentin Hildegard Müller ingesamt mit einer Erholung des deutschen Pkw-marktes: „Dennoch dürfte das sehr starke Vor-corona-niveau vorerst nicht erreicht werden.“Wegen der aktuellen Corona-beschränkungen dürften die Autokäufer in den ersten Monaten noch verunsichert sein, glaubt auch Autoexperte Pieper vom Bankhaus Metzler. Doch das zweite Quartal sei seit jeher ohnehin das wichtigste für den Verkauf von Neuwagen: „Ich glaube, da wird es diese Belebung geben. Die Überschrift wird sein: kräftige Erholung im Frühjahr – und dann kommt vermutlich auch eine Fortsetzung des Booms für Hybrid- und Elektrofahrzeuge.“
Der Zuwachs im Bereich der Plug-in-hybride wird von Umweltschützern jedoch auch kritisch gesehen. Sie vermuten, dass viele Besitzer von doppelmotorigen Fahrzeugen den Elektroantrieb kaum nutzen, aber gerne die staatliche Förderung kassieren. „Diese schöne Geschichte von dem Kabel, das ungenutzt im Kofferraum liegt, da ist was dran, aber es ist auch nicht die volle Wahrheit“, meint Pieper. Denn zunehmend kontrollierten die Behörden, ob die Hybridautos auch elektrisch genutzt würden und nicht nur der Diesel- oder Benzinmotor.
Trotz des Booms wurde aber auch 2020 nicht das Ziel von einer Million Elektroautos erreicht, das die Bundesregierung einst ausgerufen hatte. „Das wird auch 2021 nicht zu schaffen sein“, schätzt Ey-experte Fuß. Allerdings hätten die Hersteller angesichts noch höherer Anforderungen im neuen Jahr noch größeres Interesse daran, elektrifizierte Modelle in großer Zahl auf die Straße zu bringen, um die ambitionierten Co2-vorgaben einzuhalten und Strafzahlungen zu vermeiden.