Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Keine individuelle Angelegenheit
Maskenpflicht
In „Maskenpflicht bleibt auch für Geimpfte“(RP vom 21. Dezember) fokussiert Herr Friedrich Merz auf die Vorstellung, die Verfassung gehe aus von Individualrechten. Aus diesem Grund sei eine Maskenpflicht für Geimpfte nicht haltbar. Juristisch mag das angehen, aber hier geht es um Gesundheit, und Gesundheit ist nie eine individuelle Angelegenheit. Gesundheit ist immer ein kollektives Phänomen, und damit ist nicht
Volksgesundheit gemeint! Die Pandemie wirft uns ein ums andere Mal auf dieses Faktum unabweisbar zurück. Außerdem gibt es in Deutschland keine Verfassung wie in Amerika, sondern wir haben ein Grundgesetz. Dieses Grundgesetz stellt die Würde des Menschen ins Zentrum. Würde setzt, wie Gesundheit, Leben voraus, und wie Gesundheit kann Würde nicht individuell gedacht werden. Natürlich kollidieren regelmäßig Individualrechte des einen mit den Individualrechten eines anderen, das Grundgesetz hat davon Kenntnis genommen. Deshalb balanciert das Grundgesetz die Individualrechte Artikel für Artikel gegen soziale Übereinkünfte und moderiert so die Gemeinschaft der Individuen. Auch bei genauer Suche kann der Begriff des Individuums nicht im Grundgesetz ausgemacht werden. Herr Merz ignoriert die gemeinschaftsstiftenden Abwägungen des Grundgesetzes und demonstriert so ein überkommenes Menschenbild. Mit diesem einseitigen Rückbezug auf die Rechte des Individuums gelingt weder die Bewältigung der Klimakrise oder die der Flüchtlingskrise und schon gar nicht die Corona-krise. Keine Empfehlung für einen Kanzlerkandidaten.
Stefan Streit Köln