Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Neue Diskussionen um Insolvenzverschleppung
FRANKFURT (bsc) Soll die Pflicht für überschuldete Unternehmen, Insolvenz anzumelden, weiter ausgesetzt bleiben? Ein Vorschlag von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) ist jüngst bei der Union auf Widerstand gestoßen. Im „Handelsblatt“hatte Lambrecht erklärt, von Unternehmen, die wegen der Pandemie in finanzielle Schwierigkeiten geraten seien, dürfe man annehmen, dass sie nach der Krise wieder profitabler arbeiten könnten. Solchen Unternehmen wolle sie genügend Zeit geben, um wieder auf die Beine zu kommen. Michael Holstein, Chefvolkswirt der Dz-bank, hielte eine Verlängerung der Januarregeln bis zum Ende des Lockdowns für sinnvoll. So könnte man Unternehmen, die darunter leiden, eine längere Frist geben, um festangestellte Mitarbeiter halten zu können.
Allerdings dürfe man solche Staatshilfen auch nicht über Gebühr ausdehnen, meint der Ökonom: „Zombieunternehmen verzögern den Strukturwandel.“Das Ausscheiden nicht mehr lebensfähiger Unternehmen und das Entstehen neuer Geschäftsmodelle sei ein normaler wirtschaftlicher Prozess.
Wegen der Pandemie hatte die Bundesregierung im vergangenen Frühjahr die Meldepflichten für Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit außer Kraft gesetzt. Befreit sind derzeit die Unternehmen, die November- oder Dezemberhilfen zwar beantragt, aber noch nicht erhalten haben. Zwischen März und Ende September 2020 waren überschuldete oder zahlungsunfähige Unternehmen wegen der Corona-krise bis Ende September von der Pflicht befreit, Insolvenz anzumelden. Zwischen Oktober und Dezember galt diese Ausnahme nur noch für überschuldete Unternehmen. Wer zahlungsunfähig ist, muss seither wieder unverzüglich, also spätestens nach drei Wochen, Insolvenz anmelden.
Seit Jahresanfang gilt aber auch ein neues Sanierungsgesetz. Neu ist vor allem, dass eine Insolvenz wegen Überschuldung weiter abgewendet werden kann, wenn die Mehrheit der Gläubiger dem zustimmt und eine Sanierung durchführen will. „Bis dieses Gesetz greift, das dürfte noch einige Zeit, vielleicht bis zum Ende des ersten Quartals dauern“, glaubt Klaus-heiner Röhl vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Deshalb könne es vielleicht sinnvoll sein, so lange zu warten.
Die Insolvenzzahlen für 2020 sind durch die staatliche Ausnahmeregelung künstlich verzerrt. Deshalb erwarten Ökonomen für das laufende Jahr eine Steigerung der Zahl der Firmenpleiten um 20 bis 30 Prozent.