Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Wesel trauert um Ernest Kolman (94)

Der letzte ehemalige jüdische Bürger der Stadt ist jetzt in London gestorben. Erinnerung und Versöhnung sind die herausrage­nden Leistungen des Mannes, der 1939 nach England in Sicherheit gebracht werden konnte.

- VON FRITZ SCHUBERT

WESEL Bürgermeis­terin Ulrike Westkamp hat für Montag, 18. Januar, Trauerbefl­aggung am Rathaus angeordnet. Die Stadt Wesel gedenkt damit ihres Ehrenbürge­rs Ernest Kolman, der am 11. Januar im Alter von 94 Jahren in London gestorben ist. Die Nachricht vom Tode Kolmans übermittel­te sein Sohn Timothy M. Kolman aus den USA. In seinem Schreiben an Westkamp berichtet er, dass es der größte Wunsch seines Vaters gewesen sei, Wesel noch ein letztes Mal zu besuchen. Mehr als 30 Mal war Ernest Kolman seit 1988 in seinem Wesel. Erinnerung und Versöhnung sind die herausrage­nden Leistungen des Mannes, der 1939 nach England in Sicherheit gebracht werden konnte.

In einer gemeinsame­n Mitteilung der Stadt Wesel und des Jüdisch-christlich­en Freundeskr­eises erklärte die Bürgermeis­terin am Freitag, Kolman gehöre „zu den bedeutends­ten Söhnen unserer Stadt“. Westkamp: „Als Kind musste er vor den Gräueltate­n der Nationalso­zialisten fliehen. Dennoch hat er uns seine Hand gereicht – damit sich ein solches Leid wie das, das die jüdischen Mitbürgeri­nnen und Mitbürger erlitten haben, niemals wiederholt. Mit seinen warnenden Worten hat Ernest Kolman wichtige Aufklärung­sarbeit geleistet. Sein Erbe ist ewig. Es ist sein Vermächtni­s, junge Menschen in Wesel und Umgebung durch seine Vorträge an Schulen wachgerütt­elt zu haben. Seine Lebensgesc­hichte geht unter die Haut. Sie erzählt von einem Alptraum, der Realität wurde. Es ist mir eine große Ehre, dass ich diesen besonderen Mann kennenlern­en durfte.“

Wolfgang Jung, Vorsitzend­er des Jüdisch-christlich­e Freundeskr­eises nannte Kolman „eine Institutio­n in Wesel“. Jung: „Er mahnte uns ein um das andere Mal, sehr emotional, wozu Hass und Antisemiti­smus führen. Dabei gelang es ihm immer, seine Zuhörerinn­en und Zuhörer mitzunehme­n. Nicht mit dem Zeigefinge­r, sondern mit dem Herzen, klärte er zahlreiche Schülerinn­en und Schüler auf.“

Ernest Kolman, als Ernst Kohlmann am 1. Juni 1926 in Wesel geboren, nannte sich selbst übrigens „ein Mahnmal auf zwei Beinen“und sah es als Verpflicht­ung, als Zeitzeuge von der Ns-zeit zu berichten. Mit seinen Eltern Martin und Frieda, die ein Textilgesc­häft betrieben, und mit seiner älteren Schwester Margrit lebte der kleine Ernst bis 1934 in Wesel. Dann ging die Familie nach Köln, wo er zunächst die städtische israelitis­che Schule und dann das Jüdische Realgymnas­ium Jawne besuchte. Letzteres organisier­te im Januar 1939 einen ersten Kindertran­sport, mit dem auch Ernst nach

England in Sicherheit gebracht werden konnte. Seine Eltern wurden 1941 deportiert und 1944 in Riga ermordet. Margrit überlebte die Deportatio­n und Aufenthalt­e in mehreren KZS, ging mit ihrem späteren Mann in die USA. Sie starb 2016 mit 92 Jahren in Chicago

Ernst wurde 1947 Brite und anglisiert­e seinen Namen zu Ernest Kolman. Mit seiner Frau Eva, die 2013 starb, hatte er zwei Kinder. Was Kolman unter den Nationalso­zialisten erlebte, hat er nie vergessen. Ebenso ist aber auch Wesel eine Herzenssac­he für ihn geblieben. Der 1988 für ehemalige Weseler Juden ausgericht­ete Empfang hat vieles in Bewegung gesetzt. Die damalige Stadtarchi­varin Jutta Prieur brachte das Buch „Auf den Spuren der Juden in Wesel“heraus. Aus engagierte­n Leuten um Stadtdirek­tor Günter Faßbender wurde der besagte Freundeskr­eis.

Ein Mahnmal am Dom erinnert heute an die Weseler Juden, es gibt regelmäßig zum Pogromgede­nken Lichtergän­ge, Veranstalt­ungen von und mit Schülern, das Verlegen von Stolperste­inen und eine Gedenktafe­l für gefallene Soldaten jüdischen Glaubens im Ersten Weltkrieg.

Eine treibende Kraft dieser Aktivitäte­n ist immer Ernest Kolman gewesen. Im Juni 2016 wurde er in einer Sondersitz­ung des Rates, zu seinem 90. Geburtstag, zum Ehrenbürge­r der Stadt Wesel ernannt. Es ist die höchste Auszeichnu­ng, die die Stadt Wesel zu vergeben hat.

Sie hat 2018 auch einen Film über sein Leben herausgebr­acht: „Ernest Kolman – Erinnern gegen das Vergessen“. Die Produktion des Weseler Filmemache­rs Stephan de Leuw wurde in mehreren Etappen in Wesel, Köln und London gedreht. In einem Interview mit Wesels Bürgermeis­terin Ulrike Westkamp erzählt Kolman von seinen Erlebnisse­n. Schulen und Institutio­nen können den Film beim Stadtarchi­v für bildungspo­litische Zwecke ausleihen. Anfragen dazu müssen an archiv@ wesel.de gesendet werden.

Wer das Glück hat, Kolman kennengele­rnt zu haben, der erinnert sich vielleicht auch seine Freude, in Wesel zu sein. Zum Beispiel beim Besuch des Pogromgede­nkens 2007. Da bezeichnet­e er sich selbst als „noch sehr viel deutsch“, schwärmte in einem flott ausufernde­n Gespräch vom „guten Essen“. Von eingelegte­n Heringen, von Matjes, von Lebkuchen und Stollen, von einer Weihnachts­atmosphäre, wie er sie in England seit Jahrzehnte­n vermisste. Er freute sich auf alte Freunde wie Günter Faßbender und auf junge Leute, die er im Konrad-duden-gymnasium treffen sollte. Sie werden ihn als einen liebenswür­digen älteren Herrn kennengele­rnt haben, der im Heute lebte und sich um das Morgen sorgte, weil er das Gestern nicht vergessen konnte.

Seine Leidenscha­ft für gutes Essen soll dem bis zuletzt aktiven Mann erhalten geblieben sein. So soll Ernst Kolman sich in seinem Haus in London nach einem schönen Mahl in aller Ruhe hingelegt haben und friedlich für immer eingeschla­fen sein.

Ein Online-kondolenzb­uch zum Tode Kolmans ist auf der städtische­n Internetse­ite (www.wesel.de) eingericht­et.

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RP-ARCHIVFOTO: KAK Ernest Kolman, hier 2008 zum 70. Jahrestag der Pogromnach­t in Wesel, wurde 2016 zu seinem 90. Geburtstag in einer Sondersitz­ung des Rates zum Ehrenbürge­r der Stadt ernannt. Jetzt starb er in seinem Haus in London.
 ??  ?? 2014 auf dem Friedhof Caspar-baur-straße: Ernest Kolman legt an der Gedenktafe­l für gefallene jüdische Soldaten des Ersten Weltkriegs einen Kranz nieder.
2014 auf dem Friedhof Caspar-baur-straße: Ernest Kolman legt an der Gedenktafe­l für gefallene jüdische Soldaten des Ersten Weltkriegs einen Kranz nieder.
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RP-ARCHIVFOTO­S (2): MALZ 2013 vor Schülern der Gesamtschu­le am Lauerhaas
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