Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
„Wir sind nur einen Klick voneinander entfernt“
DIGITALISIERUNG Der Landtagsabgeordnete René Schneider (SPD) spricht über die Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung am Niederrhein.
WESELRENÉ Schneider bloggt, hat einen regelmäßigen Podcast und ist in den sozialen Medien aktiv: Der Landtagsabgeordnete und Kreisvorsitzende der SPD nutzt die Möglichkeiten, die das Netz bietet, um seine Themen zu transportieren. Die Digitalisierung ist für ihn ein wichtiges Thema. Er äußert sich über Homeschooling, Breitbandausbau und darüber, wie sich Unternehmen aufstellen müssen.
Der erneute Lockdown zeigt, wie wichtig die digitale Ausstattung und schnelles Internet sind. Welches Feedback bekommen Sie als Landtagsabgeordneter aus den Schulen Ihres Wahlkreises? RENÉSCHNEIDER Meine ersten Ansprechpartner sind meine beiden Söhne, neun und 13 Jahre alt. Sie besuchen in Kamp-lintfort die Grundund weiterführende Schule. Da bekommt man schon einen ganz guten Eindruck von der Situation in den Schulen. Ich habe das Gefühl, dass man zurzeit mit der großen Kanone Geld abschießt. Es fehlt aber an zwei wesentlichen Voraussetzungen: das schnelle Internet bis zur Schule und Fortbildungsangebote, die die Lehrer im Umgang mit Hardund Software fit machen. Ich habe eine große Lernbereitschaft wahrgenommen. Ein Beispiel: Ich habe eine Unterrichtsstunde via Videokonferenz miterlebt. Man merkte der Lehrerin an, wie unangenehm die neue Form des Unterrichts für sie war. Nur ein paar Wochen später beherrschte sie die Software so gut, dass sie eine Mathe-aufgabe für alle Kinder – passend zum Jahrgang – unterschiedlich stellen konnte. Es muss sie sehr gefuchst haben, dass es beim ersten Mal nicht rund lief. Und das ist der Schlüssel. Es bringt nichts, nur die Technik – also Tablets und Whiteboards – in die Schulen hinein zu werfen, wenn den Pädagogen das Verständnis und die Bereitschaft fehlt, sich weiterzubilden.
Wie funktionieren denn Home-schooling und Homeoffice im Hause Schneider? SCHNEIDERWIR haben das Glück, super ausgestattet zu sein. Es sind genügend Geräte, auch ein Drucker, vorhanden. Schwierig ist es in den Familien, in denen nur ein Rechner zur Verfügung steht. Ich würde mich natürlich über Breitband freuen. Denn: Wenn gleich drei von uns in Videokonferenzen sitzen, wäre es mit der Schnelligkeit auch bei uns vorbei. Der Unterricht ist für unsere Kinder deutlich komplexer geworden. Sie sind es ja gewohnt, mit ihrem Stundenplan durch den Tag zu gehen. Unser Großer muss seinen Schultag jetzt selbstständig angehen. Seine Schule arbeitet mit der Plattform Logineo. Das heißt: Er bearbeitet die Aufgaben, die die Lehrer je nach Fächern einstellen. An der Grundschule meines jüngeren Sohnes ist der Tagesablauf strukturierter. Man merkt ein starkes Bemühen, den Kindern einen psychologischen Halt zu geben. Und so ganz digital geht es dann doch nicht. Vor kurzem mussten wir Ordner abholen.
Viele kritisieren, dass die Ausstattung der Schulen mit den technisch notwendigen Geräten schleppend verläuft. Wo sehen Sie den Handlungsbedarf?
SCHNEIDER Die Ausstattung der Schulen ist seit zig Jahren ein Thema. Sie erfolgt ja durch die Kommunen. Ich glaube nicht, dass die Städte das Wettrüsten finanziell auf Dauer mithalten können.
Wettrüsten?
SCHNEIDER Naja. Die Entwicklung schreitet rasant voran. Fast alle zwei bis drei Jahre braucht man einen neuen Rechner. Das wäre bei Schulrechnern ja nicht anders – mit dem Ergebnis, dass die Städte Millionen Euro investieren müssen, um die Hardware aktuell zu halten. Deshalb setze ich auf „Bring your own Device“, das heißt: Die Schüler nutzten ihre eigenen Endgeräte. Schon mit einem Smartphone kann man ja digital arbeiten. Außerdem braucht es breitbandiges Internet an den Schulen, also eine verflixt gute Internetverbindung. Ich vergleiche das gerne mit dem Kauf eines Porsches. Da hat man ein teures Auto in der Garage stehen und gar keinen Sprit zur Verfügung.
Sie haben sich dafür stark gemacht, dass die Deutsche Telekom die Schulen in der wir4-region beim Breitbandausbau priorisiert. Sie bleibt aber bei ihrer Planung, städteweise vorzugehen. Erreicht haben
Sie lediglich, dass die Schulen in den Städten als erste ans schnelle Internet angeschlossen werden. SCHNEIDER Stimmt, wir haben nicht so viel erreicht, wie wir erhofft hatten. Der Breitbandausbau wird wie geplant von Süd nach Nord, also von Moers über Neukirchen-vluyn und Kamp-lintfort nach Rheinberg verlaufen. Wir sind aber jetzt einen Schritt weiter: In jeder Stadt werden zuerst die Schulen ans schnelle Internet gebracht. Das ist für mich ein Erfolg, weil wir die Telekom dazu gebracht habe, sich mit der Problematik zu beschäftigen und nicht stur Straßenzug für Straßenzug vorzugehen.
Wie sieht die genaue Zeitplanung der Deutschen Telekom aus? SCHNEIDER Der Breitbandausbau soll etwa 2022/23 fertiggestellt sein. Sie will aber gucken, was sie jetzt schon aus den bestehenden Leitungen rausdrücken kann.
Sie waren Mitglied der Enquête-kommission „Digitale Transformation der Arbeitswelt in Nordrhein-westfalen“. Gibt es bereits einen Abschlussbericht?
SCHNEIDER Wir haben den Abschlussbericht nach den Sommerferien vorgelegt, aufgrund der Corona-pandemie ein halbes Jahr verspätet. Es handelt sich um eine Bestandsaufnahme, aus der wir dann Handlungsempfehlungen entwickelt haben – 120 an der Zahl. Die Spd-fraktion hatte die Enquête-kommission beantragt, weil wir wissen wollten, wie die Digitalisierung den Arbeitsplatz von Menschen, aber auch die Wirtschaft verändert. Welche Berufe werden durch die Digitalisierung entbehrlich? Wie sieht es mit digitalen Heimarbeitsplätzen aus? Und wohin führt die digitale Transformation in den Unternehmen? Es ist ein hochspannendes Thema, das wir auch wissenschaftlich begleitet haben lassen.
Eine aktuelle Ihk-umfrage hat ergeben, dass es in allen Branchen in Sachen Digitalisierung einen großen Nachholbedarf gibt. Wie schätzen Sie die Lage in Ihrem Wahlkreis ein?
SCHNEIDER Ich glaube, viele Unternehmen bewegt zurzeit die Frage, in was sie investieren sollen und was sich für sie wirklich lohnt. Es geht hier auch um Geschäftsmodelle. Mein Schwager ist beispielsweise Schreiner und überlegt, eine neue Maschine anzuschaffen. Für ihn stellt sich die Frage, wie viele Aufträge nötig sind, damit sich die Anschaffung wirklich lohnt. Mich hat aber überrascht, wie schnell es doch der Gastronomie schon im ersten Lockdown gelungen ist, auf online umzustellen. Das ist allemal besser, als Plattformen zu bedienen, auf denen sie eine Provision zahlen müssen. Schade nur, dass es nicht gelingt, selbst verwaltete Plattformen zum Beispiel für das Handwerk zu etablieren. Es fehlt zudem an professionellen Internetauftritten, die ab dem 1. April auch nur dann von der Suchmaschine Google gefunden werden, wenn sie responsiv – also auch fürs Smartphone – programmiert wurden.
Wäre es nicht sinnvoll, die Unternehmen in der Region noch stärker mit der Hochschule Rhein-waal zusammenzubringen? Die Fakultät Kommunikation und Umwelt bietet viele digitale Anregungen. SCHNEIDER Das wäre schon gut, denn die jungen Studierenden haben einen ganz anderen Blick auf die digitalen Möglichkeiten. Viele Studiengänge geben neue Impulse – auch Einzelhändlern. Ohne Internetseite, Online-angebote und Google-einträge wird es für sie schwierig. Und bei all dem kann die Hochschule in der Tat helfen.
Warum gehen Städte wie Kamp-lintfort nicht als Vorbild voran? Ein entsprechender Antrag, Sitzungen live aus dem Rathaus in Kamp-lintfort zu streamen, wurde vor Weihnachten abgeschmettert. SCHNEIDER Weil das komplett albern wäre. Der Landtag bietet den Stream von Plenarsitzungen an. Weil man ansonsten eine Sendelizenz bräuchte, hat man den Zugang auf 499 Zuschauer begrenzt. Diese Zahl ist bei 18 Millionen potenziellen Zuschauern in NRW noch nie erreicht worden. Wie viele Bürger würden wir denn in Kamp-lintfort begeistern? Der Aufwand steht in keiner Relation: Wir würden viel Geld in die Technik stecken für fast keine Resonanz.
Sie bloggen und haben einen eigenen Podcast. Trifft man seine Wähler nur noch im Netz?
SCHNEIDER Nicht nur, aber schon vor der Pandemie haben sich viele Kontakte schlicht dorthin verlagert. Wir alle sind so viele Stunden am Tag online, dass man jeweils nur einen Klick voneinander entfernt ist. Früher wurde man zufällig auf der Straße angesprochen. Heute schreiben mir die Menschen eine Mail, schicken Kurznachrichten oder kommentieren meine Beiträge, wann und wo sie dazu Lust haben. All diese Kanäle zu bedienen ist ein Kraftakt, der sich aber lohnt. Die persönlichen Treffen und Gespräche machen mir trotzdem noch mehr Spaß.