Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Die Börsen-neulinge 2021
Die Aktienkurse werden im noch jungen Handelsjahr nach Expertenmeinung weiter steigen – generell ein gutes Umfeld für Neuemissionen, wie auch ein Blick ins Vorjahr zeigt. Wir stellen neue Kandidaten vor.
DÜSSELDORF Der Deutsche Aktienindex hat schon kurz nach Jahresbeginn die 14.000-Punkte-grenze überschritten – eine Marke, deren Erreichen mancher Analyst erst für Ende 2021 vorausgesagt hatte. Doch die Börse hat allen Widrigkeiten der Pandemie zum Trotz unter dem Strich ein fantastisches Jahr hinter sich gebracht, und deshalb sind auch für 2021 die Erwartungen hoch. Das noch junge Jahr bietet ein gutes Umfeld für Neuemissionen, auch weil die Pandemie beispielsweise die Digitalisierung noch beschleunigt und damit Unternehmen ins Blickfeld von Investoren rückt, die zukunftsträchtig erscheinen.
Zwölf bis 16 Börsengänge deutscher Unternehmen erwartet die Beratungsgesellschaft EY in diesem Jahr. „Eigentlich müssten es in Deutschland 40 pro Jahr sein, wenn man bedenkt, was unser Land an Technologie und volkswirtschaftlicher Stärke zu bieten hat“, sagt Martin Steinbach, Leiter des Bereichs IPO and Listing Services bei EY. Aber in Deutschland mangelt es unter anderem an der notwendigen Aktienkultur und häufig der Bereitschaft der Anleger, mutig in Wachstum und Innovation zu investieren.
Weltweit hat das vergangene Jahr nach Steinbachs Angaben 1363 Börsengänge gebracht, fast ein Fünftel mehr als 2019.
Noch stärker als die absolute Zahl der neuen Teilnehmer am Börsengeschehen ist das Platzierungsvolumen gestiegen – um 29 Prozent auf etwa 268 Milliarden Dollar, umgerechnet rund 220 Milliarden Euro. In diesem Jahr könnte es weiter nach oben gehen, auch weil durch die wachsende Zahl von Corona-impfungen die wirtschaftlichen Einschränkungen kleiner werden, das Brexit-problem zu großen Teilen gelöst zu sein scheint. Der Ausgang der amerikanischen Präsidentschaftswahl könnte den Finanzmärkten zusätzlich Schub geben – das vom künftigen US-PRÄsidenten Joe Biden angekündigte Konjunkturpaket ein Auslöser für Kurssteigerungen sein.
Favoriten in der Gunst der Investoren dürften nach Steinbachs Einschätzung unter anderem Unternehmen sein, die sich mit online-basierten Geschäftsmodellen sowie Biotechnologie, Life Science und Health Care (also Gesundheitsvorsorge) beschäftigen. Und all das, was sich mit dem – im Zeichen der Pandemie – immer ausgeprägteren Trend zu virtueller Kommunikation und Interaktion verbindet. Dazu könnten auch Unternehmen kommen, die vom Trend zur Elektromobilität in den kommenden Jahren profitieren könnten. Zudem sei das Umweltthema „ein Megatrend am Kapitalmarkt“, so der EY-EXperte. Unternehmen, die sich bei ihrem Geschäftsmodell nachhaltig an Umwelt, sozialem Umfeld und den Grundsätzen guter Corporate
Governance orientierten, seien stark gefragt. Der Mainzer Corona-impfstoff-produzent Biontech ist ein gutes Beispiel für den Boom in der Pharmabranche. Seit Oktober 2019 ist die Aktie notiert, und seither ist der Kurs mit zwischenzeitlichen Rückschlägen von 14 auf 104 Euro gestiegen. Das Tübinger Unternehmen Curevac, dessen gemeinsam mit Bayer vermarkteter Impfstoff möglicherweise im Frühjahr zugelassen wird, ist aktuell 80 Prozent mehr wert als beim Börsenstart im Oktober des vergangenen Jahres. Zwei Beispiele also für Investments in Neulinge aus Zukunftsbranchen.
Einige Unternehmen, die in diesem Jahr möglicherweise an den Kapitalmarkt kommen könnten, sind mittlerweile schon bekannt. Zu den prominenten Kandidaten für eine Neuemission am Aktienmarkt gehören:
Die Vodafone-tochter Vantage Towers, in der die Funkmasten gebündelt sind und die beim für das
Frühjahr geplanten Börsengang auf eine Bewertung von etwa 20 Milliarden Euro kommen könnte. Damit wäre Vantage Towers eines der 20 wertvollsten Nrw-unternehmen an der Börse. Vier Milliarden Euro wären zu erlösen, wenn das Unternehmen ein Fünftel der Aktien an die Börse bringen würde.
Die vielen durch die Fernsehwerbung bekannte Hamburger Online-partnervermittlung Parship, die gegenwärtig mehrheitlich der Prosieben-sat 1 Media SE gehört.
Check 24, unter anderem als Preisvergleichsportal für Versicherungen, Energie und Telekommunikation bekannt.
About You, Online-modehändler aus der Otto-gruppe, dessen Wert Analysten auf etwa drei Milliarden Euro schätzen.
Die Gebrauchtwagen-plattform
Auto1, die angeblich sogar fünf Milliarden Euro wert ist.
Weitere Unternehmen sind in der Warteschleife. Und vielleicht sind auch welche dabei, die auf anderen Wegen an den Kapitalmarkt kommen, als das in Deutschland bisher die Regel ist. „In den Vereinigten Staaten gibt es eine Spac-welle, die auch über Zusammenschlüsse nach Europa schwappen könnte“, sagt Ey-experte Steinbach. Spac ist die Abkürzung für „Special-purpose acquisition company“– also eine Mantelgesellschaft, die zunächst Kapital über einen Börsengang einsammelt und das später in Unternehmen wie Börsenkandidaten investiert.
2019 waren es weltweit erst 60 börsennotierte Spacs, die insgesamt 13,7 Milliarden Dollar eingesammelt hatten, ein Jahr später schon 230 mit einem Emissionsvolumen von 76 Milliarden Dollar. Aus Deutschland hat 2020 die Immatics Biotechnologies ( Tübingen) diesen Weg gewählt. Der indirekte Börsengang über die Us-technologiebörse Nasdaq hatte ein Volumen von 225 Millionen Euro.