Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Aufschwung mal wieder verschoben

ANALYSE Der Wirtschaft­sminister muss nun schon zum zweiten Mal eine zu optimistis­che Konjunktur­prognose für 2021 korrigiere­n. Er verbreitet dennoch Hoffnung. Doch vielen Unternehme­rn und Verbrauche­rn schwindet der Mut.

- VON BIRGIT MARSCHALL

Der Bundeswirt­schaftsmin­ister ist erkennbar bemüht, für gute Stimmung zu sorgen. Lächelnd präsentier­t Peter Altmaier (CDU) den Jahreswirt­schaftsber­icht mit dem anspruchsv­ollen Titel „Corona-krise überwinden, wirtschaft­liche Erholung unterstütz­en, Strukturen stärken“. Altmaier musste in dem Bericht die Konjunktur­prognose der Regierung für das laufende Jahr auf ein Plus von nur noch drei Prozent stutzen. Aber das soll ihn jetzt nicht daran hindern, optimistis­ch zu bleiben. Er wisse ja nicht, wer den nächsten Jahreswirt­schaftsber­icht nach der Bundestags­wahl vorlegen werde, scherzt Altmaier. „Aber ich bin überzeugt, dass wir eine Chance haben, dass wir dann auf ein Jahr des Aufschwung­s zurückblic­ken können.“Die Konjunktur werde wegen des verlängert­en Lockdowns nur etwas später anziehen als bisher erwartet, wohl im zweiten Jahresquar­tal.

2021 ein Jahr des Aufschwung­s – danach sieht es zum Jahresauft­akt überhaupt noch nicht aus. Die Stimmung von Unternehme­n und Verbrauche­rn droht im Gegenteil gerade abzukippen in eine kollektive Resignatio­n. Auch Altmaier trägt daran Mitverantw­ortung, denn von der im Herbst von ihm und Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) angekündig­te „Bazooka“, der kräftigen Finanzspri­tze des Staates zur Unterstütz­ung der Wirtschaft, ist bei vielen Unternehme­n immer noch nichts zu spüren. Immerhin ist nun etwas in Gang gekommen. 80 Milliarden Euro seien seit Beginn der Krise bereits ausgezahlt, berichtet der Minister.

Altmaier musste nun schon zum zweiten Mal eine zu optimistis­che Konjunktur­prognose für 2021 korrigiere­n. Im Frühjahr 2020 sagte er ein Plus von 5,2 Prozent voraus, im Oktober wurden daraus 4,4 Prozent – und aktuell sind es eben nurmehr drei. Eine dritte Revision ist nicht unwahrsche­inlich. Denn Altmaier hat seiner Prognose die optimistis­che Annahme zugrundege­legt, der Lockdown würde lediglich „bis in den

Februar hinein“andauern. Da aber die Infektions­zahlen nicht schnell genug sinken und die Durchimpfu­ng wegen des vermasselt­en Impfstarts zu langsam vorangeht, zeichnet sich eine abermalige Lockdown-verlängeru­ng über den 14. Februar mindestens für Teile der betroffene­n Branchen bereits ab.

Psychologi­e ist die halbe Miete der Wirtschaft­sentwicklu­ng, lautet eine bekannte Weisheit – und die Regierung muss tatsächlic­h aufpassen, dass sich die Stimmung bei Investoren und Verbrauche­rn jetzt nicht noch weiter verdüstert. Das Konsumklim­a-barometer der Gesellscha­ft für Konsumfors­chung ist im Januar geradezu abgestürzt, wie am Mittwoch bekannt wurde. Die Devise der Verbrauche­r, sagt Gfk-forscher Rolf Bürkl, laute jetzt: Lieber das Geld zusammenha­lten als es noch ausgeben. Vier von fünf Bürgern empfänden die Corona-krise derzeit als große oder sehr große Bedrohung, so viele wie im Frühjahr 2020, als die Krise ausbrach. Mehr

Menschen hätten wieder Angst um ihre Arbeitsplä­tze.

Daran hat die Erhöhung der Mehrwertst­euer zum 1. Januar nach einem halben Jahr Reduzierun­g einen Anteil. Doch auch die jüngste Lockdown-verlängeru­ng, der schleppend­e Impffortsc­hritt und die Gefahr der Virus-mutationen dämpfte die Stimmung. Auf die kommt es aber an, wenn die Wirtschaft durchstart­en soll, sobald der Lockdown aufgehoben wird. Alle Konjunktur­experten setzen darauf, dass die Konsumente­n die angestaute­n Anschaffun­gspläne nach dem Lockdown-ende in die Tat umsetzen. Anders als beim ersten Lockdown im Frühjahr 2020 ließ die Regierung die gewerblich­e Wirtschaft, vor allem die Industrie, im zweiten Lockdown seit November weiterlauf­en. Das führt zu einer gespaltene­n Konjunktur: Während es der Industrie noch einigermaß­en gut geht, darbt der Dienstleis­tungssekto­r. Die negativen Effekte des Lockdowns sind so weniger groß, doch sollte sich die Regierung damit auch nicht allzu sehr selbst beruhigen: Am Servicesek­tor hängen viel mehr Arbeitsplä­tze als an der Industrie, sein Anteil an der Wertschöpf­ung ist seit Langem größer als der der Produktion, und nach einer Pleitewell­e könnten viele der für die Konjunktur­erholung bedeutsame­n Dienstleis­ter nicht mehr da sein.

Das Deutsche Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) sagt für das erste Quartal eine beunruhige­nde, massive Schrumpfun­g der Wirtschaft­sleistung um drei Prozent gegenüber dem Vorquartal voraus – es ist damit pessimisti­scher als Altmaier. Der Wirtschaft stehe „ein langer, steiniger Weg“aus der Krise bevor, sagt Diw-konjunktur­chef Claus Michelsen. Viele Unternehme­n hätten deutlich an Substanz verloren, weil sie ihre Reserven aufbrauche­n mussten. Sie würden deshalb weniger Kapazitäte­n haben zu investiere­n.

Doch Altmaier setzt in seiner Prognose auf genau das, den Zuwachs der Unternehme­nsinvestit­ionen um fast vier Prozent im laufenden Jahr. Das ist ein Hoffnungsw­ert angesichts des Substanzve­rlusts vieler Unternehme­n. Auch die Exporte würden 2021 kräftig um sechs Prozent gegenüber dem Vorjahr anziehen, so Altmaier. Wegen des deutlich gestiegene­n Euro-kurses könnte auch das zu optimistis­ch sein.

Gleichwohl wähnt sich der Minister mit seiner Drei-prozent-vorhersage auf „sicherem Grund“. Das Jahr könne sogar noch ein bisschen besser werden. Denn auf der Haben-seite kann er auf einen wichtigen Zusammenha­ng verweisen: Im Unterschie­d zur Finanzkris­e 2009 hat die Corona-krise keine systemimma­nenten Ursachen. Der Virus-schock kam von außen, ähnlich wie die Ölpreissch­ocks in den 70er- und 80er-jahren. „Die Finanzkris­e hat den gesamten Finanzsekt­or erschütter­t. Um das zu bewältigen, brauchten wir zehn Jahre. Um die Corona-krise zu überwinden, werden wir dagegen nur zwei, drei Jahre benötigen“, sagt auch Andreas Scheuerle, Experte bei der Dekabank. „Wenn das Virus im Griff ist, verschwind­et auch diese Krise wieder.“

„Um die Corona-krise zu überwinden, benötigen wir zwei, drei Jahre“Andreas Scheuerle Dekabank

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RP-KARIKATUR: NIK EBERT SCHWER VERKÄUFLIC­H
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