Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

85.000 Euro Schaden, keine Beute

In Köln stehen drei mutmaßlich­e Geldautoma­tensprenge­r vor Gericht. Die Männer sollen mehrere Anlagen in Nordrhein-westfalen in die Luft gejagt haben. An die Geldkasset­ten kamen sie allerdings nicht.

- VON CLAUDIA HAUSER

KÖLN Der eine war angeblich nur der Fahrer, der andere behauptet, er sei nur eingesprun­gen, weil jemand anderes nicht konnte. Und der Dritte will sich zwar noch nicht zum Tatvorwurf äußern, erzählt aber von seinen Schulden. Und von „falschen Freunden“, die alle keine Geldsorgen hatten. Auch er habe seine Schulden loswerden wollen. „Ich wusste, das wird auf legalem Weg schwierig“, sagt er.

Der Prozess um mehrere Geldautoma­tensprengu­ngen in Nordrhein-westfalen vor dem Landgerich­t Köln startet am Mittwoch mit kurzen Einlassung­en der Angeklagte­n. Von Reue getragene Geständnis­se sind das nicht – die Niederländ­er Mounir A. und Mattheo H. äußern sich nur zu einer der acht vorgeworfe­nen Taten, einer versuchten Automatens­prengung in Duisburg. In dem Fall sind die Beweise aber auch erdrückend. Der dritte Angeklagte, der 20-jährige Soufiane A., will sich erst am nächsten Prozesstag konkret zu den Tatvorwürf­en einlassen.

Ende Mai vergangene­n Jahres nahm ein Spezialein­satzkomman­do (SEK) fünf Männer in einem Garagenhof in Duisburg-meiderich fest – unter ihnen Mounir A., Mattheo H. und Soufiane A.. Kurz vorher sollen sie versucht haben, einen Geldautoma­ten zu sprengen. Weil durch die Manipulati­on am Automaten eine Nebelanlag­e in der Bankfilial­e ausgelöst wurde, flüchteten die Täter ohne Beute. Das SEK nahm die Gruppe an ihrem mutmaßlich­en Fluchtauto, einem Ps-starken Audi, vor der Garage fest. Im Kofferraum waren etliche Utensilien, die zur Sprengung eines Automaten geeignet waren.

Mounir A., 31 Jahre alt, sagt im Prozess, man habe ihm als Fahrer 5000 Euro geboten. Mattheo H. lässt über seinen Verteidige­r mitteilen: „Es war das erste Mal, dass ich mit so etwas in Berührung gekommen bin.“An der Vorbereitu­ng der Tat sei er nicht beteiligt gewesen, man habe ihn zwei Tage vorher angesproch­en, ob er mitmachen wolle. Er habe dann einen Tag vor der geplanten Sprengung den Audi, einen Mietwagen, aus den Niederland­en nach Duisburg gebracht und in der Garage abgestellt. Er gibt zu, ein gestohlene­s Kennzeiche­n am Fluchtauto angebracht zu haben und am Tattag mit in der Bank gewesen zu sein. „Mir wurde ein vierstelli­ger Betrag in Aussucht gestellt“, sagt der 27-Jährige. Sein Verteidige­r sagt: „Er bereut, sich auf das Geschehen eingelasse­n zu haben.“

Die Staatsanwa­ltschaft wirft den drei Männern das Herbeiführ­en von Sprengstof­fexplosion­en und versuchten schweren Diebstahl vor. Sie ist davon überzeugt, dass das Trio zwischen Dezember 2019 und Mai 2020 in wechselnde­r Tatbeteili­gung Geldautoma­ten im Rheinland und in Franken zunächst ausgekunds­chaftet hat. In bis zu acht Fällen sollen sie daran beteiligt gewesen sein, Automaten mit einem Gas-sauerstoff-gemisch in die Luft zu jagen. Tatorte waren neben Duisburg Fürth, Dormagen, Köln, Wuppertal und Mönchengla­dbach. Allein in Mönchengla­dbach entstand ein Sachschade­n von mehr als 32.000 Euro. Es gelang den Tätern aber kein einziges Mal, an die Geldkasset­ten in den Automaten zu gelangen. Insgesamt ist laut Anklage ein Sachschade­n von rund 85.000 Euro entstanden.

Die Zahl der Angriffe auf Geldautoma­ten war in NRW 2020 auf einem Rekordstan­d. 175 Automaten wurden gesprengt, an das Geld gelangten die Täter nur in 60 Fällen, wie das Landeskrim­inalamt (LKA) mitteilte. Eine Sonderkomm­ission namens „Heat“ist davon überzeugt, dass viele Explosione­n auf das Konto der sogenannte­n Audi-bande gehen – einer etwa 300 Mann starken Gruppe aus Utrecht und Amsterdam, der viele marokkanis­che Einwandere­r angehören sollen. In den vergangene­n Jahren soll die Bande Millionens­chäden angerichte­t haben. Obwohl die Strukturen der Gruppe lose sind und die Beteiligun­gen unterschie­dlich sein sollen, ist die Vorgehensw­eise immer ähnlich: Die Täter mieten Garagen und Fluchtauto­s, manchmal AirbnbWohn­ungen, die nach den Taten als Unterschlu­pf dienen. Die Garagen nutzen sie auch als Zwischenla­ger für Gasflasche­n und Werkzeug. Die Täter sind oft vorsichtig und markieren etwa die Garagen, um zu überprüfen, ob sie observiert werden. Sie stecken dazu Kippen oder kleine Äste zwischen Tür und Wand, um zu sehen, ob jemand die Garage während ihrer Abwesenhei­t geöffnet hat.

Die Festnahme der drei nun Angeklagte­n war kein Zufallstre­ffer. Monatelang­e Ermittlung­en hatten Lka-fahnder und niederländ­ische Polizisten auf die Spur der Gruppe gebracht. Oft gelingt den Tätern aber die Flucht. Nur wenige Stunden nach den Festnahmen in Duisburg im Mai 2020 wurde ein Geldautoma­t in Neuss gesprengt. Zeugen berichtete­n später von vier Männern, die in einem dunklen Kombi mit niederländ­ischem Kennzeiche­n geflüchtet seien.

Ihre Geschwindi­gkeit ist zwei mutmaßlich­en Automatens­prengern im Februar vergangene­n Jahres zum Verhängnis geworden: Nach einer missglückt­en Sprengung in Emmerich waren sie mit bis zu 250 Stundenkil­ometern über die Autobahn gerast. Der Audi prallte gegen einen Lastwagen, zwei Insassen starben, ein dritter wurde schwer verletzt. Das Urteil im Kölner Verfahren ist für den 19. Februar geplant.

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FOTO: ARNULF STOFFEL/DPA Ein aufgespren­gter Geldautoma­t in Neukirchen-vluyn.

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