Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
85.000 Euro Schaden, keine Beute
In Köln stehen drei mutmaßliche Geldautomatensprenger vor Gericht. Die Männer sollen mehrere Anlagen in Nordrhein-westfalen in die Luft gejagt haben. An die Geldkassetten kamen sie allerdings nicht.
KÖLN Der eine war angeblich nur der Fahrer, der andere behauptet, er sei nur eingesprungen, weil jemand anderes nicht konnte. Und der Dritte will sich zwar noch nicht zum Tatvorwurf äußern, erzählt aber von seinen Schulden. Und von „falschen Freunden“, die alle keine Geldsorgen hatten. Auch er habe seine Schulden loswerden wollen. „Ich wusste, das wird auf legalem Weg schwierig“, sagt er.
Der Prozess um mehrere Geldautomatensprengungen in Nordrhein-westfalen vor dem Landgericht Köln startet am Mittwoch mit kurzen Einlassungen der Angeklagten. Von Reue getragene Geständnisse sind das nicht – die Niederländer Mounir A. und Mattheo H. äußern sich nur zu einer der acht vorgeworfenen Taten, einer versuchten Automatensprengung in Duisburg. In dem Fall sind die Beweise aber auch erdrückend. Der dritte Angeklagte, der 20-jährige Soufiane A., will sich erst am nächsten Prozesstag konkret zu den Tatvorwürfen einlassen.
Ende Mai vergangenen Jahres nahm ein Spezialeinsatzkommando (SEK) fünf Männer in einem Garagenhof in Duisburg-meiderich fest – unter ihnen Mounir A., Mattheo H. und Soufiane A.. Kurz vorher sollen sie versucht haben, einen Geldautomaten zu sprengen. Weil durch die Manipulation am Automaten eine Nebelanlage in der Bankfiliale ausgelöst wurde, flüchteten die Täter ohne Beute. Das SEK nahm die Gruppe an ihrem mutmaßlichen Fluchtauto, einem Ps-starken Audi, vor der Garage fest. Im Kofferraum waren etliche Utensilien, die zur Sprengung eines Automaten geeignet waren.
Mounir A., 31 Jahre alt, sagt im Prozess, man habe ihm als Fahrer 5000 Euro geboten. Mattheo H. lässt über seinen Verteidiger mitteilen: „Es war das erste Mal, dass ich mit so etwas in Berührung gekommen bin.“An der Vorbereitung der Tat sei er nicht beteiligt gewesen, man habe ihn zwei Tage vorher angesprochen, ob er mitmachen wolle. Er habe dann einen Tag vor der geplanten Sprengung den Audi, einen Mietwagen, aus den Niederlanden nach Duisburg gebracht und in der Garage abgestellt. Er gibt zu, ein gestohlenes Kennzeichen am Fluchtauto angebracht zu haben und am Tattag mit in der Bank gewesen zu sein. „Mir wurde ein vierstelliger Betrag in Aussucht gestellt“, sagt der 27-Jährige. Sein Verteidiger sagt: „Er bereut, sich auf das Geschehen eingelassen zu haben.“
Die Staatsanwaltschaft wirft den drei Männern das Herbeiführen von Sprengstoffexplosionen und versuchten schweren Diebstahl vor. Sie ist davon überzeugt, dass das Trio zwischen Dezember 2019 und Mai 2020 in wechselnder Tatbeteiligung Geldautomaten im Rheinland und in Franken zunächst ausgekundschaftet hat. In bis zu acht Fällen sollen sie daran beteiligt gewesen sein, Automaten mit einem Gas-sauerstoff-gemisch in die Luft zu jagen. Tatorte waren neben Duisburg Fürth, Dormagen, Köln, Wuppertal und Mönchengladbach. Allein in Mönchengladbach entstand ein Sachschaden von mehr als 32.000 Euro. Es gelang den Tätern aber kein einziges Mal, an die Geldkassetten in den Automaten zu gelangen. Insgesamt ist laut Anklage ein Sachschaden von rund 85.000 Euro entstanden.
Die Zahl der Angriffe auf Geldautomaten war in NRW 2020 auf einem Rekordstand. 175 Automaten wurden gesprengt, an das Geld gelangten die Täter nur in 60 Fällen, wie das Landeskriminalamt (LKA) mitteilte. Eine Sonderkommission namens „Heat“ist davon überzeugt, dass viele Explosionen auf das Konto der sogenannten Audi-bande gehen – einer etwa 300 Mann starken Gruppe aus Utrecht und Amsterdam, der viele marokkanische Einwanderer angehören sollen. In den vergangenen Jahren soll die Bande Millionenschäden angerichtet haben. Obwohl die Strukturen der Gruppe lose sind und die Beteiligungen unterschiedlich sein sollen, ist die Vorgehensweise immer ähnlich: Die Täter mieten Garagen und Fluchtautos, manchmal AirbnbWohnungen, die nach den Taten als Unterschlupf dienen. Die Garagen nutzen sie auch als Zwischenlager für Gasflaschen und Werkzeug. Die Täter sind oft vorsichtig und markieren etwa die Garagen, um zu überprüfen, ob sie observiert werden. Sie stecken dazu Kippen oder kleine Äste zwischen Tür und Wand, um zu sehen, ob jemand die Garage während ihrer Abwesenheit geöffnet hat.
Die Festnahme der drei nun Angeklagten war kein Zufallstreffer. Monatelange Ermittlungen hatten Lka-fahnder und niederländische Polizisten auf die Spur der Gruppe gebracht. Oft gelingt den Tätern aber die Flucht. Nur wenige Stunden nach den Festnahmen in Duisburg im Mai 2020 wurde ein Geldautomat in Neuss gesprengt. Zeugen berichteten später von vier Männern, die in einem dunklen Kombi mit niederländischem Kennzeichen geflüchtet seien.
Ihre Geschwindigkeit ist zwei mutmaßlichen Automatensprengern im Februar vergangenen Jahres zum Verhängnis geworden: Nach einer missglückten Sprengung in Emmerich waren sie mit bis zu 250 Stundenkilometern über die Autobahn gerast. Der Audi prallte gegen einen Lastwagen, zwei Insassen starben, ein dritter wurde schwer verletzt. Das Urteil im Kölner Verfahren ist für den 19. Februar geplant.