Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
TOTAL DIGITAL Sturm auf die Wall Street
Junge User bringen die Börsen durcheinander – der Aufstand einer Generation.
Den USA steht eine brutale Schlacht bevor: der Kampf um die Wall Street. Nach dem Sturm auf das Kapitol erfolgt der Sturm auf das Kapital. Die Attacken sind diesmal unsichtbar. Der Angriff auf die Us-börse findet völlig geräuschlos statt, von zu Hause aus, via App. Junge, global vernetzte Internetnutzer haben ein Einfallstor entdeckt, wie sie die Waffen des Großkapitals umdrehen können. Dazu bedarf es nur eines Laptops, eines Smartphones und ein paar Tausend Dollar.
Die Strategie ist so raffiniert wie genial: Die Börsenlaien stoßen auf schwächelnde Aktien, die zum Spielball von Großbanken und Hedgefonds-managern geworden sind. Sie beginnen, diese Titel zu kaufen, und zwingen damit die institutionellen Anleger, deren Wetten („Shorts“) auf fallende Kurse abzusichern. Fondsmanager, die für gewöhnlich mit Milliarden jonglieren, sehen sich plötzlich gezwungen, Papiere von jenen Unternehmen zu kaufen, auf deren Pleite sie gewettet hatten. Was die Kurse weiter in die Höhe treibt und eine beachtliche Wertverschiebung zur Folge hat. Das Kapital wandert von den großen professionellen Playern hin zum individuellen Kleinanleger. Die App, die diese Börsen-novizen nutzen, heißt „Robinhood“.
Was sie tun, ist nicht verboten. Sie nutzen dieselben Methoden, die auch Hedgefonds und Banken für sich beanspruchen. Die Börsenaufsicht ist machtlos. Über die Motive kann man nur spekulieren: (Neu-)gier, gepaart mit Langeweile und Risikofreude. Was wir hier erleben, ist das Aufbegehren einer Generation, die spürt, dass die Gesellschaftsordnung, die über Jahrzehnte hinweg für Wachstum und Wohlstand gesorgt hatte, für sie nicht mehr funktioniert.
Am Ende, so hoffen viele, winkt eine gerechtere Gesellschaft, mit mehr Chancen für alle. Die Fragen, die niemand beantworten kann: wie lange diese Konflikte andauern werden und welchen Preis wir alle dafür zahlen.
Unser Autor ist Blogger und Digitalexperte. Er wechselt sich hier mit Felicia Kufferath ab.