Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Rückenwind für die Liberalen
Bei der Fraktionsklausur konnte FDP-CHEF Lindner seine Partei mit Zuversicht ins Wahljahr führen.
BERLIN Drei Jahre nach dem Wiedereinzug in den Bundestag steht es zu Beginn des Wahljahres für die FDP eher günstig. Die Allensbach-demoskopen sehen die Liberalen stabil bei 6,5 Prozent. Und die Partei gibt den zupackenden Schrittmacher. Bei ihrer Fraktionsklausur über die wichtigsten Themen fürs Wahljahr konnte Partei- und Fraktionschef Christian Lindner am Samstag aus dem Vollen schöpfen. Nicht weniger als neun Großthemen versahen die 80 Abgeordneten mit Konzepten. Ob bessere Rahmenbedingungen für die Biotechnologie oder mehr Verantwortung beim Bund in der Bildung (beide Themen wegen Corona hochaktuell) oder zehn Weichenstellung für die digitale Erneuerung: Wo die Menschen das Gefühl haben, es müsste vieles reformiert werden, damit es gut läuft, ist die FDP mit eigenen Ideen auf der politischen Piste.
Ein Beispiel: Mitten in den ruckeligen Start des Impfens hinein verlangte die FDP einen Impfgipfel – diesen Montag kommt er. Die FDP hat inmitten der Einschränkungen auch ihr spezielles Thema gefunden und sich in der Debatte über „Privilegien für Geimpfte“glasklar positioniert: Hallo, hier geht es um individuelle Grundrechte, erinnerte die Partei.
Da ist es wieder, dieses Funktionserleben der FDP als „Korrektiv“. Wenn den Großen die Gäule durchgehen, war es für viele immer gut zu wissen, dass da noch ein Liberaler mit auf dem Kutschbock sitzt und die Zügel mit in die Hand nimmt. Es ist das, was nach dem Verständnis von Lindner die FDP im Herbst wieder in die Regierung führen soll. In einer Zeit, in der Kanzlerkandidat Olaf Scholz (SPD) die Milliarden nur so rausbläst und Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) über eine Lockerung der Schuldenbremse sinniert, fällt es Lindner leicht, mit der Formulierung „Wenn ich Finanzminister wäre“Aufmerksamkeit für eine Gegenerzählung zu finden.
Doch für die FDP lauern im Wahljahr immer noch mehr Gefahren als Gewissheiten. Die Stimmung ist von Wahl zu Wahl wandelbarer geworden und kann sich auch auf den letzten Metern noch dramatisch verändern. Und so toll sieht es für die FDP als Regierungspartei auch in den Ländern nicht aus. In Rheinland-pfalz liegt sie 50 Tage vor der Wahl knapp unter ihrem letzten Wahlergebnis
(6,0 statt 6,2 Prozent), in Schleswig-holstein (minus 3,5) und NRW (minus 4,6) sogar deutlich. Zudem ist der FDP der bisherige natürliche Konkurrent davongelaufen. In den drei Ländern haben die Grünen die FDP abgehängt, im Bund pendeln sie um die 20 Prozent. Wenn die FDP für eine andere Koalition mit neuen Themen und Schwerpunkten erkennbar gar nicht gebraucht wird, können liberale Stimmen leicht auch in anderen Lagern landen.
Selbst der Erklärungsansatz, in der Krise mit konstruktiven Alternativkonzepten zu punkten, kann nur eine momentane Wahrnehmungswelle sein. So hat für Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen gerade das letzte Politbarometer wieder gezeigt, dass bei aller Verdrossenheit über die Einschränkungen diese lediglich 14 Prozent für übertrieben erachten. „Insofern sehe ich hier für die FDP kein nennenswertes zusätzliches Potenzial“, sagte Jung unserer Redaktion.