Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
„Wir müssen die Städte zurückerobern“
INTERVIEW CHRISTOPH INGENHOVEN Der Düsseldorfer Stararchitekt glaubt nicht, dass die Innenstädte in Deutschland durch Corona veröden. Auch Hochhaustürmen prophezeit er eine gute Zukunft, weil Büros ein Ort des Austauschs seien.
Herr Ingenhoven, arbeiten Sie und Ihr Team im Homeoffice?
INGENHOVEN Anfang März habe ich im vergangenen Jahr in der Schweiz einen runden Geburtstag gefeiert, als die Corona-pandemie näher rückte. Die Schweiz hat das Fest mit 100 zum Teil weitgereisten Gästen noch genehmigt. Das war bis heute meine letzte Feier. Mit zunehmender Intensität der Pandemie haben sich bis zu 50 Prozent unserer Mitarbeiter ins Homeoffice begeben. Jedoch halte ich das Homeoffice für nicht geeignet für Architekten. Das fängt schon bei den Plänen an, die man nicht richtig per Kamera erklären kann. Unser Büro ist sehr international. Zu uns kommen junge Leute aus Kanada, Südamerika oder Spanien. Sie brauchen den Austausch, wir auch unter uns. Jetzt sind die meisten wieder im Büro. Wir haben zusätzliche Flächen angemietet, unsere Räume sind sehr hoch, wir lüften regelmäßig, alle sitzen sehr weit auseinander und tragen Op-masken
Das wird Bundesarbeitsminister Heil nicht sonderlich freuen.
INGENHOVEN
Der Arbeitsminister unterstellt den Arbeitgebern und Arbeitnehmern, dass sie das nicht eigenverantwortlich regeln können. In den Firmen ist doch genug soziale Kompetenz vorhanden, die Vorund Nachteile abzuwägen und für die Gesundheit der Mitarbeiter zu sorgen. Wir hatten bisher keinen einzigen Fall von Corona-übertragung im Büro.
Welche Auswirkungen hat die Pandemie auf das Baugeschehen?
INGENHOVEN Aufgrund der Pandemie werden aktuell Entscheidungen verschoben. Das vergangene Geschäftsjahr lief für unser Büro sehr gut. Jedoch reagiert die Baubranche mit einer gewissen Zeitverzögerung. Ich denke, dass wir in ein bis zwei Jahren Auswirkungen der Pandemie sehen werden.
Sie sind Spezialist für Hochhausbauten. Glauben Sie, dass große Bürotürme nach der Corona-pandemie eine Zukunft haben werden?
INGENHOVEN Die großen Bürotürme werden nicht verschwinden. Das Büro der Zukunft ist ein Ort des Austauschs, des Lernens, der gemeinsamen Arbeit, des gemeinsamen Erlebens, hier manifestiert sich eine Unternehmenskultur. Routinetätigkeiten kann man zu Hause erledigen. Ich glaube daher, dass Büroräume in der Innenstadt weiterhin gefragt bleiben. Freudlose Business-parks am Rand der Autobahn werden verschwinden. Aber ist das schlimm?
Am vergangenen Dienstag fand ein Nrw-innenstadtgipfel statt, weil die Geschäfte aus der City verschwinden. Die Attraktivität der zentralen Orte lässt offenbar nach. INGENHOVEN Da wäre ich nicht so pessimistisch. Eine Stadt organisiert sich durch die Kräfte, die in ihr wirken. Ob eine Stadt attraktiv ist oder nicht, ist auch das Ergebnis des Engagements und der Aktionen ihrer Bürger. Das kann man auch durch Subventionen nicht aufwiegen. Das Leben ist einfach stärker. Nach Soho in New York oder auch auf die Kö in Düsseldorf gehen die Menschen, weil diese Orte interessant sind. Wenn man dort auch noch einkaufen kann, umso besser. Auch in Zukunft wird man in den Innenstädten
Erlebnis mit Einkaufen verbinden, der Rest wird online geschehen. Wenn demnach Geschäfte auf der grünen Wiese verschwinden, bedauere ich das nicht. Dort geht man hin, weil man muss oder es dort billiger ist. Durch diese riesigen Einkaufscenter werden unnötig Flächen versiegelt, Naturraum zerstört.
Sie haben als Architekt wichtige Auszeichnungen für ökologisches Bauen erhalten. Sind unsere Innenstädte grün genug?
INGENHOVEN Wenn es nach mir ginge, könnten Sie den Kaufhof am Wehrhahn in Düsseldorf abreißen und dort einen Park anlegen.
Zwei Fassaden des von Ihnen entworfenen Kö-bogens II und das Dach des Gebäudes wurden komplett mit Hecken bepflanzt. Ist das nicht ein schwacher Ersatz für ein grünes Stadtzentrum?
INGENHOVEN Nein, das ist ein starker Weckruf und ein Bruch mit konventionellem Bauen. Aber das reicht natürlich noch nicht. Wir müssen unsere Straßen viel intensiver mit Bäumen bepflanzen, die Dachflächen begrünen. Angesichts des Klimawandels wird das in den Städten immer wichtiger. Aber auch die soziale Dimension dürfen wir nicht vergessen. Nicht jeder in der Stadt hat einen Balkon. Gerade die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig Grünflächen und öffentliche Plätze für den Ausgleich sind. Wir müssen sie als wertvolle Ressource begreifen, das Rheinland insgesamt als eine wirklich grüne Metropolregion mit dem Rhein und seinen Uferflächen als Herzstück weiterentwickeln.
Andere Städte sind weiter als unsere rheinischen Metropolen, in denen der Autoverkehr weiter dominiert. Denken Sie nur an die unselige Diskussion um die Umweltspur, die jetzt wieder abgeschafft wird.
INGENHOVEN Ich bin kein Experte für die Umweltspur. Aber grundsätzlich müssen wir selbst in den fortschrittlichen deutschen Städten noch alles auf links drehen. Ich fahre gern Auto, das Fortbewegungsmittel in der verdichteten Stadt ist jedoch das Fahrrad – oder der öffentliche Nahverkehr. So sollten wir in der Innenstadt das Parken am Straßenrand zurückdrängen. Das ist in Tokio, der größten Stadt der Welt, bereits geschehen. Warum nicht bei uns?
Welche Rolle spielt die Politik? INGENHOVEN Nehmen Sie zweivorbilder für ökologischen Stadtumbau in Europa, Amsterdam und Kopenhagen. Vor 20 Jahren waren das keine so attraktiven Städte wie heute, jetzt redet jeder über sie. Das zeigt, dass Politik etwas verändern kann. Im Rahmen des Wettbewerbs für das neue Stadtschloss in Berlin hatten wir einen Park vorgeschlagen. In unseren Entwurfszeichnungen haben wir die Stadt von parkenden Autos, Verkehrsschildern, Graffiti, Werbung und Ähnlichem befreit. Niemand hat die Stadt wiedererkannt, obwohl die Gebäude und Straßen die gleichen waren. Wir haben schöne Städte, wir müssen sie uns vom Auto, von der Werbung und den Verkehrsschildern zurückerobern!
Es gibt die Metropolregion Rheinland. Ist das ein Weg?
INGENHOVEN Das ist nur der kleinste gemeinsame Nenner, und dieser ist nicht sonderlich groß. Wir haben in Aachen eine der besten Universitäten der Welt, Düsseldorf ist geprägt durch Wissenschaft, intelligente Produktion, Kunst, Mode und Innovationen. Warum nicht die universitäre Kompetenz in Aachen bündeln, die Innovation in Düsseldorf, beides mit einem Superfast-train verbinden und einen gemeinsamen Nrw-großflughafen mit enger Anbindung an Belgien und die Niederlande bauen? Wir müssen 30 Jahre voraus schauen, nicht drei oder fünf, das tut unsere Konkurrenz in Europa und der Welt auch.
Was ist mit der Kultur?
INGENHOVEN Diese würde ich nicht bündeln. Es ist toll, dass wir in den großen Städten jeweils Theater, Oper und Tanzbühnen haben. Die kulturellen Einrichtungen prägen die Städte. Deshalb darf die Düsseldorfer Oper gerne auch an der Kö bleiben.
Sie werden oft gefragt, ob Sie gern einmal eine Kirche bauen würden. Wie steht es damit?
INGENHOVEN Als begeisterter Architekt faszinieren mich natürlich viele Bauaufgaben – Kirchen, Museen, Brücken, Krankenhäuser. Leider gibt es kaum noch Gelegenheit, Kirchen zu entwerfen. Aber ich bin offen – für fast alles.