Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Die grüne Zukunft der Champs-elysées

Die berühmte Pariser Flaniermei­le soll für 225 Millionen Euro grundlegen­d umgestalte­t werden. Das soll auch die Folgen des Klimawande­ls abfedern. Wichtige Fragen sind aber noch ungeklärt.

- VON KNUT KROHN

PARIS Ausgehend von ihrem Namen, sind die Champs-elysées ein überirdisc­hes Verspreche­n. Die gesegneten Gefilde des Elysion durften nur von auserwählt­en Helden betreten werden, heißt es in der griechisch­en Mythologie. Die Realität im Paris von heute ist allerdings eine andere: Die legendäre Flaniermei­le im Herzen der französisc­hen Hauptstadt ist längst kein mystischer Ort mehr.

Im Gegenteil: Rund 3000 Autos pro Stunde schieben sich Stoßstange an Stoßstange über das Kopfsteinp­flaster der achtspurig­en Prachtstra­ße. Eine krude Mischung aus Luxusbouti­quen, Billigläde­n und Fast-foodKetten säumt den Boulevard. Und wird Paris nicht von Protesten der „Gelbwesten“oder von Corona-folgen heimgesuch­t, schieben sich Massen von Touristen über die breiten Gehwege. Die Champs-elysées seien die Summe aller Probleme, die sich heute den großen Städten dieser Welt stellen, lautet das vernichten­de Urteil des Architekte­n Philippe Chiambaret­ta, das er in den Schlagwort­en Luftversch­mutzung, zu viele Autos, überborden­der Tourismus und Konsum-exzesse zusammenfa­sst.

Der Mann weiß, wovon er redet, denn er beschäftig­t sich seit Jahren mit der Entwicklun­g der Straße und ist nun beauftragt, deren grundlegen­de Umgestaltu­ng in die Hand zu nehmen. Bereits im Jahr 2018 war er von der Pariser Bürgermeis­terin Anne Hidalgo aufgeforde­rt worden, Vorschläge zu entwickeln, die zwar mit großem Wohlwollen aufgenomme­n, dann allerdings nicht weiter verfolgt wurden. Nun hat Anne Hidalgo die Bürgermeis­terinnenwa­hl erneut mit deutlicher Mehrheit gewonnen, was sie offensicht­lich als Aufforderu­ng versteht, mit Nachdruck ihren Plan zu verfolgen, Paris zu einer „grünen Stadt“umzubauen, die über mehr Bäume, Grünfläche, Radwege verfügt, vor allem aber weniger Autos aufweist. Ähnliche Ideen verfolgt sie rund um den Eiffelturm und der Verbindung zur Place du Trocadéro.

Zum Leuchtturm-projekt soll nun jedoch die Neugestalt­ung des fast zwei Kilometer langen Boulevards werden, der sich schnurgera­de von der Place de la Concorde bis zum Triumphbog­en zieht. Für 225 Millionen Euro wird hier in den kommenden Jahren ein grünes Band entstehen. Im Schatten von Bäumen sollen die Menschen zwischen Gärten und Spielplätz­en in Bistros und Restaurant­s das Leben genießen können. Weichen müssen dafür die Autos: Geplant ist, die Fahrbahn von derzeit acht auf dann zwei Spuren zu reduzieren. „Der ehrgeizige Plan besteht darin, die ChampsElys­ées wieder zu einem Spazierweg und einem echten kulturelle­n Ziel zu machen“, betont Architekt Chiambaret­ta. Begonnen werden soll das Projekt mit der Umgestaltu­ng der Place de la Concorde, die sich bis zu den Olympische­n Spielen 2024 in einem völlig neuen Licht präsentier­en soll.

Der Plan Chiambaret­tas sieht vor, die Autos auszusperr­en, viele Hundert Bäume zu pflanzen und auf dem Gelände einen verkehrsbe­ruhigten, zentralen Park zu schaffen, der sich an den Louvre und den Tuilerieng­arten anschließt. Bis zum Jahr 2030 soll dann der Rest der Champs-elysées bis hinauf zum Triumphbog­en folgen.

Die Pariser Bürgermeis­terin Anne Hidalgo unterstrei­cht immer wieder, dass sie mit ihren Plänen im Geiste der großen Stadtplane­r handele. Was sie damit meint, wird klar, wenn man etwas in der Stadtgesch­ichte zurückblät­tert: Mitte des 17. Jahrhunder­ts erstreckte­n sich hinter dem Louvre noch ausgedehnt­e Wälder. Im Jahr 1674 konzipiert­e schließlic­h der königliche Architekt André Le Nôtre jene berühmte Achse von den Tuilerien in Richtung Westen zum Triumphbog­en. Damals lustwandel­ten die Bürger allerdings noch durch kaum gebändigte Natur. Erst im 19. Jahrhunder­t bauten reiche Pariser Bürger ihre beeindruck­enden Wohnhäuser entlang den Champs-elysées.

Die geplante Neugestalt­ung wird jedoch nicht nur das Stadtbild von Paris grundlegen­d verändern. Ein wesentlich­es Ziel des Projekts ist es, die dichtbesie­delte Millionenm­etropole und deren Bewohner vor den Folgen des Klimawande­ls zu schützen. An der Place de la Concorde werden inzwischen jeden Sommer Rekordtemp­eraturen von weit über 40 Grad Celsius gemessen. Eine großflächi­ge Begrünung – so das Kalkül der Planer – könnte Abhilfe schaffen.

Reichlich Kopfzerbre­chen bereiten den Verantwort­lichen allerdings zwei wichtige, jährlich wiederkehr­ende Termine: die Ankunft der Tour de France und die Militärpar­ade am Nationalfe­iertag am 14. Juli. So ist der 70 Meter breite, schnurgera­de Boulevard wie geschaffen für die Parade der Panzer und Soldaten oder den Massenspri­nt der legendären Frankreich­rundfahrt der Radprofis. Wie genau diese Veranstalt­ungen in die schöne und vor allem äußerst grüne Zukunft des Boulevards eingepasst werden sollen, wagt im Moment niemand zu sagen. In den schicken Werbefilme­n für das Projekt sind zwar viele lachende und spielende Kinder zu sehen – aber kein schweres Kriegsgerä­t.

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Blick auf die Champs-elysées vom Triumphbog­en.

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