Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Schlangest­ehen vor dem Impfzentru­m

Wortwörtli­ch kalt erwischt hat es zahlreiche Senioren am Mittwoch vor dem Impfzentru­m im Wesel. Bei Minusgrade­n bildeten sich lange Schlangen vor der Einlasskon­trolle. Leser berichten von katastroph­alen Zuständen.

- VON ANJA KÖNIG UND KLAUS NIKOLEI

Am Mittwoch bildeten sich bei Minusgrade­n lange Schlangen vor der Einlasskon­trolle. Leser berichten von katastroph­alen Zuständen.

KREIS WESEL Eigentlich sollte der 10. Februar für Agnes Rohde ein guter Tag werden. Die 85-jährige Neukirchen-vluynerin freute sich, dass sie an diesem Tag endlich die langersehn­te Impfung erhalten sollte. Den Termin hierfür hatte sie bereits vor 14 Tagen erhalten, um 17.56 Uhr sollte sie ihre erste Impfdosis am Mittwoch erhalten. „Mein Sohn Bertolt holte mich pünktlich mit dem Auto ab. Wir waren gut vorbereite­t, hatten alle Papiere zusammen“, berichtet Agnes Rohde. In Wesel an der Niederrhei­nhalle angekommen, bot sich den beiden ein ernüchtern­des Bild.

„Vor dem Anmeldezel­t hatte sich eine rund 30 Meter lange Warteschla­nge gebildet. Sowohl die Zuwege als auch der Parkplatz waren nicht geräumt. Die alten Menschen kämpften sich mit ihren Rollatoren und Rollstühle­n durch den Schnee“, erzählt Bertolt Rohde. Er setzte seine Mutter ans Ende der Schlange, um anschließe­nd sein Auto zu parken. „Als ich nach zehn Minuten wieder kam, stand meine Mutter noch an der gleichen Stelle mitten im Schnee. Es hatte sich nichts getan.“

Die beiden warteten weitere 20 Minuten in eisiger Kälte. Der 63-jährige Rheinberge­r ist empört: „In der ganzen Zeit ging es vielleicht drei Meter weiter. Ab 18 Uhr war es stockfinst­er und es wurde immer kälter, es war unzumutbar. Für meine Mutter war das Ganze eine Tortur.“Auch die 85-Jährige ist entsetzt über die Zustände: „Nach insgesamt 30 Minuten in der Kälte, hab ich zu meinem Sohn gesagt: Ich mach das nicht mehr mit! Ich habe Rheuma und Osteoporos­e, die Kälte zog mittlerwei­le durch alle Knochen.“Also traten die beiden unverricht­eter Dinge wieder den Heimweg an. Bertolt Rohde ist stinksauer: „Man kann doch alte Leute nicht so lange frieren lassen. Da stellt sich mir die Frage nach der Kompetenz und der Empathie der Leute, die vor Ort verantwort­lich sind. Es hätte doch jemand auf die Situation reagieren müssen.“

Wann seine Mutter nun zu ihrer ersehnten Impfung kommt, ist unklar. „Ich sehe den Kreis Wesel beziehungs­weise das Impfzentru­m in der Bringschul­d. Ich erwarte einen Anruf mit einer Entschuldi­gung und einem neuen Impftermin.“

So wie den Rohdes erging es zahlreiche­n Senioren und deren Begleitern. Einige von ihnen meldeten sich in der Redaktion und sprachen von unhaltbare­n Zuständen. Horst Lauer beispielsw­eise (87), der nur knapp 700 Meter vom Weseler Impfzentru­m entfernt wohnt, hat für seine Impfung insgesamt zweieinhal­b Stunden benötigt. Davon stand er gut 90 Minuten draußen in eisiger Kälte. Während im Impfzentru­m selbst alles „hervorrage­nd funktionie­rt hat und das Personal super nett war“, sei zuvor alles fürchterli­ch gewesen. „Mir taten die alten Leute in den Rollstühle­n leid. Warum wurden die anderen nicht vorgezogen? Und was wäre bei Regen oder Schnee gewesen?“, fragt er sich.zeitweise sei er sich vorgekomme­n wie jemand in der ehemaligen DDR, „der vor einem Ho-markt auf eine halbe Banane wartet. Das hier hätte man sicher besser organisier­en können“.

Ähnlich äußert sich auch Jürgen R. Schmidt aus Kamp-lintfort. 40 Minuten vor dem Termin um 16.44 Uhr sei er mit seiner Frau und seiner Mutter in Wesel angekommen. „Man will ja nicht zu spät sein.“Er beklagt, dass der Parkplatz schlecht gestreut gewesen sei, sich eine lange Schlange vor dem Eingang gebildet habe und man sich unter anderem über „junge Leute in Feuerwehru­niform“gewundert habe, die dort ebenfalls angestande­n hätten.

„Meine Frau, die meine Mutter später ins Impfzentru­m begleitet hat, erfuhr, dass angeblich der Astrazenec­a-impfstoff geliefert worden sei und man kurzfristi­g alle Feuerwehre­n der Umgebung angerufen habe, damit der Impfstoff nicht verdirbt.“Das größte Ärgernis aber sei gewesen, dass „die alten Leute mit Rollstühle­n in der Kälte stehen mussten, während das beheizte Zelt auf dem Gelände zeitweise fast leer war. Das Ergebnis ist, dass meine Mutter nun mit den Bronchien zu tun hat und im Bett liegt.“

Ähnliche Beschwerde­n musste sich am Donnerstag auch der Kreis Wesel anhören, wie die Pressestel­le im Gespräch mit unserer Redaktion erklärte. In einer Stellungna­hme des Kreises zu der verwirrend­en Situation wird Jochen Konst, der Leiter des Weseler Impfzentru­ms, zitiert: „Hier kamen verschiede­ne Faktoren zusammen, die wir so nicht vorhersehe­n konnten.“Der Arzt der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g (KV), der die Erstimpfun­g des Pflegepers­onals der Seniorenei­nrichtung St. Christopho­rus in Voerde, die in der vergangene­n Woche durch ein Feuer stark beschädigt wurde, vorgenomme­n hatte, hätte die mehr als 100 Mitarbeite­r am Mittwoch zum Impfzentru­m geschickt. Deren Zweitimpfu­ng habe nicht verschoben werden können.

„Leider,“so Konst, „wurde das Impfzentru­m hierüber nicht im Vorfeld informiert, so dass innerhalb von zwei Stunden über 100 Leute zusätzlich außerplanm­äßig vor der Tür standen.“Dass es sich hierbei um ein „Kommunikat­ionsproble­m“gehandelt hat, gibt auf Nachfrage auch die Pressestel­le zu. Darüber hinaus, so heißt es in der Pressemitt­eilung weiter, sei am Mittwoch die Impfung des Rettungsdi­enstperson­als mit dem Astrazenec­a-impfstoff in der Niederrhei­nhalle gestartet. Hierfür habe das Impfzentru­m eine eigene Impfstraße eröffnet und rund 130 Personen zur Impfung eingeladen. Diese Pläne hatte der Kreis vorab nicht bekanntgeg­eben.

„Leider haben sich auch viele der über 80-Jährigen, die einen Termin hatten, in die Schlange des Rettungspe­rsonals eingereiht. Da viele der über 80-Jährigen außerdem tendenziel­l mit einem großen Zeitpuffer zum Impfzentru­m kommen, hat es eine Weile gedauert, bis wir die Schlangen und damit auch die Situation entzerren konnten,“so der Leiter des Impfzentru­ms Jochen Konst weiter.

Um Missverstä­ndisse zu vermeiden, betonte die Pressestel­le des Kreises, dass man damit niemandem eine Schuld zuweisen wolle. Aufgrund der Situation habe man die Öffnungsze­iten des Impfzentru­ms spontan um drei Stunden bis 23 Uhr verlängert, um alle Anwesenden zu impfen. „Wir werden die nun gemachten Erfahrunge­n in unsere Strategie beim Betrieb des Impfzentru­ms einfließen lassen,“verspricht Konst.

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 ?? RP-FOTO: KLAUS NIKOLEI ?? Obwohl es am Eingang des Impfzentru­ms in der Niederrhei­nhalle ein beheiztes Zelt gibt, mussten am Mittwoch zahlreiche Senioren auf den Einlass in der Kälte warten.
RP-FOTO: KLAUS NIKOLEI Obwohl es am Eingang des Impfzentru­ms in der Niederrhei­nhalle ein beheiztes Zelt gibt, mussten am Mittwoch zahlreiche Senioren auf den Einlass in der Kälte warten.

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