Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Haus ohne Applaus
ANALYSE Der Bundesrat tritt an diesem Freitag zu seiner tausendsten Sitzung zusammen. Die sogenannte Länderkammer hat die Republik stabilisiert, doch die veränderte Parteienlandschaft macht Reformbedarf deutlich.
Als Heike Raab vor sechs Jahren erstmals auf ihrem Sitz im Bundesrat Platz genommen hatte und die Sitzung begann, fiel ihr schon nach wenigen Minuten der krasse Unterschied zu den Beratungen in einem normalen Parlament auf: keine Zwischenrufe, keine Missfallensäußerungen, kein Beifall. Die SPD-POLItikerin mit zehn Jahren Abgeordnetenerfahrung in Rheinland-pfalz saß nun im „Haus ohne Applaus“. Auch an diesem Freitag wird es wieder so sein, wenn die sogenannte Länderkammer zu ihrer tausendsten Sitzung zusammenkommt und Bundespräsident Frank-walter Steinmeier Wichtiges zu dieser Speerspitze des Föderalismus sagt.
Die Konzentration auf die Reden lasse eine besondere Würde spüren, berichtet Raab. Man kann auch Bismarcks Vermächtnis darin sehen. Im internationalen Vergleich sei der Bundesrat eine „sehr eigenartige zweite Kammer“, erklärt der Bonner Politikwissenschaftler Frank Decker. Denn die Mitglieder sind keine gewählten Abgeordneten, sondern Mitglieder aus Landesregierungen.
Die Konstruktion geht, wie Decker erläutert, auf die Reichsgründung vor 150Jahren zurück. Das Deutsche Reich sei damals von Staaten gebildet worden, die bereits über Verwaltungen verfügten. „Die Durchführung der Reichsgesetze lag in den Händen der Staaten, und deshalb saßen die Fürsten im Bundesrat, der damals schon so hieß.“
Weil die Mitglieder des Bundesrats nie komplett ausgewechselt werden, spricht man auch vom „ewigen“Verfassungsorgan. Doch die 1000 Sitzungen, deren Zahl nun voll ist, beziehen sich nicht auf die Reichsgründung von 1871, sondern auf die Republikgründung von 1949. „Die Länder haben den Bund gegründet – nicht umgekehrt“, ruft Stephan Holthoff-pförtner in Erinnerung. Der Cdu-politiker ist als nordrhein-westfälischer Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten im Bundesrat. Der Anspruch ist riesig: „Kein Bundesgesetz kommt zustande, ohne dass der Bundesrat damit befasst wurde“, unterstreicht Holthoff-pförtner. Die Länder erwiesen sich dabei als „echte Ideenschmieden“, der Bundesrat als „Impulsgeber“.
Auch der Wissenschaftler Decker zieht eine zunächst positive Bilanz. Wenn die Länder mit ihren Verwaltungen für die Ausführung der Gesetze zuständig seien, dann sei es sinnvoll, sie auch an der Gesetzgebung zu beteiligen. „Ich glaube, dass sich dieses Modell grundsätzlich bewährt hat“, fasst Decker zusammen. Dann aber folgt ein sehr großes Aber. Denn Kanzler wie Brandt, Schmidt, Kohl und Schröder haben den Bundesrat als Blockadeinstrument der Gegenseite erlebt. Das lag daran, dass die Wähler dazu neigten, die Politik der von ihnen mit einem Regierungsmandat im Bund ausgestatteten Mehrheit nach einiger Zeit kritisch zu sehen und die Opposition im Bund bei den Wahlen in den Ländern zu stärken und dort in die Regierung zu schicken. Daraus ergaben sich immer wieder andere Mehrheiten im Bundesrat als im Bundestag. Effekt: Die Bundesregierung hatte versprochen, ihre Politik gegen die Opposition durchzusetzen, schaffte das auch im Bundestag, scheiterte aber im Bundesrat.
Die Mitwirkung des Bundesrats gilt grundsätzlich für jedes Gesetz. Bestimmte Arten von Regelungen greifen jedoch nicht unmittelbar in die Kompetenzen der Länder ein. Deshalb darf der Bundesrat hier mit seiner Mehrheit nur einen Einspruch einlegen, den die Mehrheit im Bundestag zurückweisen kann. Doch bei allen Regelungen, die direkt in die Länderzuständigkeiten eingreifen, muss der Bundesrat zustimmen. Gibt es für diese Zustimmungsgesetze keine eigene Mehrheit im Bundesrat, sind sie gescheitert. Dann können sie nur noch durch eine Veränderung im Vermittlungsausschuss beider Kammern in veränderter Form als Kompromiss neue Mehrheiten finden.
Doch die Republik ist bunter geworden. Unterschieden die Manager des politischen Geschäfts seit den frühen 70er-jahren zwischen dem Block der (Spd-regierten) A-länder und dem der (unionsregierten) B-länder, hat in der Kanzlerschaft Angela Merkels keine Seite mehr eine eigene Mehrheit im Bundesrat. Selbst die große Koalition ist im Bundesrat ganz klein. Denn in fast allen Ländern regieren Parteien miteinander, die im Bund entweder der Regierung oder der Opposition angehören. Und die haben sich im Land darauf verständigt, sich im Bundesrat zu enthalten, wenn sie sich nicht einig sind.
Um überhaupt noch etwas durchsetzen zu können, sind die Verhandlungen zwischen Bund und Ländern daher in die Koalitionsgespräche vorverlagert worden. Da sprechen dann auch Ländervertreter bei der Formulierung der Ziele der künftigen Bundesregierung mit. „Wir haben jetzt eine große Konsens- und Kompromissmaschine“, fasst Decker zusammen. Das führe jedoch zu dem Problem, dass der Wähler die Verantwortlichkeiten nicht mehr erkennen könne. „Es funktioniert zwar gut, aber so richtig transparent ist es nicht“, lautet sein Urteil.
Decker schlägt institutionelle Reformen vor. Sein Befund: „Das Abstimmungsprinzip passt nicht mehr zur veränderten Parteienlandschaft.“Bei Einspruchsgesetzen wird eine Enthaltung zum Ja, da das Bundesgesetz nicht blockiert wird, bei Zustimmungsgesetzen zum Nein, da die nötigen Stimmen fehlen. Deshalb hält es Decker für überzeugend, die Abstimmungslogik anzugleichen, um die Verantwortlichkeiten deutlicher zu machen.
1000 Sitzungen nach seiner Gründung hat das Haus ohne Applaus Renovierungsbedarf.
„Wir haben eine große Kompromissmaschine“Frank Decker Politikwissenschaftler