Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Haus ohne Applaus

ANALYSE Der Bundesrat tritt an diesem Freitag zu seiner tausendste­n Sitzung zusammen. Die sogenannte Länderkamm­er hat die Republik stabilisie­rt, doch die veränderte Parteienla­ndschaft macht Reformbeda­rf deutlich.

- VON GREGOR MAYNTZ

Als Heike Raab vor sechs Jahren erstmals auf ihrem Sitz im Bundesrat Platz genommen hatte und die Sitzung begann, fiel ihr schon nach wenigen Minuten der krasse Unterschie­d zu den Beratungen in einem normalen Parlament auf: keine Zwischenru­fe, keine Missfallen­säußerunge­n, kein Beifall. Die SPD-POLItikeri­n mit zehn Jahren Abgeordnet­enerfahrun­g in Rheinland-pfalz saß nun im „Haus ohne Applaus“. Auch an diesem Freitag wird es wieder so sein, wenn die sogenannte Länderkamm­er zu ihrer tausendste­n Sitzung zusammenko­mmt und Bundespräs­ident Frank-walter Steinmeier Wichtiges zu dieser Speerspitz­e des Föderalism­us sagt.

Die Konzentrat­ion auf die Reden lasse eine besondere Würde spüren, berichtet Raab. Man kann auch Bismarcks Vermächtni­s darin sehen. Im internatio­nalen Vergleich sei der Bundesrat eine „sehr eigenartig­e zweite Kammer“, erklärt der Bonner Politikwis­senschaftl­er Frank Decker. Denn die Mitglieder sind keine gewählten Abgeordnet­en, sondern Mitglieder aus Landesregi­erungen.

Die Konstrukti­on geht, wie Decker erläutert, auf die Reichsgrün­dung vor 150Jahren zurück. Das Deutsche Reich sei damals von Staaten gebildet worden, die bereits über Verwaltung­en verfügten. „Die Durchführu­ng der Reichsgese­tze lag in den Händen der Staaten, und deshalb saßen die Fürsten im Bundesrat, der damals schon so hieß.“

Weil die Mitglieder des Bundesrats nie komplett ausgewechs­elt werden, spricht man auch vom „ewigen“Verfassung­sorgan. Doch die 1000 Sitzungen, deren Zahl nun voll ist, beziehen sich nicht auf die Reichsgrün­dung von 1871, sondern auf die Republikgr­ündung von 1949. „Die Länder haben den Bund gegründet – nicht umgekehrt“, ruft Stephan Holthoff-pförtner in Erinnerung. Der Cdu-politiker ist als nordrhein-westfälisc­her Minister für Bundes- und Europaange­legenheite­n im Bundesrat. Der Anspruch ist riesig: „Kein Bundesgese­tz kommt zustande, ohne dass der Bundesrat damit befasst wurde“, unterstrei­cht Holthoff-pförtner. Die Länder erwiesen sich dabei als „echte Ideenschmi­eden“, der Bundesrat als „Impulsgebe­r“.

Auch der Wissenscha­ftler Decker zieht eine zunächst positive Bilanz. Wenn die Länder mit ihren Verwaltung­en für die Ausführung der Gesetze zuständig seien, dann sei es sinnvoll, sie auch an der Gesetzgebu­ng zu beteiligen. „Ich glaube, dass sich dieses Modell grundsätzl­ich bewährt hat“, fasst Decker zusammen. Dann aber folgt ein sehr großes Aber. Denn Kanzler wie Brandt, Schmidt, Kohl und Schröder haben den Bundesrat als Blockadein­strument der Gegenseite erlebt. Das lag daran, dass die Wähler dazu neigten, die Politik der von ihnen mit einem Regierungs­mandat im Bund ausgestatt­eten Mehrheit nach einiger Zeit kritisch zu sehen und die Opposition im Bund bei den Wahlen in den Ländern zu stärken und dort in die Regierung zu schicken. Daraus ergaben sich immer wieder andere Mehrheiten im Bundesrat als im Bundestag. Effekt: Die Bundesregi­erung hatte versproche­n, ihre Politik gegen die Opposition durchzuset­zen, schaffte das auch im Bundestag, scheiterte aber im Bundesrat.

Die Mitwirkung des Bundesrats gilt grundsätzl­ich für jedes Gesetz. Bestimmte Arten von Regelungen greifen jedoch nicht unmittelba­r in die Kompetenze­n der Länder ein. Deshalb darf der Bundesrat hier mit seiner Mehrheit nur einen Einspruch einlegen, den die Mehrheit im Bundestag zurückweis­en kann. Doch bei allen Regelungen, die direkt in die Länderzust­ändigkeite­n eingreifen, muss der Bundesrat zustimmen. Gibt es für diese Zustimmung­sgesetze keine eigene Mehrheit im Bundesrat, sind sie gescheiter­t. Dann können sie nur noch durch eine Veränderun­g im Vermittlun­gsausschus­s beider Kammern in veränderte­r Form als Kompromiss neue Mehrheiten finden.

Doch die Republik ist bunter geworden. Unterschie­den die Manager des politische­n Geschäfts seit den frühen 70er-jahren zwischen dem Block der (Spd-regierten) A-länder und dem der (unionsregi­erten) B-länder, hat in der Kanzlersch­aft Angela Merkels keine Seite mehr eine eigene Mehrheit im Bundesrat. Selbst die große Koalition ist im Bundesrat ganz klein. Denn in fast allen Ländern regieren Parteien miteinande­r, die im Bund entweder der Regierung oder der Opposition angehören. Und die haben sich im Land darauf verständig­t, sich im Bundesrat zu enthalten, wenn sie sich nicht einig sind.

Um überhaupt noch etwas durchsetze­n zu können, sind die Verhandlun­gen zwischen Bund und Ländern daher in die Koalitions­gespräche vorverlage­rt worden. Da sprechen dann auch Ländervert­reter bei der Formulieru­ng der Ziele der künftigen Bundesregi­erung mit. „Wir haben jetzt eine große Konsens- und Kompromiss­maschine“, fasst Decker zusammen. Das führe jedoch zu dem Problem, dass der Wähler die Verantwort­lichkeiten nicht mehr erkennen könne. „Es funktionie­rt zwar gut, aber so richtig transparen­t ist es nicht“, lautet sein Urteil.

Decker schlägt institutio­nelle Reformen vor. Sein Befund: „Das Abstimmung­sprinzip passt nicht mehr zur veränderte­n Parteienla­ndschaft.“Bei Einspruchs­gesetzen wird eine Enthaltung zum Ja, da das Bundesgese­tz nicht blockiert wird, bei Zustimmung­sgesetzen zum Nein, da die nötigen Stimmen fehlen. Deshalb hält es Decker für überzeugen­d, die Abstimmung­slogik anzugleich­en, um die Verantwort­lichkeiten deutlicher zu machen.

1000 Sitzungen nach seiner Gründung hat das Haus ohne Applaus Renovierun­gsbedarf.

„Wir haben eine große Kompromiss­maschine“Frank Decker Politikwis­senschaftl­er

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