Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Die Angst vorm Scheitern
Fast ein Drittel der Studenten bricht das Studium ab. Der Weg dahin ist oft mit vielen Zweifeln verbunden. Eine Beratung kann helfen herauszufinden, was man wirklich will und wie man zu diesem Ziel kommt.
DÜSSELDORF Ein Studium ist nicht einfach. Es erfordert Selbstdisziplin, Selbstorganisation und Geduld – in Zeiten der Corona-krise ganz besonders. Wenn dann auch noch andere Inhalte behandelt werden als gedacht oder der Zugang zu Themen schwerfällt, kommen schnell Zweifel auf. Ist das der richtige Studiengang für mich? Soll ich lieber eine Ausbildung machen? Im Rahmen des Kooperationsprojektes „Move“beraten Experten der Heinrich-heine-universität Düsseldorf, der Industrie- und Handelskammer zu Düsseldorf (IHK), der Arbeitsagentur Düsseldorf und anderer Einrichtungen niedrigschwellig und mit kurzen Wegen zu Ansprechpartnern genau zu diesem Thema. Ihre wichtigste Botschaft: Zweifel am Studium sind nichts Schlimmes.
„Zu uns kommen Studienzweifler in unterschiedlichen Situationen“, sagt Stephan Puls, Berufs- und Studienberater der Agentur für Arbeit Düsseldorf. „Die Bandbreite ist groß. Es beginnt bei ganz diffusen Zweifeln. Manche Studierenden sagen, sie fühlen sich in ihrer Situation nicht wohl. Andere kommen mit einem beschlossenen Wechsel und würden nur gerne eine bestimmte Ausbildung vermittelt bekommen. Dazwischen gibt es alles.“Eines haben die Studenten aber oft gemeinsam. „Die meisten kommen, wenn sie überhaupt kommen, mit vielen Ängsten, Unsicherheit und Scham“, sagt Stephan Puls. „Das liegt daran, dass Scheitern hier in Deutschland mit einem großen Stigma versehen ist. Von daher sind viele sehr vorsichtig.“Dabei seien Zweifel völlig in Ordnung. „Unsere erste Aufgabe ist es dann, ganz gezielt persönliche Annahmen zu spiegeln und eine gute Gesprächsatmosphäre zu schaffen“, sagt Stephan Puls. Vielen Studierenden stehe anfangs beim Blick in die Zukunft die Sorge zu sehr im Weg. „Wenn man die ein bisschen verkleinert hat, ist der Weg freier.“
Das erlebt auch Jutta Vaihinger oft. Sie arbeitet als systemische Beraterin und Coach in der Studienberatung der Heinrich-heine-universität in Düsseldorf. „Das Thema Zweifel am Studium ist häufig mit großen Selbstvorwürfen belastet“, sagt sie. Auch sie versuche dann, Ängste zu nehmen. Denn aussichtslos sei es nie. „Wenn sich jemand bei uns meldet, versuchen wir im Gespräch gemeinsam herauszubekommen, woher die Zweifel rühren – liegt es am Fach, liegt es am Universitätssystem, wäre eine Fachhochschule oder ein duales Studium vielleicht besser?“, sagt Jutta Vaihinger. Oder ist es eine Lernproblematik, gibt es persönliche Gründe, oder ist vielleicht das Geld knapp?
Im weiteren Gespräch erarbeiten die Studierenden gemeinsam mit ihr Lösungsmöglichkeiten. „Wir wägen dann zusammen ab, was für oder gegen die verschiedenen Möglichkeit spricht“, sagt Vahiniger. „Und wir versuchen herauszufinden, was jemand braucht, um eine Entscheidung treffen zu können.“Sie habe auch schon oft erlebt, dass jemand weiß, was er machen möchte, sich aber nicht traut, die Wünsche in die Tat umzusetzen. Denn bei vielen Studenten seien die Zweifel am Studium auch mit einem Gefühl von Versagen verbunden. „Und mit der Frage: Wenn ich jetzt mein Studium abbreche, wie sieht das denn im Lebenslauf aus?“, sagt Jutta Vaihinger. Das findet sie sehr schade. Das größere Übel sei doch, weiter etwas zu studieren, das einem keinen Spaß mache, und später in einem Job gefangen zu sein, der einem nicht gefalle. „Es gibt natürlich Arbeitgeber, die darauf achten, welche Abiturnote ich erreicht habe, welche Note in der Abschlussarbeit, ob ich die Regelstudienzeit geschafft habe – aber möchte ich dann dort auch arbeiten? Ist das für mich ein guter Arbeitgeber?“, fragt sie.
Jens Peschner hat eine ähnliche Sicht auf die Dinge. Er leitet die Ausbildungsberatung und -stellenvermittlung der IHK und berät in dieser Funktion auch Studienzweifler. Junge Menschen heutzutage befänden sich in einem lebenslangen Berufsorientierungsprozess. Umwege und Zweifel in diesem Prozess seien ganz normal, sagt Peschner. Seiner Meinung nach müssen sowohl die Unternehmen als auch die Gesellschaft ihre Haltung diesbezüglich ändern. „Wir müssen offener sein und jungen Menschen auch erlauben, statt immer nur geradeaus zu gehen, auch einmal einen Weg nach links oder rechts einzuschla
gen“, sagt er. „Wir müssen als Gesellschaft auch aushalten, wenn sich jemand mal vertut.“Großer Druck führe oft zu Zwangsentscheidungen, die später bereut würden. Wie auch Jutta Vaihinger kennt er Unternehmen, die es lieber sehen, wenn jemand ohne Umwege zum Ziel gelangt ist. „Aber es gibt auch viele Betriebe, die den Wert darin erkennen, wenn jemand seinen Weg noch einmal geändert hat“, sagt Peschner.
Grundsätzlich sei es richtig, etwas zu finden, das einem viel Freude bereitet. „Der beste Grundstein fürs Leben ist, wenn man das macht, was einem Spaß macht. Es geht ums Herzblut“, sagt Peschner und betont: „Es gibt keinen Standardweg.“