Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Prolet und Pornograf
Sein Sex-magazin „Hustler“machte Larry Flynt reich und berühmt. Nun ist der umstrittene Verleger im Alter von 78 Jahren in Los Angeles gestorben.
„Wenn Christen mir sagen, dass Sex schmutzig ist, antworte ich: Ja, wenn man es richtig macht“
Larry Flynt
De mortuis nil nisi bene – über Tote soll man nichts Schlechtes sagen, mahnen, frei übersetzt, die alten Lateiner. Folgten wir ihrem wohlmeinenden Appell, könnten wir bei Larry Flynt den Griffel gleich wieder fallen lassen. Viel Berichtenswertes über den US-PORno-proll gäbe es unter dieser Voraussetzung nicht. Die nackte Wahrheit lautet: Er war ein Sexist, ein Voyeur, vertraut mit Perversionen. Als solchen muss man Larry Flynt allerdings nicht erst umständlich bloßstellen. Dazu hat er sich stets auch selbst bekannt – und seine Berufung ganz schnörkellos als „Schweinkram“beschrieben.
Seine Offenheit macht den jetzt im Alter von 78 Jahren in Los Angeles gestorbenen Skandal-verleger für die einen nicht unbedingt sympathischer, unterscheidet ihn für die anderen jedoch erfrischend von den Millionen, denen er seine Millionen verdankte: die in seine StripBars marschierten, sein explizites „Hustler“-magazin verschlangen, sich an seinen Pöbeleien aus der untersten Schublade erfreuten und ansonsten den korrekten Biedermann gaben. Wie auch immer: Der amerikanischen Gesellschaft in den 70er-jahren auf diese Art den Spiegel vorgehalten zu haben, muss für Larry Flynt ein Triumph gewesen sein.
Eindeutigkeit in jeder Beziehung war definitiv sein Markenzeichen, Tabubrüche begleiteten sein Leben. Flynt pfiff auf Konventionen, vielleicht, weil er selbst so roh ins Dasein geworfen worden war: auf einer Farm im hinterwäldlerischen Kentucky, die Ehe der Eltern bald zerrüttet, der junge Larry zu einer öden Jugend in der Obhut seiner Großmutter verdammt. Viel Zeit, um sich in jungen Jahren über seine Obsessionen klarzuwerden.
„Wenn gute Christen mir sagen, dass Sex schmutzig sei, dann antworte ich: Ja, wenn man es richtig macht!“Vor weniger als einem halben Jahrhundert lösten solche Sätze vielerorts noch Schnappatmung aus, auch wenn sie dem Mund eines einschlägig bekannten Enfant terrible innerhalb der publizistischen Szene entstammten. Wenn es um die Moral ging, schaltete Flynt mit größter Begeisterung in den Angriffsmodus. Mut, das muss man ihm lassen, hatte der Mann, aber hatte er auch eine Mission? Neben der Lust an der Provokation ging es wohl ganz wesentlich erst einmal ums Geldverdienen. Mit dem „Hustler Club“bewirbt Flynt 1974 zunächst eine Reihe von Nachtclubs „für hart arbeitende Männer“in Ohio, die er nach seinem Dienst bei der US Navy gekauft hat. „Hustler“ist ein Synonym für „Prostituierte“. Die Ausgabe wird von Mal zu Mal dicker, und irgendwann entsteht der Plan, es sogar mit dem „Playboy“des eleganten Hugh Hefner aufzunehmen. Das würde allerdings nicht funktionieren, ohne ein Schippchen draufzulegen. Wirbt der „Playboy“zu jener Zeit mit einer erotischen Ästhetik, die viel, aber nicht alles zeigt, geht es im „Hustler“bald vornehmlich um Letzteres. Und zwar in Nahaufnahme.
Als Flynt 1975 ein Nacktfoto von Jacqueline Kennedy Onassis veröffentlicht, das Paparazzi von der früheren First Lady beim Sonnenbaden gemacht hatten, schießen die Verkaufszahlen des „Hustler“in die Höhe und machen seinen Gründer reich. Fortan treibt es Flynt munter weiter auf die Spitze – mit herabwürdigenden Darstellungen nackter Frauen, Karikaturen, die die Kirche beleidigten, oder der Verletzung von Privatsphäre handelt er sich reihenweise Klagen ein.
Einmal wird der vulgäre Verleger wegen „Obszönität und organisiertem Verbrechen“zu 25 Jahren Haft verurteilt, wovon er allerdings nur sechs Tage absitzen muss. Immer wieder gelingt es seinen Anwälten, ihren umstrittenen Mandanten unter Berufung auf das in der Us-amerikanischen Verfassung verankerte Recht auf Presse-, Meinungs- und Religionsfreiheit herauszuhauen. Das lässt ihn bald als Vorkämpfer auf diesem Gebiet erscheinen. Die Vorstellung freilich, dass dieser hehre Ruf ausgerechnet mit der Darstellung von Frauen als Sexualobjekten auf Hochglanzpapier erworben worden sein soll, bleibt einigermaßen bizarr. Aus dem Mordsspaß, den Flynt offenbar bei der ganzen Sache hat, wird 1978 beinahe tödlicher Ernst, als ihn nach einem seiner vielen Gerichtstermine ein Rechtsextremist anschießt – nicht, weil die Aufnahmen im „Hustler“zu freizügig gewesen wären, sondern weil darin Fotos von Paaren mit unterschiedlicher Hautfarbe zu sehen waren. Seit dem Attentat sitzt Flynt von der Hüfte abwärts gelähmt im Rollstuhl – den er sich, ganz seinem persönlichen Stil folgend, vergolden lässt.
Pornografie ist heute für jeden und jederzeit frei zugänglich – im Internet. Publikationen wie der „Hustler“haben deshalb kaum noch Bedeutung. Oberhalb der Gürtellinie bleiben von Flynt vor allem dessen Eintreten gegen Homophobie und ein spektakulärer Kampf gegen Donald Trump, den der Verleger als völlig ungeeignet für das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten betrachtete. 2017 schaltete Flynt in der „Washington Post“eine ganzseitige Anzeige, in der er ein Preisgeld von zehn Millionen Dollar für kompromittierende Informationen über Trump bot. Aber Trump, der Präsident, von dem bekannt wurde, dass er sich sexueller Übergriffe auf Frauen rühmte, ist nicht einmal darüber gestürzt.