Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Ansturm auf die Friseursalons
Seit Tagen rufen Kunden in den Studios an, um sich Termine zu sichern – über 100.000 sind in NRW bereits vergeben.
DUISBURG Das Höchstgebot der Versteigerung für den ersten Haarschnitt nach dem zweiten Lockdown liegt derzeit bei 300 Euro. „Eine Stammkundin von mir hat das geboten“, sagt Sadiye Kisin, Inhaberin des Friseursalons „Haarscharf“in Duisburg, die ihr Geschäft nach der Zwangspause am 1. März um 0.01 Uhr wieder öffnen wird. „Ich freue mich schon total darauf. Aber ich bin auch ein bisschen nervös wegen des Andrangs und der Reso
„Die Gesundheit geht vor. Das bin ich meinen Kunden und Mitarbeitern schuldig“Sadiye Kisin Inhaberin eines Friseursalons
nanz“, sagt sie. Das Geld aus der Versteigerung will sie der Kindernothilfe spenden. „Und den Betrag werde ich noch aufstocken.“
Landesweit bereiten sich die Friseure auf die Wiedereröffnung am kommenden Montag vor. Nach elf Wochen Schließung dürfen sie am 1. März unter strengen Hygiene-auflagen wieder öffnen. Das hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Regierungschefs der Länder bei ihren jüngsten Beratungen vereinbart.
Bei den meisten Friseuren stehen daher die Telefone seit Tagen nicht mehr still. „In NRW sind bei den Friseuren mindestens 100.000 Termine vereinbart worden“, sagt Jörg Müller, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Friseurhandwerks (ZV). Die Nachfrage sei enorm, ein regelrechter Run auf die Termine habe eingesetzt. „Das ist schon bemerkenswert und tut der Branche gut“, betont Müller.
Auch Sadiye Kisin ist für die nächsten drei Wochen schon weitestgehend ausgebucht; nur in der letzten Märzwoche habe sie noch mehrere Termine frei. „Zudem habe ich für Stammkunden einige Slots freigelassen, weil die sich erfahrungsgemäß erst dann melden, wenn wirklich offen ist“, sagt die Duisburgerin. Sie werde ihr Geschäft im März auch länger öffnen; ihr Personal werde Überstunden machen. „Eine Aushilfe, die normalerweise nur einmal die Woche kommt, kommt im März öfters“, sagt sie.
Trotz der vollen Auftragsbücher zur Wiedereröffnung geht es vielen Betrieben finanziell nicht gut. „Die zu erwartenden Einnahmen jetzt im März können die Verluste natürlich nicht ausgleichen. Man kann schließlich nur einmal Haare schneiden – und muss dann warten, bis sie wieder zu lang sind“, sagt Jörg Müller. Besonders Läden in sogenannten 1a-lagen mit viel Personal hätten aufgrund der hohen Mieten und Personalkosten unter der Schließung zu leiden gehabt.
So hat bereits Deutschlands größte Friseurkette mit 450 Filialen wegen des massiven Umsatzeinbruchs Insolvenz angemeldet. „Daran sieht man, wie angespannt die Lage ist“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Friseurhandwerks. Wie dramatisch die Situation vieler Friseure ist, hat auch das emotionale Instagram-video von Bianka Bergler gezeigt, einer Friseurmeisterin aus Dortmund. In dem millionenfach angeklickten Video beschrieb sie weinend ihre Lage.
Auch für Kisin ist es entscheidend, dass es am Montag wieder losgeht. Sie hat ihr Erspartes aufgebraucht und schreibt rote Zahlen. „Das Geld ist aus, ich bin schon im Minus.“
Mit Preissteigerungen rechnet der Zv-hauptgeschäftsführer nicht – und wenn, dann nur vereinzelt. „Ich gehe nicht davon aus, dass wegen Corona die Preise für den Haarschnitt angehoben werden. Aber das entscheiden natürlich die Inhaber selbst“, sagt Müller. Auch für Kisin kommt das trotz klammer Kasse nicht infrage.
Friseure gehören zu den wenigen Geschäftsbereichen, die wieder öffnen dürfen. „Wir wissen um die Verantwortung und das Vertrauen, das uns damit entgegengebracht wird“, sagt Müller. Die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege hat nach den gesetzlichen Vorgaben des Bundeministeriums für Arbeit und Soziales den Arbeitsschutzstandard für das Friseurhandwerk überarbeitet und an die aktuelle Situation angepasst. Ziel sei es, Kunden, Mitarbeiter und Inhaber zu schützen und sichere Friseurdienstleistungen in professionellen Salons zu gewährleisten, so der Zentralverband.
So dürfen Friseure nur nach vorheriger Terminvergabe arbeiten. Im Geschäft müssen Sicherheitsabstände von 1,5 Metern eingehalten und medizinische Masken getragen werden. Umhänge müssen nach jedem Kunden gewechselt, der Arbeitsplatz muss desinfiziert werden. Der Friseur muss Name, Adresse und Telefonnummer der Kunden notieren, um sie gegebenenfalls zu informieren, sollte sich später herausstellen, dass Mitarbeiter oder andere Kunden mit Corona infiziert gewesen sind. Verstöße gegen die Regeln können mit bis zu 25.000 Euro geahndet werden.
Sadiye Kisin wird penibel darauf achten, alle Vorschriften einzuhalten: „Die Gesundheit geht vor. Das bin ich meinen Kunden und Mitarbeitern schuldig“, sagt sie. Und sie wird zusätzlich noch ein Luftfiltergerät auftstellen.„sicher ist sicher.“