Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
„Beim Sterben brauchen wir Hilfe“
GREGOR SCHNEIDER Der aus Rheydt stammende Künstler hat in der Corona-krise mit seinem „ Sterberaum“sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht.
DÜSSELDORF Gregor Schneider saß oder stand tagelang mit Mundschutz vor einem Fenster im Staatstheater Darmstadt, vor sich auf der Bühne ein leerer Raum. Nichts geschah, musste auch nicht, denn vor ihm war sein „Sterberaum“.
Herr Schneider, im Internet sah man Sie vor Ihrem „Sterberaum“. Bekommt dieser Raum in der Corona-krise eine neue Aktualität? SCHNEIDER Der Raum spiegelt die Widersprüchlichkeit im Umgang mit dem Sterben. Es ist sprachlos bis unsichtbar, aber gleichzeitig kommt die Dringlichkeit auf, selbstbestimmt sterben zu wollen.
Wie war die Reaktion?
SCHNEIDER Sie war positiv. Ich erkläre mir das dadurch, dass es bei der Bewältigung von großem Leid auch eines Raums bedarf, sonst stellt sich Verbitterung ein. Menschen waren einsam vor den Monitoren vereint, und ein Mensch hielt stellvertretend vor einem abgeschlossenen Raum für sie die Totenwache – zu einem Zeitpunkt, an dem viele Menschen einsam sterben, ohne in Würde verabschiedet zu werden.
Nichts als der leere Raum im leeren Theaterraum?
SCHNEIDER Im Theater erwarten wir ein Stück, wobei jemand zu uns spricht. Aber im Angesicht des Todes fehlen uns die Worte – und es braucht auch keine.
Ihr „Sterberaum“ist transportfähig? SCHNEIDER Er verdoppelt jeden Raum, in den er gestellt wird. Das Theater ist ein Schutz- und Reflexionsraum, aufgeladen mit den schönsten Dingen, dem Leben. Diese Dinge werden dort umsorgt und reflektiert, auch angesichts der existentiellen Frage der Vergänglichkeit. Durch Medizin, Technik und Digitalisierung wird das Sterben und damit die Grenze zwischen Leben und Tod immer mehr infrage gestellt.
Sie denken an öffentliches Sterben? SCHNEIDER Das Sterben ist dabei, eine öffentliche Dimension anzunehmen, die noch vor einigen Jahren undenkbar war. Wir kommen hilflos zur Welt und sterben hilflos. Wir brauchen bei der Geburt und beim Sterben Hilfe.
Aber die Angst vor dem Sterben kann doch kein Künstler dem Betroffenen nehmen?
SCHNEIDER Die Grundangst ist auf das Leben gerichtet, nicht auf den Tod. Wir machen uns eher Sorgen um Dinge im Leben. Der Tod wird in Corona-zeiten zu einer Zahl. Leibhaftig bekommen wir das Sterben und einen Toten nicht zu Gesicht. Die Reaktion auf meinen „Sterberaum“zeigt mir, dass Menschen nicht nur Gebärzimmer, sondern auch Sterberäume suchen. Das ist eine Gestaltungsaufgabe. 2008 lösten zwei Sätze von mir weltweite Reaktionen aus: „Ich möchte eine Person zeigen, die eines natürlichen Todes stirbt oder jemanden, der soeben gestorben ist. Dabei ist es das Ziel, die Schönheit des Todes zu zeigen.“Damals war das Thema Sterben in der Öffentlichkeit noch unbekannt. Seitdem hat sich einiges in Deutschland verändert, von der Patientenverfügung bis zur Sterbehilfe. Das öffentliche Sterben hat längst begonnen und gewinnt an Akzeptanz. Schon oft hat die Kunst ihren prophetischen Charakter bewiesen.
Wollen Sie die Gesellschaft ändern, nach dem Motto von Angelus Silesius: Mensch, werde wesentlich? SCHNEIDER In Zeiten von Krieg, Krankheit und Tod haben Künstler immer eine Form von Ausdruck gefunden. Diese Funktion fehlt der Gesellschaft jetzt schmerzlich. Mich hat immer das Anthropologische an Räumen interessiert. Schon während des ersten Lockdowns habe ich Museen meine 21 kubischen Räume für ein Krankenhaus und Testzentrum angeboten. Eine Antwort erhielt ich nicht. Indem ich Ausstellungsräume nachbaue, bin ich unabhängig vom Museum.
Wie aber meditieren Sie über das Ende des Lebens?
SCHNEIDER Auf leere Wände zu schauen, ist für mich nichts Neues. Man muss es nur lange genug machen. Vor dem verschlossenen Raum sitzend, habe ich auch an meinen verstorbenen Vater gedacht. Der kurze Schlaf vor dem Raum war ungewohnt. Es war wie ein Langstreckenflug. Es ist erstaunlich, wie schnell sich der Körper daran gewöhnt. Am letzten Tag saß ich ohne Unterbrechung und wollte den Blick auf den Raum nicht mehr unterbrechen.
Hat sich Ihre Vorstellung eines Sterberaums geändert?
SCHNEIDER Jede Generation hat sich ihr Todesbild konstruiert und die Art und Weise entwickelt, wie mit dem Sterben umzugehen ist. Lange Zeit hat dies die Religionen bestimmt. Die Gegenwart versucht neue Wege.
Suchen Sie einen Ort der Erkenntnis, der Reflexion?
SCHNEIDER Für mich wird der Ort erst nachdem ein Mensch gestorben ist zum Gedenkraum. Die Kunst gibt uns Distanz und somit die Freiheit, uns davon ein Bild und einen Raum zu schaffen. Für mich spricht nichts dagegen, wenn Menschen erfüllt, umgeben von Kunst sterben möchten. Das würde mich glücklich machen, und das wäre schön.