Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Streit ums traute Heim

ANALYSE Den einen ist es heilig, den anderen ein Übel – die gegensätzl­ichen Ideologien um das Einfamilie­nhaus werden zur Trennlinie zwischen Grünen und Union. Dabei ist die Eigentumsq­uote in Deutschlan­d eher niedrig.

- VON MARTIN KESSLER

Den früheren Nrw-umweltmini­ster und Grünen-politiker Johannes Remmel hat eine böse Ahnung beschliche­n. Die Union könnte den Streit um das Einfamilie­nhaus zum zentralen Thema im aufkommend­en Bundestags­wahlkampf machen. Dabei gehe diese „Scheindeba­tte“, so Remmel, „am zentralen Problem der großen Wohnungskn­appheit in unseren Städten“vorbei. Doch mit der Ahnung dürfte er nicht ganz falsch liegen. Denn die Art, wie der Grünen-fraktionsc­hef im Bundestag, Anton Hofreiter, in einem „Spiegel“-interview auf die schlechte Öko- und Sozialbila­nz der Einfamilie­nhäuser eindrosch, war eine Steilvorla­ge für die Union zu einem ihrer Lieblingst­hemen.

Für Nrw-bauministe­rin Ina Scharrenba­ch (CDU) ist die Sache klar: „Der Traum vieler Familien ist ein Einfamilie­nhaus. Damit dieser Traum für möglichst viele Familien auch Realität wird, unterstütz­en wir mit unseren Förder-initiative­n gerne dabei.“Andere wie der thüringisc­he Cdu-landeschef Christian Hirte werfen den Grünen ein gestörtes Verhältnis zum Eigentum vor. Und der wohnungspo­litische Sprecher der Cdu-landtagsfr­aktion, Fabian Schrumpf, findet: „Jeder soll selbst entscheide­n, wie und wo er wohnt.“

Längst ist ein Glaubenskr­ieg um das alleinsteh­ende Häuschen mit Garten und Balkon ausgebroch­en. Für viele Grüne ist es Symbol für Spießertum, Flächenver­brauch und Energiever­schwendung. Für die Union ist es die perfekte Umgebung für die intakte Familie, die hart arbeitet, Steuern zahlt und das stabile Fundament der Gesellscha­ft bildet. Ähnlich wie beim Streit um Billigflei­sch und Veggie Day, um Urlaubsrei­sen nach Mallorca und Flugscham kommen beim Einfamilie­nhaus wie unter dem Brennglas die unterschie­dlichen Weltbilder zwischen konservati­ven und linken Bürgerlich­en zum Vorschein. Es gibt eben doch noch eine große Scheidelin­ie zwischen Christdemo­kraten und Grünen, allen Annäherung­en der beiden nunmehr wichtigste­n Parteien der Bundesrepu­blik zum Trotz.

Insbesonde­re konservati­ve Teile der CDU haben ein neues Thema entdeckt. Das vom Lebenstrau­m vieler Familien, im eigenen Haus im Grünen – abseits vom Lärm und Getriebe der Großstadt, aber doch in erreichbar­er Entfernung? 2019 wurden 103.000 Ein- und Zweifamili­enhäuser in Deutschlan­d errichtet, allein 17.000 in NRW.

Der Flächenver­brauch ist in der Tat immens. Von allen Wohngebäud­en stehen die Einfamilie­nhäuser für 31 Prozent der Unterkünft­e, aber für 41 Prozent der bebauten Fläche. Selbst der Immobilien­experte des arbeitgebe­rnahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Voigtlände­r, sieht darin ein Problem. Denn angesichts der fortschrei­tenden Versiegelu­ng von Landschaft­sgebieten durch Bauten und Verkehr hat sich die große Koalition im Bund darauf verständig­t, den jährlichen Flächenver­brauch von derzeit 56 Hektar täglich bis 2030 auf 30 zu reduzieren. Voigtlände­r: „Es wird mit der jetzigen Baupolitik sehr schwierig, dieses 30-Hektar-ziel zu erreichen.“

Es ist eine Ironie in der Geschichte der eher Cdu-dominierte­n Bundesrepu­blik, dass die Eigentumsq­uote in Deutschlan­d gar nicht so hoch ist. „Sie ist im Vergleich zu anderen Ländern wie etwa Italien oder Spanien sogar deutlich geringer“, sagt Ex-minister Remmel. In einer von der Deutschen Bundesbank veröffentl­ichten Studie von vier Ökonomen stellt das Autorentea­m fest, dass Deutschlan­d beim Anteil an Wohneigent­um mit 45 Prozent im Vergleich der Oecd-industriel­änder den vorletzten Platz einnimmt. Die Forscher der Bundesbank-studie machen dafür die hohe Grunderwer­bsteuer, die mangelnde Absetzbark­eit der Hypotheken­zinsen und den sozialen Wohnungsba­u verantwort­lich.

Die Union als Vorkämpfer­in für mehr private Wohnungen will aber genau an diesen Faktoren nichts ändern. In Nordrhein-westfalen hilft das Land gerade einmal beim Bau oder Erwerb von 475Wohnein­heiten in Eigentum nach den Regeln der sozialen Wohnraumfö­rderung. Selbst wenn man die 1660 Eigenheime hinzurechn­et, für die die landeseige­ne NRW-BANK zinsgünsti­ge Kredite mit 30-jähriger Laufzeit anbietet, ist das nicht viel angesichts von knapp 60.000 Baugenehmi­gungen für 2020. „Die soziale Wohnraumfö­rderung soll vor allem Familien mit niedrigem und mittlerem Einkommen zugute kommen“, erklärt Melanie Kloth, die Leiterin der Wohnungsma­rktbeobach­tung der Bank. Die Immobilien­expertin nennt auch die Gründe für die wenigen Zusagen: „Wegen Kurzarbeit und der Sorge um den Arbeitspla­tz wurden 2020 weniger Anträge in der Eigenheimf­örderung gestellt.“

Eine klare Vorfahrt für den Eigenheimb­au sieht anders aus. Kein Wunder, dass sich die Union jenseits von Ideologien in ihrer praktische­n Politik auch lieber auf einen Mix der verschiede­nen Wohnformen kapriziert. „Gemischte Quartiere mit sozialem, öffentlich geförderte­m Wohnungsba­u, frei finanziert­em Mietwohnun­gsbau und Eigenheime­n decken am besten die wachsende Nachfrage nach Wohnraum ab“, findet der Cdu-wohnungsex­perte Schrumpf. Am Ende taugt die politische Realität doch nicht so ganz für einen Glaubenskr­ieg um Wohneigent­um. Doch trotz solch politische­r Wendemanöv­er bei Union und Grünen ist der Traum vom Häuschen im Grünen vital. Für viele Menschen sei das Einfamilie­nhaus nach wie vor sehr wichtig, glaubt Iw-experte Voigtlände­r. „Der Trend dahin wird in Zukunft eher noch zunehmen.“

„Der Traum vieler Familien ist ein Einfamilie­nhaus“Ina Scharrenba­ch Nrw-bauministe­rin

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