Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Noch nicht bereit fürs Yoga-studio
An diesem Wochenende scheidet Katja Kipping nach fast neun Jahren als Vorsitzende der Linken aus dem Amt. Ihr Weg in der Berufspolitik soll damit nicht enden. Bekannt ist sie für ihre Beharrlichkeit.
BERLIN Eine Bühne in Göttingen an einem Samstag im Juni. Draußen scheint die Sonne, drinnen brodelt die Halle. Aber jetzt ist Katja Kipping durch. Ihre Partei, die Linke, ist nach zwölf Stunden Debatte und Wahlschlacht auch ziemlich durch. Kipping ist da gerade 34 Jahre alt, soeben zur neuen Bundesvorsitzenden gewählt und soll in einer Doppelspitze mit Bernd Riexinger eine Partei führen, die zu diesem Zeitpunkt total zerrissen ist, die so sehr vor der Spaltung steht, dass Gregor Gysi den Delegierten sogar aus der Bergpredigt vorgelesen hat: „Liebet eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen!“
Fast neun Jahre später ein Treffen mit Kipping für eine Bilanz – coronabedingt bei einem Spaziergang durch den Treptower Park in Berlin. Sie ist jetzt mit nur 43 Jahren die dienstälteste Parteichefin im Bundestag. Die Linken-frontfrau sagt auf der Runde um das sowjetische Ehrenmal, ihre Partei habe sich in ihren mehr als achteinhalb Jahren als Vorsitzende verändert, gewandelt, sei unter anderem „migrantischer“geworden.
Davon könnte auch der mit aller Härte ausgetragene Streit zwischen Kipping und der ehemaligen Vorsitzenden der Bundestagsfraktion, Sahra Wagenknecht, zeugen. Offene oder geschlossene Grenzen, Begrenzung von Arbeitsmigration. Wagenknecht wurde seinerzeit von eigenen Genossen nachgesagt, sie bediene rassistische Ressentiments, sie fische bewusst am rechten Rand und wolle der AFD Wähler abjagen. Der Streit um Flüchtlinge und Zuwanderung war die eine von zwei großen Krisen, die Kipping und Riexinger als Vorsitzende aushalten und moderieren mussten. Mit einem damals nicht unerheblichen Flurschaden. Die drohende Spaltung der Partei, etwa zwischen
Reformern und Linksradikalen, war der zweite Großkonflikt. Aber jetzt stehe die Partei geeint da. Die neuen Vorsitzenden könnten getrost ein neues Kapitel aufschlagen.
Auch Kipping will gern noch ein neues Kapitel aufschlagen. Vor einiger Zeit war sie in der Ard-sendung „Chez Krömer“. Das ist für jeden Gast ein Drahtseilakt. Krömer beherrscht das anarchistische Verhör. Kipping sagt, in den 30 Sendeminuten bei Krömer sei es schon gut, wenn man als Gast möglichst wenig Gegentore kassiere. Etwa solche: „Jetzt treten Sie zurück, jetzt sind Sie weg vom Fenster.“Kipping: „Ich trete ja nur nicht mehr an.“Krömer: „Das interessiert doch keinen mehr, weil Sie jetzt nicht mehr Vorsitzende sind. Verstehen Sie das?“
Raus, weg vom Fenster. So soll es ja genau nicht kommen. Kipping sieht sich nicht am Ende ihrer Zeit in der Berufspolitik angekommen. Ein Yoga-studio wolle sie jedenfalls nicht eröffnen. Sie denke lieber 24 Stunden am Tag politisch. Es soll für sie weitergehen, wenn an diesem Samstag die thüringische Partei- und Fraktionsvorsitzende Susanne Hennig-wellsow und die Fraktionschefin im hessischen Landtag, Janine Wissler, die Nachfolge von Kipping und Riexinger antreten wollen. In den kommenden Wochen wird sie sich um den ersten Listenplatz der Linken in ihrem Heimatland Sachsen für die Bundestagswahl bewerben.
„Wer eine Partei führen will, braucht gute politische Intuition. Aber vieles in der Politik ist auch Handwerk. Man muss wissen, wann man welchen Satz in einer Talkshow setzt und wann man ihn besser sein lässt. Man muss ein Gespür entwickeln, wie man einen Angriff platziert und wann man Angriffe gegen
einen selbst besser abperlen lässt.“Kurt Krömer lässt grüßen. Oder auch Sahra Wagenknecht.
Kipping kann Beharrlichkeit. Immer wieder anlaufen gegen den Mainstream, etwa bei Kindergrundsicherung, für ein Ende der Hartz-iv-sanktionen oder für eine 30-Stunden-woche. „Die Kunst der Politik ist, das, was möglich ist, immer mehr in die Richtung zu drängen, die einem wichtig ist. Manchmal muss man auch nur wie ein Maulwurf den Boden vorbereiten. Dann gibt es Zufälle, die man nicht planen kann. Und Gelegenheitsfenster muss man öffnen, wenn sie da sind.“Wenn die Mehrheiten stimmen und die Grünen nicht zu sehr mit der CDU flirten, hofft Kipping auf ein solches Fenster nach der Bundestagswahl. Für eine Koalition mit SPD und Grünen. „Ich bin es leid, dass wir alle unsere Energien verschwenden, jeweils zu erzählen, warum es nicht geht.“Die Linken wissen: Sie müssen sich bewegen, ihre ablehnende Haltung gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr aufgeben.
„Manchmal muss man auch nur wie ein Maulwurf den Boden vorbereiten“Katja Kipping