Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Die große Not der kleinen Brauer
300 Vertreter fordern in einem offenen Brief an die Politik mehr Hilfen für die Branche.
DÜSSELDORF Als die nordrhein-westfälische SPD in der vergangenen Woche ihren Hilferuf für die kleinen und regionalen Brauer im Land startete, gab es einige, die staunten. Sie mutmaßten, die Sozialdemokraten seien wohl etwas arg früh unterwegs im Wahlkampf für die Landtagswahl im kommenden Jahr. Das ist natürlich nur eine böse Unterstellung. Ob der politische Vorstoß nun dem Wahlkampf geschuldet ist oder nicht – er lenkt den Blick auf jeden Fall noch einmal auf die große Not der kleinen Brauer in der Zeit des monatelangen Lockdowns.
Fakt ist: Grundsätzlich trifft die Pandemie jene Brauer umso härter, deren Fassbieranteil höher ist. Und da bei kleinen Regionalbrauern der Teil, den sie an die Gastronomie abgeben, im Einzelfall bis zu 90 Prozent beträgt, gehören sie zu denen, die am meisten leiden unter dem Wegfall von Kirmes und Schützenfesten sowie der Zwangsschließung von Restaurants und Biergärten. Wenn Kneipen und Bars nicht öffnen dürfen, siecht die Kneipenkultur dahin – und mit ihr siechen die Fassbierlieferanten.
Wobei Holger Eichele, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Brauerbundes, das nicht allein als Problem der Kleinen sieht: „Die Betroffenheit zieht sich quer durch die Branche. Das Hauptprodukt der Brauereien ist über Nacht unverkäuflich geworden“, sagt er und beziffert den Umsatzverlust für 2020 auf etwa 23 Prozent.
„Fassbier ist der Renditebringer“, betont Eichele. „Für ein Bier, das in der Gastronomie wegfällt, muss man vier im Handel verkaufen.“Zwar haben die Deutschen in der Pandemie zu Hause mehr Bier getrunken als zuvor (zwischen drei und vier Litern mehr allein im ersten Halbjahr 2020, so das Marktforschungsinstitut Nielsen), aber das kann das Minus nicht wettmachen. Rund 95 Liter Bier haben die Deutschen 2020 im Schnitt getrunken – fünf weniger als im Jahr zuvor.
Die Not der Branche ist so groß, dass 300 der mehr als 1500 Mitgliedsunternehmen des Brauerbundes als Unterzeichner einen offenen Brief geschrieben haben, den sie an Politiker in Bund und Land adressiert haben. In diesem Brief fordern sie, dass sie – ähnlich wie der Einzelhandel bei unverkäuflicher Saisonware – das Bier, das sie wegschütten müssen, bis zu 100 Prozent als erstattungsfähige Fixkosten geltend machen können. Darüber haben die Brauer schon seit Langem verhandelt – „aber eine Lösung ist nicht in Sicht“, so Eichele.
Mehr Hoffnung hat der Geschäftsführer, wenn es um Hilfen für die sogenannten Mischbetriebe geht. Das sind Brauereien mit eigenen Brauereigaststätten, von denen viele bei den November- und Dezemberhilfen durch den Rost fielen, weil sie wegen des Verkaufs von Flaschenbier weniger als 20 Prozent Umsatz verloren. „Da sind wir noch in Gesprächen“, so Eichele. Und dann wäre da noch die Biersteuer, eine Landessteuer, mit deren Erstattung über drei Jahre die NRW-SPD die kleinen und mittleren Brauereien mit bis zu 200.000 Hektolitern Ausstoß pro Jahr um 20 Millionen Euro entlasten will. Das nordrhein-westfälische Finanzministerium hat sich zu diesem Vorschlag noch nicht geäußert. Im vergangenen Jahr haben bereits Hunderte Brauereien eine Stundung der Biersteuer bei den Finanzämtern beantragt. Bundesweit stundete der Fiskus seinerzeit rund 80 Millionen Euro.
Die eindringliche Bitte der Brauer: „Verlieren Sie uns, die Lieferanten, die für das Gastgewerbe produzieren und massiv unter den Folgen der Lockdowns zu leiden haben, nicht aus dem Blick.“Sie wollen von der Politik eine klare Öffnungsperspektive für die Gastronomie.„es müssen schnelle Öffnungen dort erfolgen, wo kein hohes Infektionsgeschehen zu befürchten ist und Gastronomie und Hotellerie in Abstimmung mit den Behörden nachweislich wirksame Vorkehrungen zum Schutz vor Neuinfektionen getroffen haben“, heißt es in dem Brief.
Die Brauereien und die Gastrozulieferer bräuchten dringend ein Datum für die Öffnung, sagt auch Michael Hollmann, Chef der Korschenbroicher Brauerei Bolten.„sonst ist kein Bier da“, so Hollmann. Es bleibt abzuwarten, wie die Politik unter dem Eindruck wieder steigender Infektionszahlen auf die Wünsche der Brauer und Gastronomen reagiert.