Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
„Die Stornierung von Impfstoff ist ein Skandal“
Sowohl der Vorsitzende der Lebenshilfe Unterer Niederrhein als auch Vertreter von Grünen und SPD beklagen Probleme bei der Organisation der Corona-impfung im Kreis Wesel.
WESEL Heinzgerd Schott, Vorsitzender der Lebenshilfe Unterer Niederrhein, konnte am Mittwochmorgen nicht fassen, was er da in der RP lesen musste: Weil am Samstag 70 Flaschen des Biontech-impfstoffes übriggeblieben waren – also Impfstoff für gut 460 Personen – hatten die Verantwortlichen des Weseler Impfzentrums eine für Montag geplante Lieferung von 350 Impfdosen storniert. „Da wäre mir fast die Kaffeetasse aus der Hand gefallen“, sagt der frühere Leiter des Weseler Konrad-duden-gymnasiums. „Wir bei der Lebenshilfe wären so daran interessiert, unsere Behinderten jetzt impfen zu lassen.“
Zumal, so Schott, der Verein mit Sitz in Rees kein Problem hätte, seine Mitarbeiter aus der Lebenshilfewerkstatt im Gewerbegebiet Am Schornacker sowie aus der Werkstatt in Alpen-veen mit eigenen Kleinbussen zum Impfzentrum in der Weseler Niederrheinhalle zu bringen. „Wir haben nämlich große Probleme, die entsprechenden Vorsorgemaßnahmen gegen Infektionen aufrecht zu erhalten. Deshalb sind wir so daran interessiert, dass unsere Behinderten möglichst schnell geimpft werden.“
Dass stattdessen neue Impfdosen storniert würden, empfindet Schott als Skandal. „Zumal wir mit unseren Leuten auch morgens in das noch nicht geöffnete Impfzentrum kommen könnten und über alle notwendigen, von den Behinderten selbst oder deren Betreuern unterschriebenen, Formulare zurückgreifen können“, sagt er. Was ihn so wütend macht, ist die Tatsache, dass es im Kreis Kleve deutlich besser läuft.„wenn dort Impfstoff übrig ist, wird die Lebenshilfe darüber kurzfristig informiert, so dass die Betreuer mit Astrazeneca geimpft werden können“, sagt Schott.
Nicht nur der Lebenshilfe-chef spricht von einem Skandal. Ähnlich äußert sich auch Hubert Kück, der Vorsitzende der Grünen-kreistagsfraktion. Kück kritisiert die Stornierung von 350 Biontech-ampullen und sieht die Kassenärztliche Vereinigung (KV), die landesweit für die Verimpfung des Wirkstoffes zuständig ist, in der Verantwortung: „Es geht hier schließlich um Menschenleben“. Es tröste daher auch nicht, dass der Impfstoff nicht vernichtet werden müsse. „Man hätte gut 400 Menschen im Kreisgebiet mehr impfen können“, so Kück.
„Wenn seit Wochen bekannt ist, dass aus einer Ampulle nicht sechs sondern sieben Impfdosen gewonnen werden können, mangelt es offenbar den handelnden Personen in Wesel nicht nur an einfachstem, mathematischem Grundschulwissen, sondern auch am nötigen Organisationsgeschick“, wettert der Fraktionschef. Nur so sei es für die Grünen nachvollziehbar, dass man der Aufforderung der Kreisverwaltung nicht nachgekommen sei, mehr Termine für über 80-Jährige zu vergeben.
Laut Kück wäre dies möglich gewesen, selbst wenn man nicht regelmäßig eine siebte Dosis aus einer Ampulle gewinnen könnte. Weiter stellt er fest, dass die KV „nicht mehr Herr der Lage ist“und damit erneut unter Beweis stelle, „dass sie der durch die Landesregierung übertragene Verantwortung nicht mehr gerecht wird.“Aus diesem Grund müsse man in Düsseldorf diese Verantwortung einer anderen Stelle übertragen.
Auch die Spd-landtagsabgeordneten René Schneider und Ibrahim Yetim sind entsetzt, dass der Kreis eine Lieferung des Impfstoffs storniert hat. Sie fordern, strukturelle
Schwierigkeiten auf Kreis- und Landesebene schnellstmöglich zu beheben. „Wenn es mehr Impfstoff gibt, können mehr Menschen geimpft werden – das darf nicht an fehlenden Terminen scheitern“, betont das Duo. „Jede stornierte Impfdosis ist verlorene Zeit in der Pandemie-bekämpfung.“
Die KV weist übrigens nach wie vor Kritik im Zusammenhang mit der Stornierung der 350 Impfdosen zurück. Auf Anfrage erklärte ein Kv-sprecher, es sei sinnvoll und notwendig, „dass der Kreis Wesel – als offizieller Betreiber des Zentrums – mittel- und langfristig zusammen mit den örtlichen Impfärzten konstruktiv und priorisierungsgerecht über den Umgang mit etwaigen zusätzlich gewonnenen Dosen entscheidet, beziehungsweise sich Gedanken darüber macht, wie vor Ort mit solch zusätzlich gewonnenen Impfstoffmengen umgegangen werden könnte – auch um künftig ad-hoc-stornieren von Impfstoff-bestellungen zu vermeiden.“
Dass im Weseler Impfzentrum oft sieben und nicht sechs Impfdosen aus einer Ampulle gezogen werden, hängt, wie berichtet, nach Aussage einer Kreissprecherin mit der Kompetenz des Apothekenteams und der Verwendung hochwertiger Materialien zusammen. Das sei auch der Grund, warum der Kreis die KV gebeten habe, mehr Impftermine für über 80-Jährige bereitzustellen. Mehr zum Thema auf der Seite D 1