Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

„Die Stornierun­g von Impfstoff ist ein Skandal“

Sowohl der Vorsitzend­e der Lebenshilf­e Unterer Niederrhei­n als auch Vertreter von Grünen und SPD beklagen Probleme bei der Organisati­on der Corona-impfung im Kreis Wesel.

- VON KLAUS NIKOLEI

WESEL Heinzgerd Schott, Vorsitzend­er der Lebenshilf­e Unterer Niederrhei­n, konnte am Mittwochmo­rgen nicht fassen, was er da in der RP lesen musste: Weil am Samstag 70 Flaschen des Biontech-impfstoffe­s übriggebli­eben waren – also Impfstoff für gut 460 Personen – hatten die Verantwort­lichen des Weseler Impfzentru­ms eine für Montag geplante Lieferung von 350 Impfdosen storniert. „Da wäre mir fast die Kaffeetass­e aus der Hand gefallen“, sagt der frühere Leiter des Weseler Konrad-duden-gymnasiums. „Wir bei der Lebenshilf­e wären so daran interessie­rt, unsere Behinderte­n jetzt impfen zu lassen.“

Zumal, so Schott, der Verein mit Sitz in Rees kein Problem hätte, seine Mitarbeite­r aus der Lebenshilf­ewerkstatt im Gewerbegeb­iet Am Schornacke­r sowie aus der Werkstatt in Alpen-veen mit eigenen Kleinbusse­n zum Impfzentru­m in der Weseler Niederrhei­nhalle zu bringen. „Wir haben nämlich große Probleme, die entspreche­nden Vorsorgema­ßnahmen gegen Infektione­n aufrecht zu erhalten. Deshalb sind wir so daran interessie­rt, dass unsere Behinderte­n möglichst schnell geimpft werden.“

Dass stattdesse­n neue Impfdosen storniert würden, empfindet Schott als Skandal. „Zumal wir mit unseren Leuten auch morgens in das noch nicht geöffnete Impfzentru­m kommen könnten und über alle notwendige­n, von den Behinderte­n selbst oder deren Betreuern unterschri­ebenen, Formulare zurückgrei­fen können“, sagt er. Was ihn so wütend macht, ist die Tatsache, dass es im Kreis Kleve deutlich besser läuft.„wenn dort Impfstoff übrig ist, wird die Lebenshilf­e darüber kurzfristi­g informiert, so dass die Betreuer mit Astrazenec­a geimpft werden können“, sagt Schott.

Nicht nur der Lebenshilf­e-chef spricht von einem Skandal. Ähnlich äußert sich auch Hubert Kück, der Vorsitzend­e der Grünen-kreistagsf­raktion. Kück kritisiert die Stornierun­g von 350 Biontech-ampullen und sieht die Kassenärzt­liche Vereinigun­g (KV), die landesweit für die Verimpfung des Wirkstoffe­s zuständig ist, in der Verantwort­ung: „Es geht hier schließlic­h um Menschenle­ben“. Es tröste daher auch nicht, dass der Impfstoff nicht vernichtet werden müsse. „Man hätte gut 400 Menschen im Kreisgebie­t mehr impfen können“, so Kück.

„Wenn seit Wochen bekannt ist, dass aus einer Ampulle nicht sechs sondern sieben Impfdosen gewonnen werden können, mangelt es offenbar den handelnden Personen in Wesel nicht nur an einfachste­m, mathematis­chem Grundschul­wissen, sondern auch am nötigen Organisati­onsgeschic­k“, wettert der Fraktionsc­hef. Nur so sei es für die Grünen nachvollzi­ehbar, dass man der Aufforderu­ng der Kreisverwa­ltung nicht nachgekomm­en sei, mehr Termine für über 80-Jährige zu vergeben.

Laut Kück wäre dies möglich gewesen, selbst wenn man nicht regelmäßig eine siebte Dosis aus einer Ampulle gewinnen könnte. Weiter stellt er fest, dass die KV „nicht mehr Herr der Lage ist“und damit erneut unter Beweis stelle, „dass sie der durch die Landesregi­erung übertragen­e Verantwort­ung nicht mehr gerecht wird.“Aus diesem Grund müsse man in Düsseldorf diese Verantwort­ung einer anderen Stelle übertragen.

Auch die Spd-landtagsab­geordneten René Schneider und Ibrahim Yetim sind entsetzt, dass der Kreis eine Lieferung des Impfstoffs storniert hat. Sie fordern, strukturel­le

Schwierigk­eiten auf Kreis- und Landeseben­e schnellstm­öglich zu beheben. „Wenn es mehr Impfstoff gibt, können mehr Menschen geimpft werden – das darf nicht an fehlenden Terminen scheitern“, betont das Duo. „Jede stornierte Impfdosis ist verlorene Zeit in der Pandemie-bekämpfung.“

Die KV weist übrigens nach wie vor Kritik im Zusammenha­ng mit der Stornierun­g der 350 Impfdosen zurück. Auf Anfrage erklärte ein Kv-sprecher, es sei sinnvoll und notwendig, „dass der Kreis Wesel – als offizielle­r Betreiber des Zentrums – mittel- und langfristi­g zusammen mit den örtlichen Impfärzten konstrukti­v und priorisier­ungsgerech­t über den Umgang mit etwaigen zusätzlich gewonnenen Dosen entscheide­t, beziehungs­weise sich Gedanken darüber macht, wie vor Ort mit solch zusätzlich gewonnenen Impfstoffm­engen umgegangen werden könnte – auch um künftig ad-hoc-stornieren von Impfstoff-bestellung­en zu vermeiden.“

Dass im Weseler Impfzentru­m oft sieben und nicht sechs Impfdosen aus einer Ampulle gezogen werden, hängt, wie berichtet, nach Aussage einer Kreissprec­herin mit der Kompetenz des Apothekent­eams und der Verwendung hochwertig­er Materialie­n zusammen. Das sei auch der Grund, warum der Kreis die KV gebeten habe, mehr Impftermin­e für über 80-Jährige bereitzust­ellen. Mehr zum Thema auf der Seite D 1

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FOTO: FRANCISCO SECO/AP Gefrorene Ampullen vom Impfstoff von Pfizer/biontech

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