Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Auf eigene Faust
In einer Scheune in Hamminkeln impfte ein Schermbecker Hausarzt rund 200 Personen, die noch nicht an der Reihe waren. Erst wollte er 80 Euro pro Spritze von beteiligten Firmen, jetzt vom Kreis.
HAMMINKELN/SCHERMBECK Eigentlich ist es ein Ort für feierliche Anlässe. Hochzeiten, Karneval, Schützenfeste, Ü-40-partys – damit kennen sie sich aus, in der Festscheune Hecheltjens Hof in Hamminkeln-havelich. Feiern mit „ländlichem Charme“werden auf der Internetseite beworben. Am vergangenen Sonntag fand dort eine Feierlichkeit der anderen Art statt. Der ländliche Charme dürfte den Beteiligten dabei recht egal gewesen sein.
Ein Hausarzt mit Praxis in Schermbeck hatte die Scheune für Sonntag gemietet. Der feierliche Anlass: 200 Corona-schutzimpfungen. Vom Kreis hatte er rund 600 Dosen Astrazeneca-impfstoff zur Verfügung gestellt bekommen, eigentlich für kranke und immobile Patienten. Weil der Arzt sie nach eigenen Angaben nicht losgeworden ist, entschied er sich, den Impfstoff den Firmen anzubieten, für die er als Betriebsarzt tätig ist. 80 Euro pro Impfung hätte er gerne dafür, kündigte er in E-mails an die Firmen an – um seine Kosten zu decken. Der WDR hatte den Fall am Montagabend öffentlich gemacht.
Bernhard Strotmeier ist Geschäftsführer des Borkener Entsorgungsunternehmens Borchers. 70 von rund 300 seiner Mitarbeiter wurden am Sonntag in der Festscheune gegen Covid-19 geimpft. „Freudig überrascht“sei er gewesen, als sein Betriebsarzt, der Schermbecker Allgemeinmediziner, die Impfungen seiner Mitarbeiter in Aussicht gestellt hatte. Er habe, sagt Strotmeier am Dienstag am Telefon, zunächst überlegt, die Impfungen im Unternehmen selbst durchzuführen, aber das wäre nicht so professionell gewesen wie in der Scheune.
Dass die Mitarbeiter seines Entsorgungsunternehmens in Prioritätsgruppe 3 der Impfverordnung stehen, ist Strotmeier klar. „Mir war das nicht so gegenwärtig, dass wir mit der Gruppe 3 noch nicht dran sind“, sagt er. Schließlich würden auch Feuerwehrleute schon jetzt geimpft. Einen Betrag von rund 80 Euro, so erinnert sich Strotmeier, habe der Arzt pro Impfung berechnen wollen. Das sei für ihn auch einleuchtend gewesen, schließlich war es Sonntag, der Arzt habe Kosten für Miete und Personal tragen müssen. Falls der Arzt den Betrag noch in Rechnung stellen sollte, sei er bereit, sie auch zu bezahlen. Es geht für Borchers um rund 5600 Euro.
Glaubt man den Ankündigungen des Arztes, muss Strotmeier diese Rechnung nun nicht mehr begleichen. Am Telefon berichtet der Schermbecker Mediziner, wie er die Dinge erlebt hat, und wie er sich nun im Zentrum eines Shitstorms im Internet wähnt. Seit Montag klingelt in seiner Praxis unentwegt das Telefon, auch die „Bild“-zeitung wollte mit ihm sprechen, sagt er. Auf Anfrage unsererer Redaktion war er bereit, seine Version zu erzählen.
So habe der Kreis Wesel ihn vor einigen Tagen angeschrieben und angefragt, ob er aufgetaute Astrazeneca-impfdosen bestellen wolle, die nur zehn Tage haltbar seien. Kurze Zeit später erhielt er zunächst 100 Impfdosen, später dann nochmals 500. Damit sollte er vor allem betagte Senioren und Risikopatienten impfen – so hatte Landrat Ingo Brohl das auch in einem Schreiben angemahnt. Der Arzt sagt nun: „Vor allem die älteren Jahrgänge waren schon geimpft, andere wollten nicht mit Astrazeneca geimpft werden. So blieben also gut 300 Dosen übrig.“ Was tun? Schermbecks Bürgermeister Mike Rexfordt fragte nach, ob man nicht 80 Leute aus dem Rathaus beziehungsweise einige Feuerwehrleute impfen könne. Weil auch der Borkener Entsorger Interesse bekundetet hatte, kam der Schermbecker Mediziner auf die Idee, Hecheltjens Festscheune für Sonntagnachmittag anzumieten.
Während am Sonntagvormittag sieben Feuerwehrleute und 30 Verwaltungsmitarbeiter vor der Schermbecker Arztpraxis geimpft wurden, kamen nachmittags rund 200 Mitarbeiter von „systemrelevanten Firmen“nach Havelich. „Wir alle waren der Meinung, dass Leute der Prioritätsgruppe 3, also auch Mitarbeiter von Speditionen und Verwaltungen mit Kundenkontakt, geimpft werden können“, sagt der Arzt. Das allerdings stimmt nicht. Krisenstabsleiter Lars Rentmeister sagte unserer Redaktion: „Die Vorgaben des Kreises Wesel waren eindeutig. Diese auch einzuhalten, liegt in der Verantwortung des jeweiligen Arztes, der jeweiligen Ärztin.“Der Schermbecker Mediziner impfte also außerhalb der Priorität.
Zu den Kosten sagt der Arzt: „Am Tag der Impfung selbst hat niemand etwas bezahlt. Ich habe auch keiner Firma bislang etwas in Rechnung gestellt und werde das auch nicht tun.“Grund für seinen Sinneswandel sei die Überlegung, dass eigentlich der Kreis Wesel die Kosten übernehmen müsse. Nach einem Telefonat mit dem Kreis gehe er aber mittlerweile davon aus, dass er auf den Kosten sitzenbleibt. Der Kreis äußerte sich am Dienstag noch nicht dazu.
„Ich wollte einfach nur verhindern, dass der Impfstoff vernichtet werden muss“, sagt er. Der Arzt sieht kein Problem darin, dass vor allem Mitarbeiter von Unternehmen außerhalb des Kreises Wesel geimpft wurden. „Corona macht nicht vor Kreisgrenzen halt. Und letztlich kommt der Impfstoff ja vom Land.“
Es ist möglich, dass dem Schermbecker Arzt nun Ärger droht. Die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein teilte mit, sie prüfe den Fall. Die Priorisierung sei von den Ärzten strikt einzuhalten. Das NRW-GEsundheitsministerium hat am Dienstag einen Bericht vom Kreis zu dem Sachverhalt angefordert. Zudem wurde nach Auskunft eines Sprechers eine berufsrechtliche Überprüfung durch die zuständige Ärztekammer Nordrhein veranlasst. Der Kreis habe dem Arzt gegenüber auch schriftlich festgelegt, dass ausschließlich eine Impfung von Personen der Priorität 2 erfolgen darf. „Ein derartiges Vorgehen ist vollkommen inakzeptabel“, sagte der Ministeriumssprecher.
Die Hamminkelner Landtagsabgeordnete Charlotte Quik (CDU) sagte, ein solches Verhalten trage „nicht zum Vertrauen in die für uns alle so wichtige Impfkampagne bei“.