Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
NRW: Schüler bei Klassenarbeiten entlasten
Das Schulministerium will auch andere Formen der Leistungsüberprüfung erlauben. Grund ist die Belastung durch Corona. Die Opposition fordert zudem, die zentralen Prüfungen nach der Sekundarstufe I durch Arbeiten zu ersetzen.
DÜSSELDORF Kurz vor Beginn der Abiturklausuren in Nordrhein-westfalen ist im Landtag ein Streit über Schulabschlüsse entbrannt. Der schulpolitische Sprecher der oppositionellen Spd-fraktion, Jochen Ott, stellte im Schulausschuss die zentralen Prüfungen nach dem zehnten Schuljahr (ZP 10) für den Hauptschul- oder Mittleren Schulabschluss infrage. Weil die Vergleichbarkeit landesweit nicht mehr gegeben sei, müssten die zentralen Prüfungen durch dezentral gestellte Klassenarbeiten ersetzt werden.
Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) wies die Forderung zurück: Es überfordere die Lehrkräfte, mitten in der Pandemie jetzt auch noch Prüfungsaufgaben selbst auszuarbeiten. Die Opposition fand am Mittwoch mit ihrem Vorstoß im Schulausschuss keine Mehrheit. Im Vorjahr waren die zentralen Prüfungen ausgesetzt worden.
Entgegenkommen signalisierte die schwarz-gelbe Landesregierung hingegen beim Thema Klassenarbeiten für die übrigen Jahrgänge im aktuellen Schuljahr. „Wir haben Vorbereitungen zur Entlastung von Klassenarbeiten getroffen“, sagte Schulstaatssekretär Mathias Richter. Stattdessen könne es wegen der langen Phasen von Wechsel- und Distanzunterricht andere Formen von Leistungsüberprüfungen geben. Was an die Stelle der Klassenarbeiten treten könnte, ließ Richter offen. Die Gespräche mit den beteiligten Verbänden seien noch nicht abgeschlossen. Zuvor hatte die schulpolitische Sprecherin der Grünen-opposition dringenden Handlungsbedarf beim Umgang mit Klassenarbeiten in diesem Halbjahr angemahnt.
Oppositionspolitiker Ott äußerte am Mittwoch Zweifel, dass es möglich sein wird, rechtssicher über Nicht-versetzungen zu entscheiden. „Das wird zu Klagen führen“, prophezeite der Spd-fraktionsvize. Zu unterschiedlich sei das Schuljahr verlaufen im Hinblick auf Präsenzunterricht und die Qualität des Distanzunterrichts. Einem Erlass des Schulministeriums zufolge soll es in diesem Jahr anders als 2020 möglich sein, Schüler eine Klasse wiederholen zu lassen.
An diesem Freitag beginnen für rund 90.000 Schüler die Abiturprüfungen. Es sei sichergestellt, dass sie faire Prüfungen ablegen könnten, die zu einem vollwertigen und bundesweit vergleichbaren Abitur führten, sagte Gebauer. Die Landesschülervertretung (LSV) widerspricht. Sie fordert seit Längerem die Einführung einer Wahlmöglichkeit zwischen dem Ablegen der Prüfungen und einer Durchschnittsnote, die aus den bisherigen Leistungen errechnet werden soll. Zu ungleich sei die Ausgangslage, wie es in einem offenen Brief der Bezirksschülervertretungen an das Schulministerium hieß.
Nach Angaben von Lehrer- und Elternverbänden ist die Sorge unter den Abiturienten groß. Viele fürchteten, die Anforderungen aufgrund des ausgefallenen Unterrichts nicht erfüllen zu können. Andere hätten Angst, sich noch im Endspurt anzustecken oder in der Prüfungsphase in Quarantäne zu müssen. Die vom Land eingeräumten neun zusätzlichen Präsenzschultage nach Ostern zur Prüfungsvorbereitung seien nicht von allen Schulen und Schülern ausgeschöpft worden, zum Teil habe man auf Distanzunterricht umgeschaltet, hieß es beim Philologenverband. Es gebe jedoch eine bundesweite Einigung, die Abi-abschlussprüfungen durchzuführen – und es sei „richtig und wichtig“, daran auch in Nordrhein-westfalen festzuhalten, sagte die Landesvorsitzende Sabine Mistler.
Dem Schulministerium zufolge wurden für die meisten Abifächer zusätzliche Aufgaben erstellt. Damit hätten Lehrer mehr Spielraum bei der Auswahl der Aufgaben, die am besten zum tatsächlich erteilten Unterricht passten. Leitlinie sei, dass durch die Pandemie keine Nachteile für den Bildungs- und Berufsweg der Abiturienten entstehen dürften. Die Klausuren werden zwischen dem 23. April und 5. Mai geschrieben; vom 7. Mai an finden die mündlichen Prüfungen statt.
Der Spd-politiker Ott zollte den Abiturienten Respekt: „Es verdient Anerkennung, wenn Menschen in der schwierigsten denkbaren Situation eine besondere Leistung erbringen.“Dies müsse honoriert werden, sagte Ott, ohne konkreter zu werden.
Leitartikel