Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Wahlkampf um Generation Greta
ANALYSE Die Grünen bemühen sich um die Jüngeren, obwohl die nur einen kleinen Teil der Wähler ausmachen. Das Alter sei nicht der wichtigste Faktor für die Entscheidung, sagen Wissenschaftler. Das kann Union und SPD Hoffnung machen.
Für das erste große Interview als Kanzlerkandidatin nahm die Grüne Annalena Baerbock diese Woche im Studio von Pro Sieben Platz und ließ sich locker-flockig über Leben und Politik befragen. Obwohl die meisten jungen Leute gar keinen Fernseher mehr anschalten, sondern sich eher über andere digitale Kanäle informieren, wurde die Entscheidung für das private Format als Werbung der Grünen um jüngere Wählerschichten verstanden. Dass Baerbock dann unter anderem gefragt wurde, ob sie „die Eierstöcke“für den Kanzlerinnenposten besitze, dürfte dem Manöver nicht geschadet haben.
„Es ist völlig normal, dass Parteien versuchen, Zielgruppen in den jeweils passenden Kanälen gezielt anzusprechen“, sagt Parteienforscher Thomas Poguntke von der Heinrich-heine-universität in Düsseldorf. Doch Parteien liefen immer Gefahr, es zu übertreiben – mit der Folge, dass sie bei den einen nicht authentisch ankämen und von den anderen als lächerlich empfunden würden. Die Wählerschaft der Grünen sei Stück für Stück älter geworden, aber die Partei habe es geschafft, etwa über das Thema Klima auch wieder bei jungen Wählern anzuknüpfen. Während die Generation Joschka Fischer also in Rente geht, findet die Generation Greta sich in grünen Themen immer noch wieder. „Eine sehr junge Partei wie die Piraten hat das zum Beispiel nicht geschafft“, sagt Poguntke.
Allerdings ist die Frage, ob es für Parteien überhaupt ratsam ist, sich an jungen Wählern zu orientieren. Denn die 18- bis 29-Jährigen machen nur 15 Prozent der Wahlberechtigten aus. Dagegen ist über ein Drittel 60 Jahre und älter. „Gezielt die Jüngeren anzusprechen und dafür Ältere zu vernachlässigen, ist für Parteien wenig ratsam“, sagt Dominik Hirndorf, Referent für Wahlforschung bei der Konrad-adenauer-stiftung. Trotzdem seien Jüngere eine Art Prestigeobjekt für Parteien. „Sie brüsten sich gern damit, wenn sie jüngere Wähler erreichen, weil das für Zukunft steht“, sagt Hirndorf. Die seien die potenziellen Stammwähler von morgen.
Gerade mit Blick auf die Altersstruktur von Parteien wie SPD, CDU und CSU wird in Abständen das Ende der Volksparteien vorhergesagt. Hirndorf sieht das anders. Erstens, weil es bestimmte Trends schon immer gab. Die CDU/CSU etwa wurde seit jeher tendenziell mehr von älteren Menschen gewählt, es rücken also ältere Wähler nach, die Wählerschaft stirbt nicht einfach aus.
Vor allem aber ist das Alter nicht der entscheidende Faktor für die Wahlentscheidung. Vielmehr gebe es innerhalb der Altersgruppen viel größere Unterschiede als zwischen den Altersgruppen, sagt Hirndorf. Das Wahlverhalten werde etwa durch Bildungshintergrund, Job, Einkommen, Wertevorstellung, Herkunft, Religion geprägt. Parteien stellen ihre Strategien also eher etwa auf Berufs- oder Einkommensgruppen ab als auf das Alter.
Rentenerhöhungen werden oft als vermeintlichen Beleg für den Einfluss der älteren Generation angeführt. So wäre etwa zu erklären, dass Renten verlässlich erhöht werden, während zu wenig in die Digitalisierung investiert wird. Allerdings beschäftigt die Zukunft der Rente durchaus auch jüngere Wähler. Bei der Bundestagswahl 2017 landete das Thema nach Bildungspolitik und Terrorismusbekämpfung laut Befragungen auf Platz drei der entscheidenden Themen. „Es gibt kein relevantes Thema, das nur ältere Menschen interessiert“, sagt Wahlforscher Achim Goerres, Professor an der Uni Duisburg-essen. „Selbst wenn junge Leute heute nicht von einer Rentenerhöhung profitieren, möchten sie doch, dass die Rente ihrer Eltern sicher ist.“
Das gilt sogar für das Thema Klima, auch wenn es mit der „Fridays for Future“-bewegung die junge Generation nach vorn gebracht hat. „Wir wissen aus Studien aus dem vergangenen Jahr, dass die Bedeutung von Themen wie Umwelt und Klimaschutz mit steigendem Alter zunimmt“, sagt Hirndorf. Auch hier zeichnet sich also kein Generationenkonflikt ab. „Ich habe keine Angst, dass uns irgendwann eine Rentnerdiktatur droht“, sagt Hirndorf. Es werde für die Parteien immer darum gehen, relevante Themen aufzugreifen, bestimmte Gruppen anzusprechen.
Welche Themen das im Bundestagswahlkampf sein werden, ist noch schwer auszumachen. Sicher werde Gerechtigkeit eine größere Rolle spielen, glaubt Goerres. „Die Leute sehen, dass Corona ärmere Menschen stärker trifft als reiche. Umfragen zeigen schon jetzt, dass das Problembewusstsein für die Ungleichheit von Vermögen und Einkommen gewachsen ist.“Damit würden traditionell linke Themen wie die Vermögensteuer wieder wichtig. Einwanderung werde im Vergleich zu 2017 eher zurücktreten, was sich auf das Ergebnis der AFD auswirken dürfte. Das habe weniger damit zu tun, dass sich die Einstellungen zu Zuwanderung verändert hätten. Vielmehr sei das Thema gerade nicht mehr so drängend.
Ob das auch für den Klimawandel stimmt, der die Öffentlichkeit so sehr beschäftigte – bis die Pandemie ausbrach –, hält Goerres noch für schwer einschätzbar, obwohl er eines der Großthemen kommender Jahre sei. Sicher ist Goerres, dass die Regierungsparteien es schwer haben dürften, mit ihrer Corona-politik zu punkten. „Die Zeiten der Unsicherheit über die Pfade, die zu beschreiten sind, sind vorbei, die Ansprüche in der Bevölkerung an das Krisenmanagement sind gewachsen.“Diese Erwartungen könnten kaum bedient werden. Das werde die aktuellen Regierungsparteien Zustimmung kosten.
„Ich habe keine Angst, dass uns eine Rentnerdiktatur droht“Dominik Hirndorf Konrad-adenauer-stiftung