Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Schon jetzt herrscht Corona-ruhe
Die „Bundes-notbremse“sieht Ausgangssperren vor, wenn der Inzidenzwert einige Tage bei über 100 liegt – was im Kreis Wesel der Fall ist. In Dinslaken würde der drastische Schritt vielleicht nicht mehr viel ändern.
DINSLAKEN (pst) Die Neustraße ist wie leergefegt. Ein Fahrradfahrer fährt langsam vorbei und schaut hier und da mal in ein Schaufenster, von denen noch einige beleuchtet sind. Ein junger Mann nutzt den Notdienst der Malteser-apotheke, um Medikamente abzuholen. Ansonsten sind vereinzelt Fußgänger unterwegs, in den meisten Fällen zu zweit. Ein Vater schiebt seinen Sohn im Kinderwagen durch die Stadt. Nicht etwa, um die Freizeit im abendlichen Dinslaken zu genießen: Er komme aus Walsum und müsse mit dem Kleinen ins Krankenhaus, sagt er.
Das Ganze spielt sich nach 21 Uhr ab, als in rund einem Dutzend Kommunen in Nordrhein-westfalen bereits eine Ausgangssperre herrscht. In Dinslaken ist um diese Zeit so wenig los, dass man mitunter meinen könnte, auch hier dürften die Leute zwischen 21 und 5 Uhr nicht aus dem Haus gehen.
Auf dem Altmarkt ist für einige Zeit keine Menschenseele zu sehen. Aus Richtung des Burgtheaters hört man Vögel zwitschern, von der anderen Seite heulen von fern Motoren auf. Zwischenzeitlich melden sich die Kirchenglocken von St. Vincentius lautstark. Ansonsten hat man das Gefühl, man könnte eine Stecknadel fallen hören.
Als ein junger Mann an der Schollin-bäckerei vorbeiläuft und eine Sprachnachricht aufnimmt, lässt der Schall es wirken, als würde sich eine Gruppe von zehn Männern unterhalten. Eine solche würde man unter anderen Umständen vor den Kneipen „König am Altmarkt“und „Schnierstrax“am Ende der Einkaufsstraße erwarten, die angesichts der Corona-pandemie aber natürlich geschlossen und verrammelt sind. Aktuell kann man sich nur ausmalen, wie es hier an einem „normalen“Frühlingsabend bei etwa zehn Grad zuginge.
Es gibt natürlich trotz allem Anlaufstellen, die in den Abendstunden den in ihrem Geschäftsmodell größten Publikumsverkehr haben. „Ich habe viele Kunden in dem Zeitraum. Ich fange ja erst um 18 Uhr an“, sagt Yücel Yasar, Inhaber des Spätverkaufs auf der Neustraße. Sein Laden hat bis 2 Uhr morgens geöffnet. „Da die meisten Leute aber um 21 Uhr bereits zu Hause sind, würde ich den Sinn der Sache nicht verstehen“, ergänzt er allerdings mit Blick auf eine mögliche Ausgangssperre. „Wir hatten eine schöne Innen- und Altstadt hier in Dinslaken, aber es ist traurig zu sehen, wenn man durch die Stadt läuft und die vielen leeren Ladenlokale sieht. Und wenn jetzt eine Ausgangssperre kommt, müssen die wenigen Kioske, die hier noch sind, auch aufgeben“, fürchtet er.
Neben dem Spätverkauf hat auf der Duisburger Straße, nur ein kleines Stück weiter, noch ein weiterer Kiosk geöffnet, und der Imbiss Euro-grill hat bis 22 Uhr auf.
Ebenfalls geöffnet hat die Pizzeria Jumbo Pizza an der Bahnstraße. Dort ist unter der Woche bis 23 Uhr Betrieb, freitags und samstags bis Mitternacht. Für den Bruder des Inhabers Fahmi Saliuku käme eine Ausgangssperre ebenfalls ungelegen. „Die Pandemie hat uns ohnehin schon schwer getroffen und eine Ausgangssperre wäre auch schlecht für das Geschäft“, vermutet er.
Er fürchtet, dass es auch Schwierigkeiten mit dem Ausliefern geben könnte, und ein beträchtlicher Teil des Umsatzes komme über den Lieferdienst rein. Darüber hinaus würde aber auf jeden Fall Laufkundschaft wegfallen, blickt er voraus. „Es sind schon einige Leute, die um diese Uhrzeit noch vorbeikommen. Das würde auf jeden Fall etwas ausmachen“, meint Saliuku. Er fände eine Ausgangssperre wenig sinnvoll.
So sieht es auch eine Krankenpflegerin, die gerade jetzt von der Arbeit kommt und auf dem Weg nach Hause ist. Sie wohnt in der Innenstadt. „Ich stehe dem absolut negativ gegenüber, für mich ist das Spinnerei“, macht sie klar. „Um die Uhrzeit ist hier sowieso kaum etwas los.“
Und auch Blerta Alitjaha, die an diesem Abend ihrer Tochter vor der Neutor-galerie beim Longboardfahren zuschaut, findet eine Ausgangssperre „nicht so gut“, wie sie sagt. „Man sieht ja was hier los ist – gar nichts. Und warum sollte die frische Luft so schlimm sein?“Gerade die Jugendlichen könne und solle man „nicht festhalten“, sagt die Mutter. Und sie ergänzt: „Ich glaube aber auch nicht, dass es Kontrollen geben wird,“