Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
„Die Bildung bleibt auf der Strecke“
Ein Jahr Corona-pandemie haben sich auf Lernstand, Bildung und Notendurchschnitt von Schülerinnen und Schülern ausgewirkt. Schulleiter und Lehrer aus Dinslaken und Voerde berichten aber auch von positiven Ergebnissen.
Ein Jahr Corona-pandemie haben sich auf Lernstand, Bildung und Notendurchschnitt von Schülerinnen und Schülern ausgewirkt.
DINSLAKEN/VOERDE (aha) Heute startet die Schule – wieder einmal. Sämtliche Schüler, nicht nur die Abschlussjahrgänge, werden wieder im Wechsel digital und vor Ort unterrichtet. Geregelten Präsenzunterricht hatten die Kinder in diesem Schuljahr nicht allzu häufig. Welche Folgen hat das für den Lernstand und für die Abiprüfungen? Das haben wir Schulleiter aus Dinslaken und Voerde gefragt.
„Der ganze Lernstoff konnte unter diesen Bedingungen nicht vermittelt werden“, sagt Hans-ulrich Wangerin, Leiter der Ernst-barlach-gesamtschule. In den Abschlussklassen bei den zentralen Prüfungen habe sich der Unterricht vor allem auf Prüfungsformate und -inhalte konzentriert. Diese Fokussierung habe aber „mit einem ganzheitlichen Bildungsanspruch nichts mehr zu tun.“Die ganzheitliche Bildung „bleibt auf der Strecke und führt dazu, dass wesentliche Persönlichkeitsressourcen bei den Schülern nicht gefördert werden“. Der Schulleiter spricht von einer „Generation der Benachteiligten“, die durch den „Verlust wesentlicher Bildungschancen und Lebenserfahrungen in Kindheit und Jugend“geprägt sei.
„Es wäre unehrlich zu sagen, dass sich überhaupt keine Defizite aufgetan haben“, findet auch Johannes Lingnau, Lehrer am Gymnasium Voerde. „Je jünger die Schüler sind, desto schlechter konnten sie sich auf das Distanzlernen einstellen und desto größer ist auch die Lücke zwischen denjenigen, die es können und denen, die es nicht können. Videokonferenzen und Lernplattformen konnten und können das Lernen im sozialen Kontext nicht ersetzen.“Die Pädagogen würden diesen Umstand in die Notengebung einbeziehen. Außerdem will das GV sobald wie möglich zusätzliche Förderstunden einrichten. Lingnau glaubt, „dass es sich insgesamt nicht um Lücken handelt, die so riesig wären, dass sie sich nicht wieder schließen ließen“.
Manche Schüler hätten vom Distanzlernen allerdings auch profitiert, berichtet Astrid Weidler, Leiterin des Otto-hahn-gymnasiums.
Kinder, die Hemmungen haben, sich im Unterricht zu melden, konnten ihre mündlichen Noten durch das Erledigen schriftlicher Aufgaben aufpolieren.
Die Notendurchschnitte seien in allen Jahrgängen in etwa gleich geblieben, berichten alle befragten Schulleiter. Das gelte auch für den Abijahrgang 2021, dessen halbe Oberstufenzeit von Corona eingeschränkt war. Die meisten Abiturienten „konnten sich recht gut auf das Distanzlernen und das eigenständige Arbeiten einstellen und haben vielleicht sogar zusätzliche Kompetenzen erworben, die ihnen in einem Studium nicht schaden“, so Lingnau.
Auch Thomas Nett, Leiter des Theodor-heuss-gymnasiums, berichtet, dass seine Kollegen mit der Stoffvermittlung fürs Abi durchgekommen seien. Durch die „Möglichkeit der zusätzlichen Aufgabenauswahl“hätten die Lehrkräfte zudem „eine zusätzliche Möglichkeit, auf Corona-besonderheiten einzugehen“.
Daniel Tiszay, Schulleiter des Gustav-heinemann-gymnasiums, berichtet sogar von einem besonders guten Abijahrgang. Einige Schüler seien in der Pandemie und dem Fernunterricht sogar eher „aufgetaut“, so Daniel Tiszay. Ein zwischenzeitlich diskutierter Verzicht auf die Prüfungen sei eher ein Nachteil gewesen, sagen alle Schulleiter. „Die Prüfung an sich zu überstehen ist ja auch schon eine vorzeigbare Leistung und ist als Lebenserfahrung nicht unwichtig“, so Daniel Tiszay. Und die ganz Kleinen, die Grundschüler? Die Klassen liegen im Lernstoff nicht zurück, diese Rückmeldung hat Ludger Zech, Leiter der Hagenschule, aus einem Kollegium erhalten. Auch die Viertklässler seien „auf die weiterführende Schule gut vorbereitet“. Die Kinder hätten zudem „viele andere Dinge dazugelernt“: Etwa „sich selbst und seinen Lernprozess zu organisieren, Umgang mit digitalen Medien“. Das sei allerdings „auch abhängig von häuslicher Unterstützung“.
„Ich freue mich immer, wenn ich hier auf dem Schulgelände und in den Klassenräumen unbeschwerte Kinder miteinander spielen und lernen sehe“, sagt Ludger Zech. „Hier im schulischen Kontext haben die Kindergedanken vielleicht mal die Möglichkeit, dem allgegenwärtigen Thema Corona zu entfliehen.“