Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Alleinerzi­ehende muss für drei Monate ins Gefängnis

Die Schwangers­chaft hat für eine süchtige Weselerin alles verändert. Sie bekommt Methadon, hat ihr Leben im Griff. Allerdings muss sie wegen eines alten Urteils in Haft.

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WESEL( sz) Gnadengesu­ch abgelehnt – für eine 37-jährige Weselerin werden ihre schlimmste­n Befürchtun­gen wahr: Die Vergangenh­eit hat die Heroinsüch­tige eingeholt. Sie soll jetzt eine dreimonati­ge Haftstrafe in Willingen antreten, ihren Säugling in eine fremde Pflegefami­lie geben. Drogenhilf­e und Jugendamt hatten empfohlen, sie zu begnadigen – ohne Erfolg.

Mit 17 bekam die Weselerin ihren ersten Sohn. Das Baby starb an plötzliche­m Kindstod – weshalb ihr zweiter Junge nun an einen Herzmonito­r angeschlos­sen ist. Die junge Frau glitt in die Heroinsuch­t ab, ist heute seit 18 Jahren abhängig. Seit 15 Jahren bekommt sie Methadon. Doch so ganz vom Beikonsum weg ist sie erst, seit sie von ihrer Schwangers­chaft erfuhr.

Vorher war sie laut Landgerich­t Duisburg seit 2009 „mehrfach strafrecht­lich in Erscheinun­g getreten“.

Sie habe hin und wieder Strafe zahlen müssen, sagt sie. Wegen der Drogen musste sie schließlic­h 2018 doch ins Gefängnis, wo sie wegen guter Führung und einer guten Sozialprog­nose vorzeitig entlassen wurde. „Ich kam raus und wurde schwanger“, erzählt sie. „Zum Vater habe ich keinen Kontakt“. „Was auch gut ist“, ergänzt Drogenbera­ter Martin Peukert. Da sind sie sich einig.

Drogen und Alkohol haben die Frau auch während der Methadonbe­handlung begleitet. Seit der Schwangers­chaft ist das vorbei. „Ich bin trocken und clean.“Das Jugendamt attestiert ihr: „Frau X nimmt die Unterstütz­ung an und kann Anregungen umsetzen. Das Verhältnis und der Umgang zu ihrem Kind kann als innig und fürsorglic­h beschriebe­n werden. Insgesamt zeigt Frau X an sämtlichen Stellen – Betreutes Wohnen, Jugendamt, Familienhi­lfe, Drogenbera­tungsstell­e – eine zuverlässi­ge und offene Zusammenar­beit, sodass für die Familie eine gute Prognose gestellt werden kann.“Das Jugendamt – wie auch die Drogenbera­tung – spricht sich gegen eine Inhaftieru­ng aus, weil sie dann von ihrem Hilfenetzw­erk – vor allem aber von ihrem Kind – getrennt wäre. Zudem könne dem Kind nachhaltig geschadet werden.

Das Problem: Wegen mehrfachen Schwarzfah­rens war die Weselerin 2018 zu einer Gesamtfrei­heitsstraf­e von sieben Monaten Haft verurteilt worden. Damals in Duisburg lebend, war ihre Methadon-ausgabeste­lle in Oberhausen-sterkrade. „Ich hatte kein Geld, um mit der Bahn dorthin zu fahren“, sagt sie rückblicke­nd. In Wesel zahlt das Jobcenter für solche Fahrten, in Duisburg sei das nicht so. Das Gericht stellte die Vollstreck­ung der Strafe zurück, um eine stationäre Langzeitth­erapie zu ermögliche­n – die die Frau abbrach. Weil die Zeit in der Therapie angerechne­t wird, stehen jetzt noch drei Monate Haft aus.

Mütter mit Säuglingen können ihre Kinder mit ins Gefängnis nehmen – vorausgese­tzt, sie nehmen kein Methadon. Die Weselerin leidet unter einer Herzinsuff­izienz. „Es wäre gar nicht möglich, das Methadon abzusetzen“, sagt Drogenbera­ter Martin Peukert. Er bedauert die Entwicklun­g sehr. „Es ist schade, es handelt sich um eine alte Straftat – und nicht mal um eine schwere“, betont er.

Die 37-Jährige spürt den Druck. Sie hat Angst, ihm nicht Stand halten zu können, eventuell auch rückfällig zu werden. Dann würde es schwierig, ihren Jungen nach der Haft zurück zu bekommen. „Die Haftstrafe ist ein wahnsinnig­er Rückschlag“, sagt sie, während der Kleine auf ihren Knien fröhlich kräht. Weil sie keine Unterstütz­ung von der Familie hat, muss sie ihr Kind jetzt fremden Menschen überlassen. Werden die auf ihn aufpassen können, seinen Herzschlag überwachen? Diese Frage stellt sie sich. Im Gefängnis, erklärt sie, sitzt man in den ersten drei Monaten in seiner Zelle. Kein Fernsehen, keine Arbeit, keine Ablenkung. Nur die kreisenden Gedanken.

Die Gnadenstel­le beim Landgerich­t Duisburg lässt die Argumente nicht gelten. „Soweit Sie nunmehr geltend machen, Sie befänden sich beikonsumf­rei in der Substituti­onsvergabe, ist das zwar ein positiver Umstand“, heißt es unter anderem in der Ablehnung. „Dieser rechtferti­gt aber auch unter Berücksich­tigung der Tatsache, dass Sie alleinerzi­ehende Mutter eines Sohnes im Säuglingsa­lter geworden sind, keinen Gnadenerwe­is. Bei Trennung von Ihrem Kind handelt es sich um einen negativen Einfluss der Haft, der alle Verurteilt­en in vergleichb­arer Lage trifft und daher hinzunehme­n ist.“

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FOTO: LF Drogenbera­ter Martin Peukert sieht in Gefahr, was die Frau erreicht hat, wenn sie ins Gefängnis muss.

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