Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Odyssee durchs Berliner Nachtleben
Roland Schimmelpfennig ist der derzeit wohl erfolgreichste deutsche Dramatiker, dessen Theaterstücke auch auf den Bühnen des Auslandes viel gespielt werden. Sein eindrucksvolles Romandebüt mit dem ungewöhnlichen Titel „An einem klaren, eiskalten Januarmorgen zu Beginn des 21. Jahrhunderts“wurde 2016 auch den Rp-lesern vorgestellt. Schimmelpfennigs soeben erschienener dritter Roman, „Die Linie zwischen Tag und Nacht“, erzählt von einer alptraumhaften Odyssee durch das Berliner Nachtleben und die Berliner Drogenszene.
Berlin, Görlitzer Park: Eine Techno-party am Landwehr-kanal, und im Kanal treibt unbemerkt die Leiche einer jungen Frau im weißen Brautkleid. Einzig Tommy, ein ehemaliger Kriminalbeamter, sieht die Tote und fischt sie aus dem Kanal. Ihre Identität bleibt unbekannt – was Tommy veranlasst, ihre Identität zu ermitteln und ihre Lebensgeschichte auszugraben.
Tommy war in seinem früheren Leben der erfolgreichste Drogenfahnder Berlins, bis er nachts im Einsatz einen kleinen Jungen überfuhr und völlig aus dem inneren Gleichgewicht geriet. Bei seinen Recherchen nach der Identität der Toten aus dem Landwehrkanal taucht er ab ins Berliner Nachtleben der Clubs und Drogentempel, der Berliner Halb- und Unterwelt. Hier trifft er auf jede Menge zwielichtiger, skurriler und kaputter Figuren: Verlorene der Berliner Nächte, zu denen er aber inzwischen auch selbst gehört. Nach und nach deckt er die leidvolle Lebensgeschichte der Toten aus dem Landwehrkanal auf, in deren Scheitern am Leben sich sein eigenes Scheitern spiegelt.
Seine Spannung erhält der dramaturgisch gekonnt aufgebaute Roman auch daraus, dass Tommys Lebensgeschichte erst nach und nach in Rückblenden erzählt wird. Ein ebenso spannender wie unterhaltsamer Krimi und ein sehr spezieller und eindrucksvoller Berlin-roman!
Roland Schimmelpfennig: Die Linie zwischen Tag und Nacht. Roman, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2021