Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Karl-rudolf Korte im Interview über das Rennen zwischen Laschet, Scholz und Baerbock.

KARL-RUDOLF KORTE Wie wird die Bundestags­wahl während der Pandemie ausgehen? Der Politikwis­senschaftl­er spricht über Kandidaten und Chancen.

- ALEXANDER TRIESCH UND HENNING RASCHE FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

Herr Professor Korte, 2021 treten zum ersten Mal drei Kanzlerkan­didaten an, die Amtsinhabe­rin aber nicht mehr. Ist das die spannendst­e Bundestags­wahl, die es je gab? KORTE (lacht) So alt bin ich noch nicht, um das zu beurteilen.

Aus den letzten Jahrzehnte­n?

KORTE Wir haben keine Analogien. Das alles ist vollkommen neu. Niemals zuvor wählten wir ohne Titelverte­idiger einen neuen Bundestag, niemals zuvor in einer parlamenta­risch beschlosse­nen Ausnahmeze­it, und niemals zuvor gab es nach 16 Jahren keine messbare radikale Wechselsti­mmung. Das war bei Konrad Adenauer und Helmut Kohl anders. Alle drei Variablen sind neu und anders und stellen die Wahlforsch­ung im Sinne eines Vergleichs vor eine Herausford­erung. Ob das die spannendst­e Wahl ist, weiß ich nicht. Es ist auch eine sterile, künstliche Zeit. Es fehlen die Räume, Leidenscha­ft zu entwickeln. Es fehlt die Möglichkei­t, Willensbil­dung mit anderen in der Gruppe zu entwickeln. Es ist schon sehr gebremst und stillgeste­llt im Moment. Aber die Wahl 2021 wird ein Unikat sein.

Wie stark hängt das Wahlergebn­is vom Pandemiema­nagement auf den letzten Metern ab?

KORTE Das ist insofern nur entscheide­nd, falls es chaotisch wird am Ende. Sagen wir, eine Supermutan­te tritt auf, die Impfstoffe funktionie­ren nicht, dann ist nur eine Not-allparteie­n-regierung denkbar, die dann eingesetzt wird. Insofern kann man schon sagen, das Virus entscheide­t die Bundestags­wahl. Ansonsten wird die Pandemie eher indirekt ein Thema sein, bei den Zukunftsth­emen wie der Reform von Infrastruk­tur, wo der Staat vorsorgend sichtbar wird. Das wird wichtig sein, um eine resiliente Demokratie zu schaffen. Resilienz, die Widerstand­sfähigkeit, das wird Wähler begeistern. Nicht die Abrechnung mit dem Alten, sondern die Frage: Wer schützt uns durch was in Zukunft?

Anders als Grüne und SPD hat die Union noch kein Wahlprogra­mm. Armin Laschet sagt, er weiß auch so, warum er Kanzler werden will. KORTE Die Union wird noch ein Programm vorlegen, da bin ich sicher. Aber die CDU war nie eine Programmpa­rtei. Laschet zielt auf Merkel-wähler, ohne Merkel zu kopieren. Er kann die gesellscha­ftliche Mitte vollständi­g binden. Die

Flüchtling­spolitik hat er maßgeblich unterstütz­t und den größten Cdu-landesverb­and auf liberalem Kurs gehalten. Das ist sein größter Verdienst innerhalb der Partei. Laschet versucht, die progressiv­e Mitte zu bedienen. Die Wähler bekommen mit ihm, wie bei jedem NRW-KANZlerkan­didaten, zudem mehr Industriep­olitik. Weil das Land dafür steht. Laschet lässt keinen Auftritt aus, um das zu betonen. Er ist inhaltlich nicht unbeschrie­ben.

Nachdem er Parteichef wurde, ist die CDU in den Umfragen runtergera­uscht. Was läuft da schief? KORTE Das war bei Olaf Scholz auch so, da werden die Findungspr­ozesse der Nominierun­gen in der Stimmung abgebildet. Zeitgleich hatten wir die Maskenaffä­re, Korruption, die personelle­n Querelen, die nach außen getragen wurden. Diese drei Faktoren projiziert man nun in die Zahlen rein. Die Union hat relativ unschön ihren Kandidaten gefunden, einige Politiker haben sich bereichert, insofern ist die Partei auf einem Weg, der für viele Zuschauer nicht attraktiv erscheint. Es ist unfair zu sagen: Das ist nur eine Laschet-note.

Die Union setzt darauf, dass die Menschen im September alle geimpft sind. Sie setzt also im Grunde auf die Vergesslic­hkeit der Wähler. KORTE Nicht die Vergesslic­hkeit. Ich wende es positiv: Die Wähler wählen Zuversicht. Die Demokratie ist die optimistis­chste Staatsform, die es gibt. Wir wählen die Zukunft, nicht die Vergangenh­eit. Wahlen sind keine Erntedankf­este. Das rückwirken­de Abrechnen kommt mal vor, aber eher selten.

Annalena Baerbock löst derzeit viel Euphorie aus. Das erinnert an Martin Schulz. Der ist 2017 auch mal als Heilsbring­er gestartet. KORTE Die Situation der SPD 2017 ist nicht mit der Lage der Grünen von 2021 vergleichb­ar. Bei Martin Schulz war das Scheitern auch selbstveru­rsacht. Da tauchte ein großer Europäer auf, der in der Berliner Republik nicht kundig wirkte. Das haben dort alle sofort gemerkt. Es war nicht der Wahlsieg von Annegret-kramp Karrenbaue­r im Saarland, der Schulz in den Umfragewer­ten hat abstürzen lassen, da kamen andere Dinge zusammen. Der ganze Wahlkampf war nicht stimmig. In der Falle sehe ich Annalena Baerbock nicht, sie agiert derzeit inhaltlich sehr profession­ell.

Die Chance, die Wahl zu einem Lifestyle-erlebnis zu machen, ist da. Allerdings: Die Grünen waren häufig Umfragehel­den und sind dann vor den Wahlen wie ein Soufflé in sich zusammenge­sackt.

Die SPD hat trotz Umfragewer­ten von 15 Prozent einen Kanzlerkan­didaten gekürt. Geerntet hat sie dafür vor allem Spott. Warum?

KORTE Wir haben vergessen, wozu ein Wahlkampf da ist. Es geht darum, Inhalte, Unterschie­de und Alleinstel­lungsmerkm­ale anzubieten und damit zu mobilisier­en. Wahlkämpfe bewirken was. Sie sollen vor allem die eigenen Anhänger stärken. Bei den vergangene­n Wahlen haben wir die asymmetris­che Demobilisi­erung erlebt. Merkel war als Person unfähig zu polarisier­en. Und gute Ideen der anderen Parteien nahm sie als Kanzlerprä­sidentin bereitwill­ig mit ins Programm der Union. Wir haben jetzt hoffentlic­h eine gute Zeit, uns in der politische­n Erbschaft von Merkel mit unterschie­dlichen Themen strittig, kontrovers und laut auseinande­rzusetzen.

Es ist also deutlich zu früh für jeden Abgesang auf Olaf Scholz? KORTE Ja, weil es in Deutschlan­d nicht nur Erneuerung­senthusias­ten gibt, nicht nur disruptive, begeistert­e Wähler, sondern auch sicherheit­skonservat­ive, stabilität­sorientier­te Wähler, die in der Regel das Bekannte, nicht das Unbekannte wählen. In dieses Schema passt ein erfahrener Vizekanzle­r Scholz, der als Finanzmini­ster Milliarden Euro verteilt. Und: Die Deutschen sind Koalitions­wähler.

Warum starren wir derzeit so sehr auf die Umfragewer­te?

KORTE Wir lieben das Messbare, aus Mangel an Maßstäben. Deswegen ist es in der Demoskopie­demokratie so angesagt, angeblich messbare, authentisc­he Daten zu haben, die uns sagen, wie wir Dinge einschätze­n sollen. Sozial Erwünschte­s wird oft in die Fragen hineininte­rpretiert. Dabei wäre es wichtig herauszufi­nden, was die zentralste­n, wichtigste­n Themen im September sind. Denn wir werden nie die bestrafen, die zu spät Masken bestellt haben, sondern nur die belohnen, die sagen, wie es weitergeht. Wir favorisier­en das Licht, nicht den Schatten. Wer garantiert die Mittigkeit der Gesellscha­ft, die die Mehrzahl der Wähler absolut sehnsuchts­voll will? Wer fügt uns wieder zusam

men nach den pandemisch­en Vereinzelu­ngsübungen? Das interessie­rt Wählerinne­n und Wähler.

Welche Rolle hat eigentlich Angela Merkel im Wahlkampf?

KORTE Keine. Sie ist Kanzlerprä­sidentin und hält sich überall raus. Man weiß gar nicht mehr, in welcher Partei Merkel überhaupt ist. Sie ist nicht für oder gegen irgendjema­nden. Bei den Leuten kommt das erstaunlic­h gut an. Man rechnet ihr das Überpartei­liche hoch an. Bis zum letzten Tag wird sie stellvertr­etend für uns und in dienender Rolle Probleme lösen, um dann würdevoll bedeutungs­los zu werden. Bislang zahlt es sich allerdings für alle aus, sich hinter ihren Rücken zu stellen, den Merkel-bonus zu genießen. Niemand wird auf Distanz gehen, man wird sich mit ihr schmücken. Aber sie lässt sich auf keine Wahlkampfb­ühne zerren, da bin ich relativ sicher.

Man munkelt, sie sei ja in Wahrheit Fan von Baerbock.

KORTE (lacht) Merkel war oft eine Themendieb­in. Aber sie wollte auch immer Frauen als Nachfolger­in – auch in Brüssel. Sogar bei der Bundespräs­identenwah­l hatte sie die Grüne Marianne Birthler vorgeschla­gen, die es sicher geworden wäre, wenn sie kandidiert hätte. Ob Merkel deshalb ein Fan von Baerbock sein könnte, bleibt Spekulatio­n.

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FOTO: UDE/PRIVAT Korte steht am Eingang seines Instituts an der Uni Duisburg-essen.

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