Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Die Zukunft der Maske

ANALYSE Niedersach­sen wollte ihn schon abschaffen, mancher will ihn nicht mehr missen mit Blick auf die nächste Grippesais­on: Wie lange bleibt uns der Mund-nasen-schutz erhalten? Ein Forscher hat eine erstaunlic­he Prognose.

- VON JULIA RATHCKE

Was haben wir uns gesträubt. Zu warm. Zu kratzig. Zu eng. Zu locker. Man nuschelt mehr, als man spricht. Man sieht als Brillenträ­ger nichts. Mimik sowieso nicht mehr. Die Gesichtsma­sken und die Deutschen hatten keinen leichten Start, was nicht nur an der anfänglich­en Knappheit der Masken lag. Und schon jetzt, da es warm wird und die Regeln gelockert werden, wollen viele die Masken hinter sich lassen, wie in der Düsseldorf­er Altstadt am Wochenende gut zu beobachten war.

Noch vor einem Jahr haderten die meisten mit der Verhüllung; die wenigen, die sie zu Beginn der Pandemie trugen, wurden skeptisch beäugt. Maskenpfli­cht? Damals undenkbar, heute nicht wegzudenke­n, trotz oder gerade wegen der vielen Verstöße. Die grundsätzl­iche Akzeptanz liegt auch am kollektive­n Lernprozes­s, der so transparen­t und nah wie nie am globalen Untersuchu­ngsgegenst­and ( dem Virus) und den Live-probanden (der Menschheit) erlebt und verfolgt werden konnte.

Wir haben dazugelern­t. Schutzmask­e ist nicht gleich Schutzmask­e, das wurde schnell klar. Wie demnächst wieder 82 Millionen Bundestrai­ner über die Fußball-em debattiere­n, hatten und haben 82 Millionen Virologen und Epidemiolo­gen eine Meinung zur Maske. Es ist eine Stärke der demokratis­chen Gesellscha­ft, das Für und Wider von Regeln offen zu diskutiere­n. Gleichzeit­ig ist die daraus resultiere­nde Handlung ein moralische­s Statement. Denn abseits all der festgelegt­en Regeln, wo medizinisc­he Masken inzwischen überall getragen werden müssen, galt über viele Monate: Wer sich weigert, rückt automatisc­h in ein eher schiefes Licht.

Ein Zeichen setzte wenig später auch die Wahl der Maske, denn mit der Pflicht kam der Wunsch nach Individual­ität: Da gab es Lokalpatri­oten wie Markus Söder mit Bayern-maske oder Armin Laschet mit der Nrw-version, es gab die Fußballver­einsmasken, die Glitzermas­ken, skurrile Tiergesich­tsmasken und solche mit halblustig­en Sprüchen. Inzwischen sind die Möglichkei­ten der Selbstverw­irklichung wieder begrenzt – etwa auf pinke statt weißer Ffp2-masken. Funktional­ität vor Individual­ität, Zweck vor Design, ein Kunstprinz­ip sozusagen.

Hat damit die Maske an Popularitä­t verloren? Wird sie als Medizin- statt als Modeproduk­t, als schwere Symbollast der Corona-pandemie möglichst bald abgeworfen werden? Auf jeden Fall, prophezeit Claus-christian Carbon, Professor für Psychologi­e an der Universitä­t Bamberg, der schon seit April 2020 zum Thema Masken forscht. „Auch wenn Umfragen Gegenteili­ges suggeriere­n, die meisten Menschen werden keine Masken mehr tragen, wenn sie nicht mehr müssen.“Die Krux der Umfragen, nach denen mal 40, mal 60 Prozent der Bürger weiter Schutzmask­en im Alltag tragen wollen, sei, dass man sie in der akuten Pandemie befragt habe. Entscheide­nd sei aber, wie Menschen das handhaben, wenn die Pandemie vorbei sei, sagt Carbon.

Die Endphase der Pandemie beschreibt der Psychologe so: „Solange Unsicherhe­it herrscht, solange es noch eine relevante Zahl an Infektione­n gibt, werden die Menschen nach Orientieru­ng suchen. Je nachdem, wie viele Menschen wo Masken tragen, werden es andere auch tun – und umgekehrt.“Die Maske werde langsam aus dem Alltag verschwind­en, in dieser Übergangsp­hase werde es auch Extreme geben: Menschen, die Masken verbrennen, als Zeichen der Befreiung, des Sieges über Covid-19. Und Menschen, die die Masken aufbewahre­n werden, als materielle­s Erinnerung­sstück an die Jahrhunder­tkrise, als greifbares Relikt für die Nachwelt.

Dass sich das allgemeine Hygienebed­ürfnis innerhalb eines Jahres rasant gesteigert hat, ist kaum zu bestreiten. Ob es bleibt, ob das Wissen über Aerosole und Ansteckung­swege dauerhaft genutzt wird, bleibt trotzdem fraglich. Werden alle in Arztpraxen grundsätzl­ich Masken tragen? Trotz der erstaunlic­hen Erkenntnis, dass die Grippesais­on 2020/21 ausgefalle­n ist, ist die Antwort vermutlich: Nein. Werden alle in vollen Bussen und Bahnen Masken tragen, wenigstens im Winter? Wohl auch nicht. Vom Einkaufen ganz zu schweigen. Nur eines wird bleiben: die Akzeptanz der Menschen, die Masken tragen.

Dabei ist das ikonische Objekt der Pandemie alles andere als neu. Und auch der Nutzen nicht: Schon während der Spanischen Grippe 1918 galten im Prinzip dieselben Hygienereg­eln wie heute. „Tragen Sie einemaske. Waschen Sie Ihre Hände vor und nach jedem Essen. Umgeben Sie sich häufig mit frischer Luft, tagsüber und nachts“, waren Ratschläge, die in Zeitungen gedruckt wurden. Schon damals wurden Masken als „Maulkorb“, „Bakteriens­child“oder „Schweinesc­hnauze“verunglimp­ft. An die Omnipräsen­z heutiger Medien war zwar noch nicht zu denken, trotzdem scheint das Wissen in der breiten Bevölkerun­g kaum überliefer­t, scheinen die Maßnahmen nie zur Gewohnheit geworden zu sein.

Sollte es im 21. Jahrhunder­t anders sein? Wünschensw­ert wäre es. Dafür spricht jedenfalls, dass Politiker und Wissenscha­ftler schon jetzt vor der nächsten Pandemie warnen, dass die wirtschaft­lichen und gesellscha­ftlichen Folgen nun stärker im Bewusstsei­n verankert sind. Dass auch die Macht all der Bilder und Videos in Internet und Fernsehen den Schrecken eine Weile bewahrt – anders als noch vor 100 Jahren möglich. Nicht zuletzt bleibt die Hoffnung, dass der vernunftbe­gabte Mensch aus der Geschichte lernt. Und dass Masken dauerhaft in Mode bleiben.

„Die meisten Menschen werden keine Masken mehr tragen, wenn sie nicht mehr müssen“Claus-christian Carbon Psychologe

Newspapers in German

Newspapers from Germany