Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Die Zukunft der Maske
ANALYSE Niedersachsen wollte ihn schon abschaffen, mancher will ihn nicht mehr missen mit Blick auf die nächste Grippesaison: Wie lange bleibt uns der Mund-nasen-schutz erhalten? Ein Forscher hat eine erstaunliche Prognose.
Was haben wir uns gesträubt. Zu warm. Zu kratzig. Zu eng. Zu locker. Man nuschelt mehr, als man spricht. Man sieht als Brillenträger nichts. Mimik sowieso nicht mehr. Die Gesichtsmasken und die Deutschen hatten keinen leichten Start, was nicht nur an der anfänglichen Knappheit der Masken lag. Und schon jetzt, da es warm wird und die Regeln gelockert werden, wollen viele die Masken hinter sich lassen, wie in der Düsseldorfer Altstadt am Wochenende gut zu beobachten war.
Noch vor einem Jahr haderten die meisten mit der Verhüllung; die wenigen, die sie zu Beginn der Pandemie trugen, wurden skeptisch beäugt. Maskenpflicht? Damals undenkbar, heute nicht wegzudenken, trotz oder gerade wegen der vielen Verstöße. Die grundsätzliche Akzeptanz liegt auch am kollektiven Lernprozess, der so transparent und nah wie nie am globalen Untersuchungsgegenstand ( dem Virus) und den Live-probanden (der Menschheit) erlebt und verfolgt werden konnte.
Wir haben dazugelernt. Schutzmaske ist nicht gleich Schutzmaske, das wurde schnell klar. Wie demnächst wieder 82 Millionen Bundestrainer über die Fußball-em debattieren, hatten und haben 82 Millionen Virologen und Epidemiologen eine Meinung zur Maske. Es ist eine Stärke der demokratischen Gesellschaft, das Für und Wider von Regeln offen zu diskutieren. Gleichzeitig ist die daraus resultierende Handlung ein moralisches Statement. Denn abseits all der festgelegten Regeln, wo medizinische Masken inzwischen überall getragen werden müssen, galt über viele Monate: Wer sich weigert, rückt automatisch in ein eher schiefes Licht.
Ein Zeichen setzte wenig später auch die Wahl der Maske, denn mit der Pflicht kam der Wunsch nach Individualität: Da gab es Lokalpatrioten wie Markus Söder mit Bayern-maske oder Armin Laschet mit der Nrw-version, es gab die Fußballvereinsmasken, die Glitzermasken, skurrile Tiergesichtsmasken und solche mit halblustigen Sprüchen. Inzwischen sind die Möglichkeiten der Selbstverwirklichung wieder begrenzt – etwa auf pinke statt weißer Ffp2-masken. Funktionalität vor Individualität, Zweck vor Design, ein Kunstprinzip sozusagen.
Hat damit die Maske an Popularität verloren? Wird sie als Medizin- statt als Modeprodukt, als schwere Symbollast der Corona-pandemie möglichst bald abgeworfen werden? Auf jeden Fall, prophezeit Claus-christian Carbon, Professor für Psychologie an der Universität Bamberg, der schon seit April 2020 zum Thema Masken forscht. „Auch wenn Umfragen Gegenteiliges suggerieren, die meisten Menschen werden keine Masken mehr tragen, wenn sie nicht mehr müssen.“Die Krux der Umfragen, nach denen mal 40, mal 60 Prozent der Bürger weiter Schutzmasken im Alltag tragen wollen, sei, dass man sie in der akuten Pandemie befragt habe. Entscheidend sei aber, wie Menschen das handhaben, wenn die Pandemie vorbei sei, sagt Carbon.
Die Endphase der Pandemie beschreibt der Psychologe so: „Solange Unsicherheit herrscht, solange es noch eine relevante Zahl an Infektionen gibt, werden die Menschen nach Orientierung suchen. Je nachdem, wie viele Menschen wo Masken tragen, werden es andere auch tun – und umgekehrt.“Die Maske werde langsam aus dem Alltag verschwinden, in dieser Übergangsphase werde es auch Extreme geben: Menschen, die Masken verbrennen, als Zeichen der Befreiung, des Sieges über Covid-19. Und Menschen, die die Masken aufbewahren werden, als materielles Erinnerungsstück an die Jahrhundertkrise, als greifbares Relikt für die Nachwelt.
Dass sich das allgemeine Hygienebedürfnis innerhalb eines Jahres rasant gesteigert hat, ist kaum zu bestreiten. Ob es bleibt, ob das Wissen über Aerosole und Ansteckungswege dauerhaft genutzt wird, bleibt trotzdem fraglich. Werden alle in Arztpraxen grundsätzlich Masken tragen? Trotz der erstaunlichen Erkenntnis, dass die Grippesaison 2020/21 ausgefallen ist, ist die Antwort vermutlich: Nein. Werden alle in vollen Bussen und Bahnen Masken tragen, wenigstens im Winter? Wohl auch nicht. Vom Einkaufen ganz zu schweigen. Nur eines wird bleiben: die Akzeptanz der Menschen, die Masken tragen.
Dabei ist das ikonische Objekt der Pandemie alles andere als neu. Und auch der Nutzen nicht: Schon während der Spanischen Grippe 1918 galten im Prinzip dieselben Hygieneregeln wie heute. „Tragen Sie einemaske. Waschen Sie Ihre Hände vor und nach jedem Essen. Umgeben Sie sich häufig mit frischer Luft, tagsüber und nachts“, waren Ratschläge, die in Zeitungen gedruckt wurden. Schon damals wurden Masken als „Maulkorb“, „Bakterienschild“oder „Schweineschnauze“verunglimpft. An die Omnipräsenz heutiger Medien war zwar noch nicht zu denken, trotzdem scheint das Wissen in der breiten Bevölkerung kaum überliefert, scheinen die Maßnahmen nie zur Gewohnheit geworden zu sein.
Sollte es im 21. Jahrhundert anders sein? Wünschenswert wäre es. Dafür spricht jedenfalls, dass Politiker und Wissenschaftler schon jetzt vor der nächsten Pandemie warnen, dass die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen nun stärker im Bewusstsein verankert sind. Dass auch die Macht all der Bilder und Videos in Internet und Fernsehen den Schrecken eine Weile bewahrt – anders als noch vor 100 Jahren möglich. Nicht zuletzt bleibt die Hoffnung, dass der vernunftbegabte Mensch aus der Geschichte lernt. Und dass Masken dauerhaft in Mode bleiben.
„Die meisten Menschen werden keine Masken mehr tragen, wenn sie nicht mehr müssen“Claus-christian Carbon Psychologe