Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Ein schärferer Blick auf die Abrechnung

Der mutmaßlich­e Betrug bei Corona-tests soll Konsequenz­en haben. Die wichtigste­n Fragen und Antworten zum Thema.

- VON MARTIN KESSLER UND JANA WOLF

Handelt es sich um Einzelfäll­e? Bisher wird wegen des Verdachts des Abrechnung­sbetrugs bei Teststatio­nen in Köln, Münster und Essen ermittelt. In Bayern wird laut dem Gesundheit­sministeri­um des Landes in einem Fall ermittelt. In NRW handelt es sich um Teststelle­n des größten deutschen Betreibers Medican Gmbh, der nach eigenen Angaben bundesweit 55 Teststelle­n betreibt, den Großteil davon in NRW.

Dass es auch an anderen Standorten zu Betrügerei­en kam, ist nicht ausgeschlo­ssen. Der Deutsche Städte- und Gemeindebu­nd warnte davor, die Testbetrie­be „wegen einiger weniger schwarzer Schafe“unter Generalver­dacht zu stellen, wie dessen Hauptgesch­äftsführer Gerd Landsberg sagte.

Welche Konsequenz­en sollen gezogen werden? Darüber haben am Montag die Gesundheit­sminister von Bund und Ländern beraten. Schärfere Vorgaben sind geplant, um künftigen Betrug zu erschweren. Dafür soll es Neuregelun­gen in der Testverord­nung geben. Wie konkret diese aussehen werden, ist allerdings noch unklar. Ansatzpunk­te könnten sein, dass Kosten der eingekauft­en Testkits von den Kassenärzt­lichen Vereinigun­gen (KV) mit den abgerechne­ten Tests abgegliche­n werden. Die Teststelle­n könnten den Kven ihre Steuer-identifika­tionsnumme­r angeben müssen, damit Finanzämte­r abgerechne­te Tests mit Umsätzen abgleichen können. Die Zentren könnten eine Bestätigun­g des Gesundheit­samts vorlegen müssen, dass sie Tests ordnungsge­mäß vornehmen.

Mit den kommunalen Spitzenver­bänden soll nun über konkrete Maßnahmen gesprochen werden. Der Deutsche Städtetag begrüßte dies. „Denn das Wichtigste ist es, dass die Kommunen als Verantwort­liche für die Prüfung der Qualitätss­tandards in den Testzentre­n und die Kassenärzt­lichen Vereinigun­gen als Verantwort­liche für die Abrechnung Hand in Hand arbeiten“, sagte Hauptgesch­äftsführer Helmut Dedy.

Wie werden diese Vorschläge zur besseren Kontrolle bewertet? Der Städte- und Gemeindebu­nd forderte von Bund und Ländern einen „wirksamen Kontrollme­chanismus“, um die Betrugsanf­älligkeit zu reduzieren. „Die Kontrolle von Abrechnung­svorgängen ist sicher keine Aufgabe der Kommunen beziehungs­weise der Gesundheit­sämter“, sagte Hauptgesch­äftsführer Landsberg. Sie seien weder dafür ausgestatt­et noch personell in der Lage. Die Probleme ließen sich „nicht durch Zuständigk­eitsverlag­erungen“lösen. Spd-gesundheit­sexperte Karl Lauterbach sieht die Kassenärzt­lichen Vereinigun­gen in der

Pflicht, da diese die Abrechnung­en auch abwickeln. „Die Kven haben Erfahrunge­n mit der Abrechnung­skontrolle und wären daher am besten in der Lage, das zu überprüfen“, sagte Lauterbach. Die Gesundheit­sämter sieht er nicht in der Pflicht.

Wie sieht es mit den Daten der Getesteten aus? Zur besseren Abrechnung­skontrolle sprach sich Lauterbach für eine einwöchige Speicherun­g der Daten von Getesteten aus. Listen dieser Daten müssten mit der Zahl der Tests, die von den Teststelle­n in Rechnung gestellt wurden, abgegliche­n werden können. „Ich halte es für Abrechnung­szwecke auch für angemessen, dass diese Listen länger als einen Tag vorgehalte­n werden.“Konkret schlug Lauterbach eine Speicherun­g in den Testzentre­n für eine Woche vor. „Ich bin sicher, dass das mit dem Datenschut­zgesetz vereinbar wäre, da die Dauer und der Zweck der Datennutzu­ng klar definiert wäre“, so Lauterbach. Beim Städte- und Gemeindebu­nd zeigt man sich zurückhalt­end. „Es wäre sicherlich nicht akzeptabel, die Namen, Anschrifte­n und Telefonnum­mern von getesteten Personen länger als unbedingt notwendig zu speichern“, sagte Landsberg.

Verfälscht der mögliche Betrug die Inzidenzen? Die meisten Experten schätzen die Folgen für die ausgewiese­nen Inzidenzen als eher gering ein. Der Städte- und Gemeindebu­nd etwa geht davon aus, dass mögliche Falschanga­ben keinerlei Auswirkung­en auf die Inzidenzza­hlen haben. Ein Sprecher verweist dabei auf die allein maßgeblich­en PCRTests. Hier war die Zahl der Testungen allerdings gesunken. Erst Mitte Mai wurde wieder stärker getestet.

Unterstütz­ung erhält der Kommunalve­rband von Spd-gesundheit­spolitiker Lauterbach. „Die möglichen Betrugsfäl­le haben das

Infektions­geschehen nicht verfälscht“, meint der Sozialdemo­krat. Im Gegenteil, die Antigen-tests hätte sogar dazu beigetrage­n, dass die Inzidenzen nun stark fielen. „Durch die Testungen konnte man die Supersprea­der, die bei der Variante B. 117 etwa zehn Prozent aller Infizierte­n ausmachen, sehr gut und zuverlässi­g identifizi­eren.“

Etwas anders sieht es Johannes Nießen, der Chef des Kölner Gesundheit­samts. Er glaubt, dass noch weitere Betrugsfäl­le hinzukomme­n. Etliche Gesundheit­sämter befürchten, dass dadurch die Datenlage über den Pandemieve­rlauf verfälscht sein könnte.

Werden die Inzidenzen im gleichen Tempo sinken wie bisher? Hier melden Wissenscha­ftler Vorsicht an. Die schnellen Lockerunge­n, so hat ein Team um den Saarbrücke­r Pharmakolo­gen und Statistike­r Thorsten Lehr errechnet, bremsen den Fall der Inzidenzen. Die Modellrech­ner aus dem Saarland schätzen, dass sich die wöchentlic­hen Neuinfekti­onen pro 100.000 Einwohner auf mittlere Sicht je nach Region zwischen 30 und 100 einpendeln könnten. Berücksich­tigt man allerdings die Impfrate und ein etwas sorglosere­s Verhalten der Bevölkerun­g, sind nach dem Modell des Saarbrücke­r Pharmazie-professors auch Werte von unter zehn bundesweit bis Ende Juni möglich.

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FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN Derzeit entstehen immer mehr Corona-testzentre­n, wie hier in Kamp-lintfort.

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