Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Ein schärferer Blick auf die Abrechnung
Der mutmaßliche Betrug bei Corona-tests soll Konsequenzen haben. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema.
Handelt es sich um Einzelfälle? Bisher wird wegen des Verdachts des Abrechnungsbetrugs bei Teststationen in Köln, Münster und Essen ermittelt. In Bayern wird laut dem Gesundheitsministerium des Landes in einem Fall ermittelt. In NRW handelt es sich um Teststellen des größten deutschen Betreibers Medican Gmbh, der nach eigenen Angaben bundesweit 55 Teststellen betreibt, den Großteil davon in NRW.
Dass es auch an anderen Standorten zu Betrügereien kam, ist nicht ausgeschlossen. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund warnte davor, die Testbetriebe „wegen einiger weniger schwarzer Schafe“unter Generalverdacht zu stellen, wie dessen Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg sagte.
Welche Konsequenzen sollen gezogen werden? Darüber haben am Montag die Gesundheitsminister von Bund und Ländern beraten. Schärfere Vorgaben sind geplant, um künftigen Betrug zu erschweren. Dafür soll es Neuregelungen in der Testverordnung geben. Wie konkret diese aussehen werden, ist allerdings noch unklar. Ansatzpunkte könnten sein, dass Kosten der eingekauften Testkits von den Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) mit den abgerechneten Tests abgeglichen werden. Die Teststellen könnten den Kven ihre Steuer-identifikationsnummer angeben müssen, damit Finanzämter abgerechnete Tests mit Umsätzen abgleichen können. Die Zentren könnten eine Bestätigung des Gesundheitsamts vorlegen müssen, dass sie Tests ordnungsgemäß vornehmen.
Mit den kommunalen Spitzenverbänden soll nun über konkrete Maßnahmen gesprochen werden. Der Deutsche Städtetag begrüßte dies. „Denn das Wichtigste ist es, dass die Kommunen als Verantwortliche für die Prüfung der Qualitätsstandards in den Testzentren und die Kassenärztlichen Vereinigungen als Verantwortliche für die Abrechnung Hand in Hand arbeiten“, sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy.
Wie werden diese Vorschläge zur besseren Kontrolle bewertet? Der Städte- und Gemeindebund forderte von Bund und Ländern einen „wirksamen Kontrollmechanismus“, um die Betrugsanfälligkeit zu reduzieren. „Die Kontrolle von Abrechnungsvorgängen ist sicher keine Aufgabe der Kommunen beziehungsweise der Gesundheitsämter“, sagte Hauptgeschäftsführer Landsberg. Sie seien weder dafür ausgestattet noch personell in der Lage. Die Probleme ließen sich „nicht durch Zuständigkeitsverlagerungen“lösen. Spd-gesundheitsexperte Karl Lauterbach sieht die Kassenärztlichen Vereinigungen in der
Pflicht, da diese die Abrechnungen auch abwickeln. „Die Kven haben Erfahrungen mit der Abrechnungskontrolle und wären daher am besten in der Lage, das zu überprüfen“, sagte Lauterbach. Die Gesundheitsämter sieht er nicht in der Pflicht.
Wie sieht es mit den Daten der Getesteten aus? Zur besseren Abrechnungskontrolle sprach sich Lauterbach für eine einwöchige Speicherung der Daten von Getesteten aus. Listen dieser Daten müssten mit der Zahl der Tests, die von den Teststellen in Rechnung gestellt wurden, abgeglichen werden können. „Ich halte es für Abrechnungszwecke auch für angemessen, dass diese Listen länger als einen Tag vorgehalten werden.“Konkret schlug Lauterbach eine Speicherung in den Testzentren für eine Woche vor. „Ich bin sicher, dass das mit dem Datenschutzgesetz vereinbar wäre, da die Dauer und der Zweck der Datennutzung klar definiert wäre“, so Lauterbach. Beim Städte- und Gemeindebund zeigt man sich zurückhaltend. „Es wäre sicherlich nicht akzeptabel, die Namen, Anschriften und Telefonnummern von getesteten Personen länger als unbedingt notwendig zu speichern“, sagte Landsberg.
Verfälscht der mögliche Betrug die Inzidenzen? Die meisten Experten schätzen die Folgen für die ausgewiesenen Inzidenzen als eher gering ein. Der Städte- und Gemeindebund etwa geht davon aus, dass mögliche Falschangaben keinerlei Auswirkungen auf die Inzidenzzahlen haben. Ein Sprecher verweist dabei auf die allein maßgeblichen PCRTests. Hier war die Zahl der Testungen allerdings gesunken. Erst Mitte Mai wurde wieder stärker getestet.
Unterstützung erhält der Kommunalverband von Spd-gesundheitspolitiker Lauterbach. „Die möglichen Betrugsfälle haben das
Infektionsgeschehen nicht verfälscht“, meint der Sozialdemokrat. Im Gegenteil, die Antigen-tests hätte sogar dazu beigetragen, dass die Inzidenzen nun stark fielen. „Durch die Testungen konnte man die Superspreader, die bei der Variante B. 117 etwa zehn Prozent aller Infizierten ausmachen, sehr gut und zuverlässig identifizieren.“
Etwas anders sieht es Johannes Nießen, der Chef des Kölner Gesundheitsamts. Er glaubt, dass noch weitere Betrugsfälle hinzukommen. Etliche Gesundheitsämter befürchten, dass dadurch die Datenlage über den Pandemieverlauf verfälscht sein könnte.
Werden die Inzidenzen im gleichen Tempo sinken wie bisher? Hier melden Wissenschaftler Vorsicht an. Die schnellen Lockerungen, so hat ein Team um den Saarbrücker Pharmakologen und Statistiker Thorsten Lehr errechnet, bremsen den Fall der Inzidenzen. Die Modellrechner aus dem Saarland schätzen, dass sich die wöchentlichen Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner auf mittlere Sicht je nach Region zwischen 30 und 100 einpendeln könnten. Berücksichtigt man allerdings die Impfrate und ein etwas sorgloseres Verhalten der Bevölkerung, sind nach dem Modell des Saarbrücker Pharmazie-professors auch Werte von unter zehn bundesweit bis Ende Juni möglich.