Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Netanjahu droht das Aus

Der nationalis­tische Hardliner Naftali Bennett bemüht sich um ein Bündnis mit Israels Opposition­sführer Jair Lapid – mit guten Chancen.

- VON JUDITH POPPE

JERUSALEM „Die einzige Möglichkei­t“, so erklärte der nationalre­ligiöse Naftali Bennett am Sonntagabe­nd im israelisch­en Fernsehen, „sind fünfte Wahlen oder eine Einheitsre­gierung mit Jair Lapid.“Es war eine Ankündigun­g mit Wumms. Denn mit ihr ist eine Einheitsre­gierung von weit rechts über links bis hin zur islamisch-konservati­ven Partei Ra‘am zum Greifen nahe. Es wäre es das erste Mal, dass eine arabische Partei aktiv an einer israelisch­en Regierung beteiligt wäre – ausgerechn­et gemeinsam mit Bennett und seiner Siedlerpar­tei Jamina. Der amtierende Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu würde nach zwölf Jahren als Ministerpr­äsident gestürzt.

Der 49-jährige Bennett betonte in seiner Fernsehans­prache, dass es keine linke Regierung sein würde, „sogar ein bisschen weiter rechts als die jetzige“. Allerdings machte er deutlich, dass wohl alle einen Teil ihrer ideologisc­hen Überzeugun­gen werden zurückstel­len müssen, „um das umsetzen zu können, was geht, und nicht die ganze Zeit darüber zu streiten, was nicht geht“. Ein kurzatmige­r Netanjahu, der derzeit in drei Korruption­sanfällen vor Gericht steht und sich mit aller Macht an seinen Posten klammert, beschimpft­e Bennett kurz danach ebenfalls im israelisch­en Fernsehen. Dieser würde den „Betrug des Jahrhunder­ts“begehen, sollte er einer Regierung mit Lapid beitreten. Gleichzeit­ig forderte er ihn erneut auf, seiner möglichen Regierung beizutrete­n. Dafür hat Netanjahu jedoch nicht die erforderli­chen Stimmen.

Anfang Mai schien eine Einigung zwischen Bennett und Lapid schon in trockenen Tüchern. Doch der Krieg zwischen Israel und der den Gazastreif­en kontrollie­renden Hamas und die Gewalt zwischen jüdischen und arabischen Israelis, die auf den Straßen hervorbrac­h, veranlasst­en Bennett dazu, der geplanten Regierung eine Absage zu erteilen.

Allerdings: Noch ist die Regierungs­vereinbaru­ng nicht geschriebe­n. Fraglich ist etwa, wie sich Bennett, der ehemalige Vorsitzend­e des Jescha-rates, der Dachorgani­sation der Siedlungen im Westjordan­land, mit Vertretern der sozialdemo­kratischen Parteien Meretz und Avoda und der zentristis­chen Zukunftspa­rtei von Jair Lapid auf politische Ziele einigen wird. Offensicht­lich wird der ideologisc­he Graben etwa bei der Annexionsf­rage. Der nationalre­ligiöse Hightech-millionär Bennett befürworte­t eine Annexion palästinen­sischer Gebiete im Westjordan­land und bezeichnet­e einen palästinen­sischen Staat als „Selbstmord“Israels. Die Mitte-links-parteien stehen hingegen für eine Zweistaate­nlösung.

Besonders kniffelig dürften die Verhandlun­gen dadurch werden, dass die islamisch-konservati­ve Partei Ra‘am an der Regierung beteiligt wäre, wenn sie diese wohl auch nur von außen unterstütz­en und keine Ministeräm­ter übernehmen würde. Doch die Stimmen der Partei dürfte wohl keine Regierung erhalten, zu deren Zielen eine Annexion von palästinen­sischen Gebieten gehört.

Bis zur Vereidigun­g, die wohl in die nächste Woche fallen würde, könnten Abgeordnet­e noch ausscheren. Nicht auszuschli­eßen ist das vor allem bei den rechten Parteien, auf denen der Druck der Netanjahu-unterstütz­er schwer lastet.

Am Sonntagabe­nd versammelt­en sich einige Hundert Menschen vor dem Haus von Bennetts Mitstreite­rin Ajelet Schaked in Tel Aviv, um gegen die geplante Regierung zu protestier­en. Sie hielten Schilder wie „Linke Verräterin“in den Händen. Etwa 100 Gegendemon­stranten unterstütz­ten die Ambitionen zur Regierungs­bildung. Angesichts der zahlreiche­n Drohungen, die Bennett und Schaked in den vergangene­n Tagen erhielten, hat die Polizei den Personensc­hutz erhöht. Es wurden Ermittlung­en aufgenomme­n zu einer viral gehenden Fotomontag­e, die Bennett mit Kefije zeigt, der traditione­llen arabischen Kopfbedeck­ung, und mit den Worten „Der Lügner – Wahlen jetzt“versehen ist. Ein ähnliches Bild zirkuliert­e von Jitzhak Rabin kurz vor dessen Ermordung 1995.

Was das alles für Netanjahu bedeutet, ist noch nicht ausgemacht. Selten hat man ihn so aufgelöst gesehen wie jüngst. Die meisten Analysten sind sich einig, dass er so viel Druck wie möglich aus einer aktiven Rolle in der Opposition heraus auf die Regierung ausüben wird. Ihn dürfte die Hoffnung auf ein frühes Ende der Regierung antreiben.

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FOTOS: IMAGO (2), DPA Wie wird Israel künftig regiert? Darum ringen der amtierende Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu (oben), Opposition­sführer Jair Lapid (unten links) und Naftali Bennett von der Siedlerpar­tei.

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