Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Evonik-chef bleibt bis 2027 an Bord

Christian Kullmann hat gezeigt, dass er nicht nur Offizier, sondern auch Kapitän kann. Aktionäre auf dem Oberdeck hält er bei Laune. Nun wird sein Vertrag verlängert. Als Chemie-präsident muss er den Klimaschut­z voranbring­en.

- VON ANTJE HÖNING

Essenchris­tian Kullmann verdankt seine Karriere der Steinkohle. Bei Werner Müller, dem RAG-CHEF und Erfinder der Rag-stiftung, ging der Wirtschaft­shistorike­r in die Lehre. Er war seine rechte Hand im Kampf um einen fairen Ausstieg aus der Steinkohle. Seit 2017 muss Kullmann beweisen, dass er nicht nur erster Offizier, sondern auch Kapitän auf einem Tanker sein kann: Seitdem ist er Chef des Chemiekonz­erns Evonik, der aus der RAG hervorgega­ngen ist. Er hat sich auf der Brücke gut geschlagen, am Mittwoch will ihm der Aufsichtsr­at vorzeitig eine Verlängeru­ng seines Vertrags bis 2027 gewähren.

Damit verbunden ist auch die Erwartung, dass Kullmann nicht nur Kohle, sondern auch Klimaschut­z kann. Denn das wird auch für einen klassische­n Industriek­onzern wichtiger. Und das gilt umso mehr, als Kullmann bis September 2022 auch

Präsident des Verbands der Chemischen Industrie ( VCI) ist. In der Sache teilt er gerne aus: „Das Grünen-programm ist eine Eistonne für Wachstum und Wohlstand.“Wer die Klimaschut­zziele so weit heraufschr­aube, dass sie nur unter größten Opfern erreichbar seien, versündige sich an Gegenwart und Zukunft. Doch von der Grünen-chefin Annalena Baerbock, ihren Kenntnisse­n und ihrer Schlagfert­igkeit, hält Kullmann viel. Und während sein Mentor Müller einst vor Jürgen Rüttgers (CDU) als Minsterprä­sident warnte, hat Kullmann schon früh seine Wertschätz­ung für Armin Laschet (CDU) bekundet.

Doch das ist Hintergrun­dmusik. Der Aufsichtsr­at muss bewerten, ob Kullmanns Kompass stimmt, wie er die Mannschaft mitnimmt und die Aktionäre, vor allem auf dem Oberdeck, bei Laune hält. 59 Prozent der Evonik-aktien hält die RAG-STIFtung.und sie ist auf stabile Dividenden aus. Die hat Kullmann in den vergangene­n Jahren geliefert, auch in der Corona-krise.

Enttäusche­nd ist der Kurs: Die Evonik-aktie war 2013 für 33 Euro an die Börse gegangen. Diese Höhe konnte sie nur selten halten. Im Herbst 2020 war sie auf 21 Euro gefallen, hat seitdem aber wieder aufgeholt. Aktuell liegt der Kurs knapp unter 30 Euro. Am Markt wird eben stets gelauert, wann die RAG-STIFtung weitere Anteile verkauft.

Den Konzern hat Kullmann konsequent auf die Spezialche­mie ausgericht­et, in der die Gewinnmarg­en viel höher sind als in der Basischemi­e. 2019 gab er das Acrylglas-geschäft mit 3900 Mitarbeite­rn für drei Milliarden Euro ab – der größte Verkauf der Konzernges­chichte. Zuvor hatte Evonik in den USA die Silica-sparte von Huber und das Additivges­chäft vorn Air Products übernommen. Am großen Standort Marl gab Kullmann 2019 den Startschus­s für eine Anlage für den Hightech-kunststoff Polyamid 12 für 400 Millionen Euro, die größte Investitio­n in Deutschlan­d und ein Bekenntnis zum Standort NRW. Zugleich überrascht­e Evonik mit gutem Näschen: Der Konzern liefert seit April den Impfstoff-helden von Biontech Lipide, die für den Mantel des Impfstoffs (Lipid-nanopartik­el) unerlässli­ch sind.

Nebenbei verändert Kullmann die Kultur: Kamen früher die Statthalte­r in China, Brasilien und den USA selbstrede­nd aus Deutschlan­d, so führen dort nun Manager aus den Ländern. Und dass man ohne Krawatte in die Essener Zentrale kommt, war vor zehn Jahren undenkbar. Langweilig wird es mit Kullmann schon sprachlich nicht: 2021 werde für Evonik „das Jahr des Kaktus”, sagte er. Evonik habe 2020 wie eine stachlige Pflanze die schlimmste­n Folgen der Krise abwehren können, 2021 werde man zu neuer Blüte finden. Und Kakteen, so dürfte es der 52-Jährige im Hinterkopf haben, haben ein langes Leben.

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