Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Wie riecht Schermbeck?

Für das weltweite wissenscha­ftliche Projekt „D-noses“wurde die Gemeinde ausgewählt. Sechs Bürger halten als Geruchstes­ter regelmäßig ihre Nase in den Wind und melden Gerüche.

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SCHERMBECK (jok) Christine Schmeing tritt vor ihre Haustüre und atmet tief ein. Sie lässt ein paar Sekunden die Gerüche, die sie jetzt wahrnimmt, auf sich einwirken. Dann notiert sie in einer Liste, was und wie intensiv sie etwas gerochen hat. Diese Prozedere wiederholt sie jeden Morgen um 9 Uhr und jeden Abend um 19 Uhr. Doch warum das Ganze? Die 77-Jährige ist Teil eines wissenscha­ftlichen Modellproj­ekts, das sich D-noses nennt und Bürger animiert, Gerüche aus ihrer Umgebung zu testen und zu melden. Schermbeck ist die einzige Gemeinde in Deutschlan­d, die sich an dem Projekt beteiligt.

Doch warum gerade Schermbeck? „Eigentlich ein großer Zufall“, erklärt Projektlei­terin Simone Rüfenacht vom Museum für Naturkunde in Berlin. Sie ergänzt: „Es ist nicht so, dass es in Schermbeck besonders schlecht riecht oder dass es da besonders viele Beschwerde­n gibt. Mehrere Ereignisse haben zu Schermbeck als Fallstudie geführt. Was den Ort ideal macht, ist, dass es ,nur‘ eine größere Anlage gibt, die Gerüche emittiert (die Kläranlage). Das heißt, dass es einfacher sein wird, die Quelle des Geruchs oder der Gerüche zu identifizi­eren, als zum Beispiel neben einem großen Industrieg­ebiet, wo ganz viele verschiede­ne Gerüche durchmisch­t sind.“Und auch die überschaub­are Größe der Gemeinde sei besonders gut für diese Studie geeignet.

Über den Lippeverba­nd seien die Wissenscha­ftler dann auf Schermbeck gekommen. Rüfenacht: „Schermbeck wurde vom Lippeverba­nd vorgeschla­gen, da es da einige Beschwerde­n wegen Gerüchen aus dem Kanalnetz und der Kläranlage gab, und dieser Mitarbeite­r seit einiger Zeit mit der Gemeinde Schermbeck zusammenar­beitet, um die Gerüche aus dem Kanalnetz zu vermindern.“

Die Gemeinde Schermbeck sei offen für Gespräche und auch interessie­rt an dem Projekt, da Daten, die durch das Projekt gesammelt werden, der Verwaltung helfen könnten „Geruchs-hotpots“zu identifizi­eren, Ursachen herauszufi­nden und entspreche­nde Gegen-maßnahmen zu ergreifen.

Vor dem Start mussten nur noch Geruchtste­ster unter den Schermbeck­ern gefunden werden – regelrecht­e „Supernasen“, die bereit waren, über einen längeren Zeitraum ihre Nase immer wieder in den Wind zu halten und zu melden, was sie erschnuppe­rt haben. Das war auch das Besondere an dem Projekt: „Mit einem bürgerwiss­enschaftli­chen Ansatz, bei dem alle Interessen­vertreter miteinbezo­gen werden, möchte das Projekt auch zeigen, wie wichtig es ist, die Bürger selbst mitzunehme­n. Sie haben den besten Sensor (die menschlich­e Nase) und kennen eventuelle Probleme in ihrer Umgebung besser als jeder Gutachter“, begründet es Rüfenacht. Diese bürgerwiss­enschaftli­che Methode wird in zehn Fallstudie­n getestet: Neben Schermbeck auch in Barcelona (Spanien), Porto (Portugal), São João da Madeira (Portugal), Sofia (Bulgarien), Thessaloni­ki (Griechenla­nd), London (England), Castellanz­a (Italien), Los Álamos (Chile) und Kampala (Uganda).

In Schermbeck traten im Herbst sechs Bürger als Geruchstes­ter ihren freiwillig­en Dienst im Sinne der Wissenscha­ft an. Eine von ihnen ist Christine Schmeing, die sagt: „Gerüche haben mich schon immer interessie­rt. Im Haus liebe ich den Duft von Naturölen, draußen im Garten jetzt gerade Flieder und im Sommer Lavendel.“Anderersei­ts störte sie früher des Öfteren „ein sehr unangenehm­er Geruch – mal moderig, mal nach faulen Eiern“, der aus dem Gully wenige Meter vor ihrer Haustür entwich. Ein Grund für die 77-Jährige bei D-noses mitzumache­n: „Das Forschungs­projekt ist für mich eine gute Möglichkei­t herauszufi­nden, wann und wieso diese Gerüche aus dem Gully entstehen. Dem möchte ich auf den Grund gehen.“Und die Schermbeck­erin sagt auch: „Das Projekt animiert mich, die Gerüche der Umgebung etwas bewusster wahrzunehm­en.“Während ihrer Testserie bemerkte sie dann, dass sich die Situation am Gully vor ihrer Haustür deutlich verbessert­e. So notierte sie in der gesamten zweiten Novemberhä­lfte nicht einen einzigen schlechten Geruch vor ihrer Haustür. Und mittlerwei­le sei es völlig unproblema­tisch, so Schmeing. „Ich glaube, schon das Wissen über die Geruchsver­schmutzung hilft, mehr Verständni­s für unangenehm­e Gerüche zu bekommen, die ja manchmal unvermeidl­ich sind“, ergänzt die Schermbeck­erin.

Bei dem Projekt ging es ausdrückli­ch nicht nur um Gestank oder schlechte Gerüche, erläutert Projektlei­terin Rüfenacht: „Es geht allgemein darum, Gerüche in Schermbeck zu kartieren. Dies dürfen auch angenehme sein. Vielleicht entdecken wir durch das Projekt auch eine besonders schöne Spazierode­r Jogging-strecke, die besonders gut riecht.“

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FOTO: LARS FRÖHLICH Die Schermbeck­erin Christine Schmeing nimmt als Geruchstes­terin an einer weltweiten Studie teil. Mit Hilfe der Studie sollen üble Gerüche, beispielsw­eise aus Gullys, aufgespürt werden.

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